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Nach dem Gehirnschlag von Uli (Heino Ferch) erfährt Nora (Ina Weisse), dass es noch eine weitere Frau in seinem Leben gibt.

© ZDF

Literaturverfilmung: Ein Zweithandy für Siegfried Lenz

Drei Frauen und ein lädierter Mann. Das ZDF holt Siegfried Lenz’ Roman „Der Verlust“ in die Gegenwart. Im Mittelpunkt steht jedoch nicht Heino Ferch, sondern Ina Weisse.

Was einen Film zum Film macht, sind die übergroßen Gesichter, deren Bewegung und deren Arbeit wir Mimik nennen und die uns die Personen, an deren Schicksal wir Anteil nehmen sollen, nahebringen. Das gilt für Fernsehfilme besonders, weil hier die Totale über einen Canyon oder eine Großstadt noch nicht denselben Eindruck macht wie im Kino. Das Motiv der Totalen ist beim Fernsehfilm das Antlitz. In „Der Verlust“ an diesem Montag beim ZDF im Programm ist es Ina Weisse, in deren Gesicht das Publikum Gefühle lesen darf und lesen lernt. Diese Schauspielerin guckt in die Kamera – was sie dabei denkt und fühlt, bleibt ihr Geheimnis – und schon beginnt der Zuschauer zu rätseln: Was weiß sie? Was ahnt sie? Was geht in ihr vor? Man interpretiert, man vermutet, man nimmt Anteil. Nicht dass das bei jedem Gesicht so wäre. Ina Weisse ist da schon eine große Könnerin. Ihr Gesicht ist es, das durch den Film „Der Verlust“ führt.

Unglaube, Zweifel bittere Einsicht - alles zeigt Ina Weisses Gesicht

Nora heißt die Figur, die Weisse spielt. Sie ist Bibliothekarin in Hamburg, ihr Arbeitsplatz einer jener Ende-des-19-Jahrhunderts-Paläste mit Innengalerien und Freitreppen, die sich als Schauplätze so gut machen. Seit einem Jahr ist Nora mit einem interessanten Mann zusammen: Uli, ein Lebenskünstler, der Bootsfahrten für Touristen arrangiert und von Heino Ferch gespielt wird. Ferchs Gesicht ist vergleichsweise verschlossen, und das passt zur Rolle, denn der Fremdenführer erleidet gleich nach der Exposition, an deren Beginn er noch fidel mit Nora auf dem Tandem durch die Stadt radelt, einen Gehirnschlag und ist für den Rest des Films kaum noch in der Lage, zu sprechen oder sich sonst überzeugend auszudrücken. Es ist jetzt an Nora, die Situation zu meistern, was ihr schwer gemacht wird, denn Ulis Zweithandy erklärt ihr jetzt, dass es eine weitere Frau in Ulis Leben gibt, ja dass der Mann offenbar ein Doppelleben führt. Die Reflexe dieser Erkenntnis in Ina Weisses Gesicht – Unglauben, Zweifel, bittere Einsicht – sind wunderbar.

Die Story selbst wirkt allerdings ziemlich vorgestrig. Man könnte ja sagen: Ein Dreieck, das ist zeitlos – ebenso wie der Kummer und die Entscheidungszwänge, die es über die Beteiligten verhängt. Zumal Fritzi Haberlandt, die Ulis Altfreundin Karin spielt, mit ihrer erfrischenden Art alles andere als lahm rüberkommt. Aber die Entfaltung des Konflikts verläuft spannungsarm. Es gibt weder Steigerung noch Überraschung, fast so, als würde die Geschichte aus der Perspektive des mit Aphasie geschlagenen Patienten erzählt, um den sich alles dreht, der sich aber selber nicht mehr drehen kann.

Das Unfilmische an diesem Film sind ferner die länglichen Einlassungen der Frauen über die Vergangenheit (Buch und Regie: Thomas Berger). Ein filmischer Film hätte szenische Lösungen gefunden, Rückblenden oder Situationen, in denen sich die Erinnerungen spiegeln. Aber wie um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Literaturverfilmung handelt, sitzen die Frauen brav auf dem Sofa und erzählen und erzählen und stellen sich Schicksalsfragen wie „Lieben Sie Uli?“. Und noch eine dritte Frau steht dem Kranken nahe: seine Schwägerin Hilde, gespielt von Meret Becker. Sie war mit Uli ein Paar, bevor sie dessen Bruder heiratete. Sie macht erst umständlich ein Geheimnis draus, bevor sie sich Nora anvertraut, und die Schauspielerin Becker, deren Markenzeichen ihre ungezügelte Schalkhaftigkeit ist, darf hier nur unfroh aus der Wäsche gucken und kommt überhaupt nicht zur Geltung.

Die Story stammt eindeutig aus den 1980ern

Man merkt der Story an, dass sie auf einen Stoff aus dem Jahr 1981 zurückgeht – damals veröffentlichte Siegfried Lenz seinen gleichnamigen Roman. Man hat die Geschichte ins Heute (Zweithandy!) transformiert. Der Plot – drei kummervolle Frauen tanzen um einen gelähmten alten Knaben herum – spricht indes vom seinerzeit spürbaren Bedeutungsverlust der Männer im Leben von Frauen. Als riefe da jemand um Hilfe: Es kann doch nicht sein, dass das starke Geschlecht nicht mehr das Allerwichtigste für das schwache ist, tun wir mal so, als sei es das noch. Immerhin ist die männliche Hauptfigur verstummt, das ist auch ein Reflex auf die Zeit.

Selbstverständlich wird es immer Frauen geben, die fürchten müssen, ihren Mann zu verlieren (wie auch umgekehrt es Männer geben wird, die ...). Insofern kann dieser Stoff nicht veralten. Aber die Umsetzung müsste, wenn sie unserer Zeit gerecht werden wollte, die männliche Zentralperspektive aufgeben. Selbst wenn dann nicht mehr das von Liebe, Leid und Verlustangst sprechende Gesicht einer Ina Weisse der visuell-dramatische Mittelpunkt sein könnte.

„Der Verlust“, Montag, 20 Uhr 15, ZDF

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