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Hoch in Holland. Albrecht Dürer (Wanja Mues) und seine Frau Agnes (Hannah Herzsprung), glücklich bei einer Reise in den Niederlanden, einer der helleren Momente im Film.

© Jonas Römmig B 14 Film

Leben und Werk von Albrecht Dürer: Marke und Melancholie

Das Arte-Dokudrama „Dürer“ porträtiert den bedeutendsten Maler der Renaissance – und einen modernen Mann.

Albrecht Dürer war schon zu Lebzeiten ein Star. 1471 in Nürnberg zur Welt gekommen, wird schnell klar: Der Junge hat Talent. Sein Vater, ein Goldschmied, vermittelt ihm ein Gefühl für das Feine und Schöne, aber den Sohn zieht es zur Malerei, besonders vom Figürlichen ist er fasziniert. Er zeichnet seine Eltern – und sich selbst. Das wird er beibehalten. Einige von Dürers Selfies werden später sehr berühmt, besonders ein Gemälde, in dem er sich darstellt wie Jesus. Diese Hybris begründet seinen Erfolg. Genauso wie sein Logo, ein Monogramm aus den Anfangsbuchstaben seines Namens, mit dem er als erster Mittelaltermaler seine Holzschnitte und Kupferstiche „brandet“. Er nimmt auch den Vertrieb selbst in die Hand, wartet nicht auf reiche Auftraggeber. Albrecht Dürer hat sozusagen das Malerei-Business neu erfunden. Er arbeitete wie ein äußerst erfolgreicher, moderner Soloselbstständiger.

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Einmal soll ihn der venezianische Maler Giovanni Bellini in seinem Atelier besucht haben. Der Meister bittet Dürer, ihm den Pinsel zu schenken, der es dem Nürnberger ermöglicht, derart perfekt und naturgetreu Fell und Haare zu malen. Dürer ergreift daraufhin sein Pinselsortiment: „Nimm dir, welchen du möchtest, ich kann es mit jedem.“

[„Dürer“, Arte, Samstag, 20 Uhr 15]

Er hat Selbstbewusstsein, durch die Kunst will er unsterblich werden. Das zeigt Regisseurin Marie Noëlle in ihrer Doku-Fiktion „Dürer“ bei Arte. Der Maler träumt davon, dass seine Malerei die Zeit überdauert. Es soll ihm gelingen. Seine Bilder werden zu Ikonen, der Hase, die betenden Hände, sein Porträt einer junger Venezianerin landet auf dem Fünf-Mark-Schein.

15 gestorbene Geschwister

Dürers Potenzial als Maler und Visionär wird im Zaum gehalten durch die Angst seiner gottesfürchtigen Mutter. 18 Kinder hat sie geboren, 15 davon sind gestorben. In Dürers Seele haben der Tod und die Unterwelt einen festen Platz. Vielleicht schiebt Marie Noëlle in ihrem Film deshalb die Melancholie des Künstlers so stark in den Vordergrund. Seine inneren Kämpfe, seine Albträume, die Bedrohung durch Pest und Syphilis.

Und es gibt noch ein Drama im Leben des Malers: Er und seine Frau Agnes bleiben kinderlos. Das allein reichte im 15. Jahrhundert schon für ein verpfuschtes Leben. Die Regisseurin hüllt die Dürer-Familie in düsteres Zwielicht, oft ist es dunkel oder Nacht, die Gesichter nur als Schemen zu erkennen. In diesem Moll-Setting ringt dieser moderne Mensch mit seinen Dämonen.

Queerer Hipster

Wanja Mues spielt Dürer als queeren Hipster mit weit ausgeschnittener Bluse; der Maler trägt Bart und lange Locken, exzentrisch für die damalige Zeit. Mues zeigt ihn aber auch als Liebenden, der Frau und Mutter zärtlich umsorgt. Zwar ist auch immer wieder von Huren die Rede, die der Künstler und sein Freund, der Humanist Willibald Pirkheimer, in allen möglichen Städten zu kennen scheinen, aber wie ein Draufgänger wirkt Dürer in dem Film nie. Oft lässt er sich von Frau und Mutter bremsen; als er dann doch nach Venedig reist, wo man seine Malkünste hoch schätzt, lebt er auf.

Seine Frau Agnes, gespielt von Hannah Herzsprung, bleibt als tüchtige Businessfrau in Nürnberg zurück, zumindest im Film. Andere Biografen gehen davon aus, dass sie mit ihm in Italien war. Dürers Stiche von badenden Männern und Frauen beinhalteten so manch anzüglichen Witz. Agnes verkauft die Blätter mit den Nackten sehr erfolgreich auf dem Markt. Zu Hause führt sie die Bücher. 5000 Gulden haben sie schon zusammen. Agnes zückt ihr Smartphone und sagt direkt an die Zuschauer:innen gerichtet: „Für euch – das sind fünf Millionen Euro.“ Ein anderes Mal zeigt sie eine Zeichnung auf dem Handybildschirm. Auch fangen die Figuren in Dürers Werken oft an, sich zu bewegen. Das gibt dem Film etwas Leichtigkeit zurück.

Psychoanalytikerin analysiert

Noëlle, die auch die Wissenschaftlerin Marie Curie, Ludwig II. und jüngst den Jugendstilmaler Heinrich Vogeler filmisch porträtiert hat, kombiniert die gespielten Szenen mit den Aussagen von Expert:innen: Kunsthistoriker kommen zu Wort, wie Thomas Eser vom Kunsthistorischen Museum in Nürnberg, ein viel bemühter Dürer-Experte, aber auch eine Psychoanalytikerin, die die Bildmotive analysiert, und sogar ein Jurist, der ein paar Worte dazu sagt, wie Dürer sein Urheberrecht durchsetzte.

Agnes und Albrecht müssen sich über die Jahre hinweg dauernd fragen lassen, warum sie keine Kinder haben. Die gespielten Szenen liefern viel Stoff für Spekulationen. Hat Dürer sich mit Syphilis infiziert, geht er einfach zu viel fremd, hängen ihm die 15 toten Geschwister nach oder wird er ob seiner künstlerischen Exzentrik von Gott bestraft, wie die fromme Mutter glaubt? Dass Dürer auch Humor hatte, ist in seinen Bildern zu sehen, die leichten Seiten seines Gemüts kommen im Film aber nur selten heraus. Es dominiert die Melancholie, die ja in der Renaissance durchaus ein modernes Gefühl war.

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