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Das waren noch Zeiten. Heute müsste Derrick vielleicht auch im Netz ermitteln.

© dpa

Kriminalität im Cyberspace: Im Netz der Fahnder

Verdächtige googeln, mit Pseudonymen recherchieren oder die Bilder Gesuchter auf Facebook posten. Mit Zunahme der Kriminalität im Netz tummeln sich dort zunehmend auch Ermittlungsbehörden. Deren Methoden sind aber umstritten.

Die Zahlen sprechen, wenn sie denn stimmen, eine deutliche Sprache: Auf 24 Milliarden Euro schätzen laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) Experten den Schaden, den Computerviren 2011 in Deutschland verursacht haben. Die Gefahr durch Cyberattacken sei unvermindert groß. „Der Stuxnet-Virus hat zu erheblichen Beeinträchtigungen der iranischen Atomindustrie geführt. Er könnte auch in deutsche Industrieanlagen eingeschleust werden“, sagt Wolfgang Spies, Vorstandsmitglied für Kriminalpolitik bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein Westfalen. Angriffsziel von Cyber-Kriminellen sind aber nicht nur Großkonzerne oder staatliche Institutionen, sondern auch Privathaushalte.

Phishing, Fake-Shops, Schadprogramme wie Ransomware, Ddos-Angriffe, Skimming, Cybermobbing, Server-Hacking, Kinderpornografie: Alles Delikte, zu denen auch Vergehen wie Erpressung, Beleidigung, Nötigung, politisch motivierte Straftaten, Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz oder virtuelle Mordplanung zählen. Im Netz werden Verbrechen geplant, kommuniziert und begangen. „Wir gehen von einer zunehmenden Professionalisierung und Internationalisierung aus“, sagt Kriminalrat Helmut Picko, Dezernatsleiter im Cybercrime-Kompetenzzentrum in Nordrhein-Westfalen. Dort werden seit 2011 Ermittlungsverfahren geführt, Präventionskonzepte und Kriminalitätsanalysen für das Netz erstellt. „Unsere Polizisten gehen quasi im Netz auf Streife. Sie ermitteln in der Regel bis an den Täter heran und geben die Information dann an die zuständige Behörde ab“, sagt Picko. Auch Zielfahndungen nach bestimmten Personen würden unterstützt. Bestimmte Zuständigkeiten wie der Bereich der Gefahrenabwehr lägen aber bei den einzelnen Polizeibehörden im Land. Vor einem Fußballspiel zum Beispiel: „Das Internet ist eine gute Quelle, um sich auf die Pläne möglicher randalierender Fußballfans vorzubereiten“, sagt Picko. Und weil die Polizei den virtuellen Wettlauf mit den Groß- und Kleinverbrechern nicht verlieren will, drängt die GdP darauf, auch regionale Polizisten darin zu schulen, Straftaten im Internet aufzunehmen und Beweise zu sichern. „Jüngere Generationen haben damit weniger ein Problem. Anders ist das bei älteren Kollegen. Doch darf der Erfolg einer Anzeige nicht davon abhängen“, sagt Spies.

Bei der Recherche- und Ermittlungsarbeit spielen vor allem soziale Netzwerke eine Rolle. „Für die Polizei ist es nicht schwierig, sich hier Informationen zu beschaffen, sofern der Nutzer seine Privatsphäre nicht mit Bedacht schützt“, sagt Sebastian Barchnicki, Mitarbeiter des Instituts für Internet-Sicherheit if(is) an der Westfälischen Hochschule. Ein Facebook-Nutzer habe im Schnitt 229 Freunde. Dazu zählten etwa sieben quasi unbekannte Menschen, denen man seine Privatsphäre öffne, ohne sie wirklich zu kennen – auch, weil Kommentare über andere Profile geteilt werden könnten.

Dass sich Ermittler bei ihrer Online-Recherche öffentlich zugänglicher Informationen bedienen, ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung 2008 legitim. Das Bundesverfassungsgericht urteilte damals, dass es keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikationsinhalte erhebe, die sich an einen nicht weiter abgegrenzten Personenkreis richteten. Als Beispiele gelten zugängliche Webseiten, offenstehende Mailinglisten und Chats. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liege jedoch vor, wenn dabei ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation des Kommunikationspartners ausgenutzt werde, um persönliche Daten zu erheben, die ohne dieses Vertrauen nicht zugänglich wären.

Wie weit darf die Polizei gehen?

Zwischen 2009 und 2011 wurden laut Bundeskriminalamt in sechs Fällen virtuelle Ermittler eingesetzt, die „längerfristig und gezielt“ an der Kommunikation in sozialen Netzwerken teilnahmen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken zur „Nutzung sozialer Netzwerke zu Fahndungszwecken“ von 2011. „Wir bekommen etwa 20 Anfragen pro Woche. Dabei geht es meist um Bestandsdaten wie Name und Adresse. Oft sind es aber auch richterliche Anordnungen, die Einsicht in die Postfächer von Nutzern fordern“, sagt Kai Hummel, Sprecher des Netzwerks „Kwick“. Es handele sich dabei um Delikte wie Beleidigungen, Stalking, aber auch schwerwiegende Taten wie die Verbreitung kinderpornografischen Materials oder Amokdrohungen.

Indes nutzen manche Behörden das Netz bereits proaktiv. Acht Erfolge verzeichnete die Polizei Hannover nach eigenen Angaben bei der Fahndung nach mutmaßlichen Gewalttätern, Dieben und Vermissten durch ihre Facebook-Seite seit dem Start 2011. Sie hat heute über 110 000 Fans. Doch brachte die Ermittlungsform auch rechtliche Probleme und die Kritik von Datenschützern mit sich: über die Weitergabe von Daten an ein im Ausland tätiges Unternehmen oder wegen der Bilder von vermissten Personen, die für immer im Netz kursieren. Inzwischen werden auf der Seite nur noch die Links zu dem Fahndungsaufruf auf der offiziellen Internetseite der Behörde gepostet.

Doch selbst das ist bedenklich – zählt die Polizei bei den Reaktionen doch auf Nutzerkommentare bei Facebook. Nur zu viele geben dort, indem sie ihren Klarnamen, ihr Foto und weitere persönliche Informationen nicht oder nur unzureichend unter Verschluss halten, deutlich mehr preis als etwa via E-Mail. In Bezug auf das Recht der informationellen Selbstbestimmung von Nutzern bestehen da noch Unklarheiten. „Ein Eingriff liegt dann vor, wenn die im Internet erhobenen Daten gezielt zusammengetragen, gespeichert und ausgewertet werden. Dies ist der Fall, wenn das BKA im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren in sozialen Netzwerken recherchiert“, kritisiert der Bundesbeauftragte Peter Schaar in seinem 23. Tätigkeitsbericht von 2009 und 2010. Auch herrsche durch die polizeilichen Recherchen im Internet eine Rechtsunsicherheit in Bezug auf einen Eingriff in die Grundrechte. Der Datenschutzbeauftragte Dix hält eine klare, restriktive gesetzliche Regelung für geboten. „Dies gilt auch für den Einsatz von Staatstrojanern und die Vorratsdatenspeicherung, die ich ablehne.“ So kommt es, dass die Polizei im Netz nicht selten in einer Grauzone ermittelt. „In diesen Fällen müssen wir unsere Maßnahmen mit den Staatsanwaltschaften abstimmen und auf neue Rechtsauffassungen reagieren“, sagt Picko. Fest steht: „Wir können mehr, als wir dürfen.“

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