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Verrückt, nicht wahnsinnig. Polizist John River (Stellan Skarsgård) hat die Ermordung seiner Partnerin nicht verkraftet. In seiner Fantasie steht oder sitzt Kollegin Stevie immer noch neben ihm und nörgelt an ihm herum.

© BBC/Kudos/Nick Briggs

Krimi auf Arte: Der Gebrochene

Polizist führt Selbstgespräche mit Ermordeten – die große Krimiserie „River“. Mit einer derartigen physischen Wucht hat man Trauerarbeit in einem TV-Krimi noch nicht gesehen.

Etwas stimmt nicht mit diesem Ermittler. Er gestikuliert permanent, als würde er mit imaginären Gesprächspartnern debattieren. Eigentlich müsste man ihn vom Dienst suspendieren. Doch John River ist ein guter Polizist. Seine Aufklärungsquote liegt bei 80 Prozent. Die BBC-Serie „River“ entführt in die eigentümliche Welt dieses schrulligen Einzelgängers: ein seltsames Zwischenreich, in dem der Übergang zwischen den Toten zu den Lebenden, fiktiven Figuren und Menschen aus Fleisch und Blut fließend ist.

Gespielt wird dieser schrullige Vinyl-Hörer von Stellan Skarsgård, einem profilierten Darsteller, der zu Lars von Triers Stammpersonal zählt und in Nebenrollen von Hollywood-Blockbustern wie „Avengers: Age of Ultron“ zu sehen ist. Im Gegensatz zu seinen schwedischen Kollegen, die in Henning-Mankell- und Hakan-Nesser-Verfilmungen gebrochene Cops mit Alkoholproblemen verkörpern, erscheint das seelische Trauma dieses Polizisten glaubhaft. Das liegt am originellen Buch von Abi Morgan. Die britische Drehbuchautorin brachte das Kunststück fertig, dass man in Filmen wie „The Iron Lady“ sogar ein wenig Mitgefühl mit Margaret Thatcher bekam.

„River“, Morgans erste Cop-Serie, zeigt uns zunächst den trivialen Alltag dieses Ermittlers. Er kurvt mit dem Wagen durch die Straßen von London, verzehrt einen Burger, dann trällert seine überdrehte Kollegin ein kitschiges Disco-Lied im Autoradio mit. Singende Polizisten hat man ja schon im „Tatort“ mit Manfred Krug gesehen. Doch völlig unerwartet zeigt uns diese Serie – mit einem ebenso verblüffenden wie simplen Kunstgriff –, dass sich hinter der Fassade des graumäusigen Polizisten ein schräger Typ verbirgt.

„I love to love“ von Tina Charles

Er hat die Ermordung seiner Partnerin nicht verkraftet. In seiner Fantasie sitzt Stevie, glänzend gespielt von der ungemein präsenten Nicola Walker, immer noch auf dem Beifahrersitz und nörgelt an ihm herum: Mit einer derartigen physischen Wucht hat man Trauerarbeit in einem TV-Krimi noch nicht gesehen. Rivers seelischer Schmerz ist gewissermaßen der Hauptdarsteller dieser Serie. Alles wird durch dieses dunkle Prisma gebrochen.

Rivers Zwiegespräche mit Toten sind zermürbend. Sie helfen dem Polizisten bei der Aufklärung rätselhafter Fälle. Mit Mystery hat diese Wiederkehr des Verdrängten aber nichts zu tun. Skarsgård verschmilzt mit der Rolle dieses Kriminalermittlers, der weiß, dass er verrückt – aber nicht wahnsinnig ist. Er kann Verbrechen aufklären, jeder Small Talk überfordert ihn.

Die Serie erzählt von einem Menschen, den es ungemein anstrengt, seinen Kollegen Normalität vorzuspielen. Die Schwermut dieser Geschichten, die von einer betont langsamen, beinahe meditativen Inszenierung unterstrichen wird, könnte man kaum aushalten, wenn die düstere Stimmung nicht immer wieder durch Pop-Kultur geerdet würde. Ein kitschiger Disco-Heuler aus den 70er Jahren – „I love to love“ von Tina Charles – erweist sich plötzlich als Schlüsselmotiv, in dem Rivers Innenleben wie in einem Buch lesbar wird. Großes Fernsehen.

„River“, Arte, 20.15 Uhr, Folgen 4–6 am 8.2.

Manfred Riepe

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