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Manchmal will auch Kim (Maisie Williams) einfach nur Spaß haben.

© ZDF und Nick Wall

Knarre statt Degen: Die Emanzipation der Maisie Williams

Eremitin auf Rachefeldzug: „Game of Thrones“-Star Maisie Williams jagt in dem sechsteiligen Roadmovie „Two Weeks to Live“ den Mörder ihres Vaters.

Große Jungs und alte Männer, so lautet eine der wichtigen Erkenntnisse des Zeitalters voranschreitender Emanzipation, sollten große Mädchen und junge Frauen mal besser nicht unterschätzen. Ein gutes Beispiel dafür war jahrelang Arya Stark. Dass die anfangs noch unscheinbare Hauptfigur im „Game of Thrones“ machthungriger Clans und Cliquen wehrlos wirkte, haben Dutzende verwegener Kerle schließlich mit dem Leben bezahlt.

Wenn ein Imbiss-Besitzer ihre Figur nun in der Neo-Serie „Two Weeks to Live“ über den Tisch zieht und nebenbei seine Gattin erniedrigt, hat auch er die Rechnung folglich ohne Maisie Williams gemacht. Denn keine drei Minuten darauf liegt dieser schmierige Sexist übel zugerichtet vorm Tresen und zeigt dort eindrucksvoll, was das Publikum fortan knappe drei Stunden lang erwartet: ein großes junges Frauenmädchen, das man mal besser überschätzen sollte – sonst könnte es schmerzhaft werden, wenn nicht gar tödlich. Und das hat sie von Mama gelernt.

Als ihr Mann vor den Augen seiner kleinen Tochter vom gewissenlosen Gangsterboss Jimmy (Sean Pertwee) erstochen wurde, ist Tina Noakes (Sian Clifford) in die schottischen Highlands geflohen, um das Kindergartenkind Kim fernab der Zivilisation zur schlagkräftigen Überlebenskämpferin auszubilden. Mit Erfolg. Wenn der überbehütete Teenager nun 15 Jahre später von Hormonen geflutet aus der Einöde in die Großstadt flüchtet und den liebeswunden Nicky (Mawaan Rizwan) als ersten Ansprechpartner erwachender Fortpflanzungstriebe findet, scheint der Sechsteiler nur kurz Richtung Lovestory abzubiegen.

[„Two Weeks to Live“, ZDF-Mediathek]

Da sein Bruder Jay (Taheen Modak) Nickys verschwörungstheorieanfälligen Schwarm ein Märchen vom Atomkrieg auftischt, zieht sie den langgehegten Vergeltungsplan auf ihrer Liste nachzuholender Adoleszenz nämlich kurz vor und befindet sich Minuten später im Anwesen des Vatermörders. Von hier an wäre jedes weitere Detail eins zu viel, um der anschließenden Eskalationsspirale nicht alle Spannung zu nehmen. Schon früh allerdings deuten sich anschließende Verwicklungen an, die HBO Maxx nach minimaler Aufwärmphase in ein blutiges Roadmovie zwischen „Pulp Fiction“ oder „The End of the F***ing World“ verwandelt.

Immer mittendrin: Maisie Williams, die auch mit fast 25 Jahren noch locker als Siebtklässlerin durchgeht und doch vom Leben solcher Rollen schwer gezeichnet wurde. Ihre Eremitin auf Rachefeldzug im Mainstream, der hier freilich mit großer Freude am Irrealen in die Seitenarme der Mehrheitsgesellschaft fließt, reicht daher durchaus an ihre Fantasy-Kriegerin auf Rachefeldzug gegen die Lennisters heran und hilft ihr trotzdem dabei, sich von „Game of Thrones“ zu emanzipieren.

Kuriositätenkabinett schlagfertiger Absurditäten

Statt Fell und Degen darf sie im ZDF-Kanal Neo schließlich gegenwartsgerechte Doc Martens und Knarre tragen, während sie mit Lover in spe und gestohlenem Geldkoffer durchs Vereinigte Königreich flieht, das naturgemäß realistischer ist als die Sieben Königreiche von „GoT“. Einerseits. Denn andererseits macht der renommierte Fernsehregisseur Al Campbell („Code 404“) die Drehbücher der ungleich unerfahreneren Gaby Hull („Cheat“) streckenweise zum Kuriositätenkabinett schlagfertiger Absurditäten im Stile handelsüblicher Actioncomedy.

Wuchtig über den Kopf gezogene Schnapsflaschen sorgen darin nicht wie medizinisch zwingend geboten für Schädelbrüche, also Exitus, sondern allenfalls für Pausen epischer Kämpfe, an deren Ende mehrfach angeschossene Gegner verlässlich nochmals aufstehen. Und wenn sie doch irgendwann hinüber sind, dann natürlich mit lässigem Spruch („na leck mich doch“) auf den Lippen. Dass Frauen hier regelmäßig tougher agieren als selbst skrupellose Machos, darf man als Gleichberechtigungsinitiative im Testosteronbad handelsüblicher Verfolgungsthriller betrachten.

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Leider verkehrt die furchterregende Übersetzung den feministischen Besetzungsansatz flugs in einen misogynen Mix aus Sex-Hotline und Radio-Werbung, derweil Maisie Williams im Original eher androgyn intoniert. Dafür ist der Soundtrack des Duos Toydrum aus Bristol herausragend und gönnt sich anders als deutsche Referenzprodukte sogar Momente der Ruhe.

Fazit: Auf dem Weg zur privaten Emanzipation von „Game of Thrones“ ist „Two Weeks to Live“ ein großer Schritt für Maisie Williams, aber ein kleinerer für die Menschheit. Immerhin – Fans prickelnden Entertainments mit Pointen ohne soziokulturellen Tiefgang werden von dieser Free-TV-Premiere bestens bedient.

Jan Freitag

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