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In der Flut: Barbara (Ulrike Krumbiegel), Dixie (Sarah Alles) und Thomas Stille (Wolfgang Stumph) sowie die Hubertys (Robert Atzorn, Victoria Trauttmansdorff, v.l.).

© MDR/Conny Klein

Kein Pardon: Erbarmen, die Hessen kommen

Wenn Wiedervereinigung doch immer so einfach ginge: Ein Arte-Movie ringt um gesamtdeutsche Idylle.

Das Drama beginnt privat und endet national. Es ist zunächst nur die übliche Geschichte: Ein Ost-West-Restitutionsstreit um Recht und Eigentum, in diesem Fall um ein romantisch im sächsischen Müglitztal gelegenes Ausflugslokal. Um das kämpfen der Sohn des Alteigentümers, der die DDR mit acht verließ, und der jetzige Besitzer, der jahrzehntelang Zeit und Kraft und Geld in das verwahrloste Anwesen gesteckt hat. Erschwerend hinzu kommt eine zickige Frankfurter Staranwältin, die in High Heels durch den Matsch stolziert, und ein versoffener Ossi-Anwalt, der die Einspruchsfrist verpasst, weil er sich die Kante gegeben hat. Die Ehefrauen (Ulrike Krumbiegel, Victoria Trauttmansdorff) bemühen sich zwar um Mäßigung und Versöhnung. Aber die beiden Streithähne kennen kein Pardon.

Der erste Regentropfen auf der Scheibe lässt ahnen: Da kommt mehr. Das wird nass. Hässlich. Nicht umsonst sind im Vorspann auffällig oft Pfützen, Seen und Brücken über anschwellende Flüsse zu sehen. Es ist Sommer 2002, das Jahrhunderthochwasser an Elbe, Müglitz und Weißeritz steht bevor, eine Flutwelle, die Ost und West zu nie geahnter Solidarität verschweißte. Die Bundeswehr im Einsatz am Elbdeich, Matthias Platzeck in Gummistiefeln. Ist doch ein ideales Setting, um einen typischen Ost-West-Konflikt um Recht und Eigentum auf eine höhere Ebene zu heben, dachten sich die Verantwortlichen von Arte und MDR. „Stilles Tal“, Regie Marcus O. Rosenmüller, ist Ost-West-Versöhnung mit Katastrophenmitteln.

Denn ab jetzt verfolgt das Drehbuch von Michael Illner und Alfred Roesler-Kleint die Strategie der beständigen Spannungssteigerung. Was ist ein Restitutionsstreit gegen den drohenden Totalverlust des Hauses? Was eine Jahrhundertflut gegen eine Jahrhundertflut mit Herzkranken ohne Medikamente und einer schwangeren Frau kurz vor der Entbindung? Und was ist ein Ost-West-Streit gegen die beglückende Aussicht, gemeinsam die Versicherung betrügen zu können? Archivaufnahmen von überfluteten Straßen und Wiesen geben zusätzlich Dramatik hinzu. Ostdeutschland ist eine großartige Location, so viel steht fest.

Wenn man dem in seiner Dramaturgie recht vorhersehbaren Film dennoch gern folgt, liegt das vor allem an den Darstellern. Wolfgang Stumph und Robert Atzorn kosten den Konflikt weidlich aus. Stumph gibt den störrischen Sachsen Thomas Stille, der nicht einsehen will, dass Recht gilt, wo er Gerechtigkeit erwartet. Lieber verbarrikadiert er sich mit Frau und Tochter im Haus, ein Wüterich, der doch mit Herzblut an seinem Gasthaus hängt. Liebevoll streichelt er über die Fotografien an der Wand und gibt beim Seniorengeburtstag den Conferencier. Fotos vom Gasthof hängen allerdings auch bei dem schnöseligen Konrad Huberty (Atzorn) an der Wand, in seinem Edel-Hotel in Hessen, wo der Pensionär längst das Heft abgeben sollte zugunsten des Sohnes und nicht loslassen kann: „Kümmere dich um die Whirlpool-Lieferung. Und bloß kein Skonto für die Selbsterfahrungstruppe“, diktiert er ihm jeden Abend ins Telefon. Als er dann mit Ehefrau aufbricht zur Rückeroberung des Ostens, ist’s im Campingbus ein Gefühl ganz wie in alten Zeiten. Ja, damals…

Dass es hier um Familientraumata und ihre Wiedergutmachung gehen soll, wo offensichtlich Rechthaberei und Profitgier im Vordergrund stehen, glaubt man zwar kaum, aber egal. Am Ende hat die auf dem Speicher gefundene Zigarrenkiste mit den gehorteten Kinderschätzen selbst Hubertys Herz erweicht. Das Schlussbild zeigt eine mit den ergaunerten Versicherungsgeldern neu erstandene gesamtdeutsche Idylle. Wenn Wiedervereinigung doch immer so einfach ginge.

„Stilles Tal“, Arte, 20 Uhr 15

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