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Catherine Tait ist Präsidentin und Chief Executive Officer der Canadian Broadcasting Corporation/Radio-Canada. Sie arbeitet seit 2018 als CEO und ist die erste Frau in dieser Position.

© dpa

Kanadas öffentlich-rechtlicher Rundfunk CBC/Radio-Canada: „Wir leisten eine Menge für weniger Geld“

CEO und Präsidentin Catherine Tait im Interview über öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Kanada, Netflix und schwindendes Vertrauen.

Frau Tait, Sie haben als CEO für Canadian Broadcasting Corporation/Radio-Canada einen Kooperationsvertrag mit dem ZDF unterzeichnet. Was soll diese Zusammenarbeit bringen?
Wir verbinden damit drei Ziele. Erstens ist es ein gutes Geschäft. Partnerschaften und Koproduktionen mit dem ZDF, der BBC oder der australischen ABC helfen uns, die Qualität unserer Inhalte zu maximieren und den Bekanntheitsgrad kanadischer Autoren, Schauspieler und Regisseure zu erhöhen. Zweitens stehen alle öffentlich-rechtlichen Sender vor den gleichen Herausforderungen – das Konzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss aktiv verteidigt werden. Umso besser, wenn wir da mit einer Stimme sprechen. Die Kooperation mit dem ZDF bedeutet zudem die gemeinsame Entwicklung von Inhalten – Fiktion, Live-Events, Dokumentationen – auf allen Plattformen und Zusammenarbeit beim Kampf gegen Fake News.

Das ZDF wird wie der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland über einen Beitrag von 17,50 Euro im Monat, den alle Haushalte bezahlen müssen. Beneidenswert, oder?
Wir leisten eine Menge für weniger Geld. Jeder Kanadier zahlt im Jahr rund 23 Euro für Hörfunk, Fernsehen, Online von CBC/Radio-Canada. Unser Jahresbudget beläuft sich auf etwa 1,2 Milliarden Euro. Das ist nicht üppig. Unter 18 OECD-Staaten liegt Kanada, was die öffentliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeht, auf Platz 16, Deutschland auf Platz vier. Dabei arbeiten wir für sechs Zeitzonen, in zwei offiziellen Sprachen – englisch und französisch – sowie in acht indigenen Sprachen.

Geld aus der Staatskasse

Der Etat für CBC/Radio-Canada kommt vornehmlich aus der Staatskasse. Schränkt das die Unabhängigkeit ein?
Nein, der „Broadcasting Act“ garantiert unsere Unabhängigkeit per Gesetz, speziell werden Journalismus, Programmierung und kreative Aktivitäten respektiert und geschützt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind keine Staatsangestellten. Wir sind ein öffentlicher Rundfunk – kein Staatsrundfunk. Ich als CEO zum Beispiel kann nicht ohne sehr guten Grund aus dem Amt entfernt werden.

Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland sind unter Druck. Da sind die Streamingdienste, da sind populistische Parteien wie die AfD, die die Etats deutlich kürzen, wenn nicht ARD, ZDF und Deutschlandradio abschaffen wollen. Ist diese Situation vergleichbar mit der von CBC/Radio-Canada?
Die Disruption betrifft unsere gesamte Industrie, nahezu alle öffentlich-rechtlichen Anstalten sind weltweit unter Druck. Aber es ist nicht so, dass die Digitalgiganten wie Netflix nur unsere Feinde sind. Sie bringen uns allen unglaubliche Inhalte, sie ermöglichen – wie beispielsweise Netflix mit „Schitt's Creek“ – Storys und Produktionen aus Kanada weltweite Verbreitung und Beachtung.

Unsere Aufgabe ist natürlich die Unterstützung, die Entwicklung kanadischer Künstler und Autoren, das Aufzeigen und Darstellen kanadischer Perspektiven, kanadischer Kultur – das ist unser Job als nationaler Rundfunk.

Prinzipien sind unabhängig von der Politik

Der britische Premierminister Boris Johnson plant, die Fernsehgebühr für die BBC durch ein Abo-Modell zu ersetzen. Zugleich sollen Programme entfallen. Planen die Konservativen in Kanada ähnliches, sobald sie wieder an der Macht sind?
Egal, welche Partei die Regierung stellt – unsere Prinzipien und Prioritäten bleiben unverändert, also die Nachrichten und die Demokratie zu stärken, junge und diverse Kanadier für unsere Programme und Inhalte zu gewinnen. Sehen Sie, 84 Prozent aller Kanadierinnen und Kanadier nutzen wenigstens einmal im Monat unsere Services. Jeder Kanadier hat eine Meinung zu CBC/Radio Canada – ich liebe das.

Die öffentlichen Medien sind auch ein wichtiger Wachstumsfaktor. Jeder Dollar, der in CBC/Radio Canada investiert wird, löst drei Dollar an Investitionen aus. Das sind die Fakten, an die wir die Bürger und die Regierung immer wieder erinnern müssen.

In einem Artikel für die „Financial Times“ haben Sie geschrieben: „Eine Welt ohne öffentlich-rechtliche Medien wäre ein dunklerer Ort.“ Vor diesem Hintergrund: Warum hat auch CBC/Radio-Canada mit einer Erosion an Unterstützung zu kämpfen?
Die wahre Herausforderung für unsere Demokratien ist der Einfluss des Internets und der sozialen Medien, die den öffentlichen Diskurs auf Plattformen treibt, die für kommerzielle Ziele optimiert sind. Zudem werden die über Gebühren, Beiträge und Steuern finanzierten Sender überall auf der Welt der politischen Voreingenommenheit bezichtigt – trotz unserer robusten Sicherungsmaßnahmen für unsere journalistischen Standards und Praktiken.

Natürlich müssen wir uns unserer glaubwürdigen Nachrichtenquellen ständig versichern und das Vertrauen in der Öffentlichkeit stabilisieren und ausbauen. Vertrauen ist die wichtigste Qualität überhaupt für zukunftsfähige Medienunternehmen.

Das ist das eine. Wie reagiert CBC/Radio- Canada auf den Aufstieg von Streaming-Plattformen? Der Marktanteil des CBC-Fernsehens im englischsprachigen Teils von Kanada liegt bei sieben Prozent, im französischsprachigen Teil bei 28 Prozent. Wo das US-amerikanische Netflix auftaucht, wird es für das öffentlich-rechtliche Fernsehen schwierig.
Ja, Netflix wächst in Kanada weiter. Und öffentlich-rechtliche Sender müssen sich der Herausforderung ausländischer Originals stellen, wir reden da von einer Herausforderung von 120 Milliarden Dollars. Aber da eröffnen sich auch Chancen: Ein globales Publikum kann via Streaming authentisch kanadische Stoffe kennenlernen – siehe „Kim's Convenience“ oder jetzt bei der Berlinale „C'est comme ca que je t'aime“. Dann gehören unsere Podcasts zu den weltweit erfolgreichsten.

Fake News als Herausforderung

Hat auch Ihr Sender mit Fake News zu kämpfen? Wie sieht es mit der Glaubwürdigkeit beim Publikum aus?
Ja, Desinformation ist für CBC/Radio-Canada eine echte Herausforderung. Andererseits werden unsere Programme als die glaubwürdigste Nachrichten- und Informationsquelle überhaupt beurteilt. Überprüfung und Faktencheck sind die Säulen unserer Berichterstattung.

Wie steht es um Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, beides wachsende Probleme in der deutschen Gesellschaft?
Zur Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört auch, eine Pluralität der Stimmen und der Sichtweisen zu befördern und zu ermutigen. Wir müssen Menschen zueinander bringen und vernetzen. Zudem müssen wir klarmachen, was wir gemeinsam haben und was uns trennt – sprich die Diversität, die Rassen und die sexuelle Orientierung der Menschen reflektieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss ein sicherer Platz sein für den zivilen, zivilisierten Austausch unter und zwischen den Bürgern. CBC/Radio Canada ist ein elementarer Teil der kanadischen Kultur.

Das Interview führte Joachim Huber.

Catherine Tait ist Präsidentin und Chief Executive Officer der Canadian Broadcasting Corporation/Radio-Canada. Sie arbeitet seit 2018 als CEO und ist die erste Frau in dieser Position seit Gründung von CBC im Jahr 1936. Ihr erster Arbeitsplatz ist in Kanadas Hauptstadt Ottawa. Der öffentlichrechtliche Sender hat rund 7500 Mitarbeiter. Tait leitete zuvor unter anderem das Medienunternehmen Duopoly Inc. in New York City.

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