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Kundgebung gegen die staatlichen Corona-Regeln Mitte September im hessischen Wiesbaden.

© Andreas Arnold/dpa

Journalisten bei Corona-Demos: „Berichterstattung wird zum Spießrutenlauf“

Pressevertreter werden bei Corona-Demos bespuckt, bepöbelt, bedroht. Die Journalistenverbände sind alarmiert - auch mit Blick auf „Querdenken“ in Leipzig.

Von Matthias Meisner

Für Johannes Filous war es ein Déjà-vu. Seit Jahren berichtet der Dresdener Reporter für den Twitter-Account „Straßengezwitscher“ von rechten Demonstrationen in Sachsen. Aber so in die Enge getrieben wie am vergangenen Samstag beim Protest der radikalen Coronaskeptiker von „Querdenken“ auf dem Dresdener Theaterplatz hat er sich nach eigenen Angaben seit 2015 nicht mehr gefühlt.

Damals war er in der Kleinstadt Freital bei Dresden unterwegs, als rassistische Demonstranten gegen neu eintreffende Flüchtlinge auf die Straße gingen. Und den jungen Journalisten und seinen Kollegen, die live berichteten, verfolgten und bedrohten. „Wir hatten richtig Angst“, sagte er 2015.

„Ganz gezielt“ sei er auch am Samstag in Dresden aus einer Gruppe von mindestens sechs vollvermummten jungen Männern ins Visier genommen worden, berichtet Filous. Sehr organisiert seien sie aufgetreten, hätten versucht, ihn zu isolieren. Die Gruppe sei auf der „riesengroßen, sehr heterogenen Schwurbler-Demo“ klandestin vorgegangen, habe ihn verfolgt und versucht, ihn zu isolieren.

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„So unwohl wie an diesem Abend habe ich mich lange nicht gefühlt“, sagt Filous: „Das hat sich angefühlt wie Freital.“ Die Polizei stand ihm nicht als Helfer nicht zur Verfügung, beklagt er: „Die waren komplett überfordert, viel zu wenige. Zum Glück ist am Ende nichts passiert.“

DJV beobachtet gezielte und organisierte Bedrohungen

Für den Deutschen Journalistenverband (DJV) in Sachsen waren dieser und andere Vorgänge jetzt Anlass für eine deutliche Warnung - zumal es bei den Journalisten-Organisationen Befürchtungen gibt, Übergriffe gegen Pressevertreter könnten sich an diesem Samstag beim „Querdenken“-Protest in Leipzig, zu dem bundesweit mobilisiert wird, in noch ganz anderer Qualität wiederholen.

DJV-Landesgeschäftsführer Lars Radau spricht mit Blick auf Dresden von „gezielten und organisierten Bedrohungen“ der Medienvertreter. Auch in Leipzig müsse damit gerechnet werden. Konkrete Tipps für Reporter: Zusammen mit Kolleginnen oder Kollegen über Demonstrationen berichten, auf die Polizei zugehen. Nach Möglichkeit solle der Arbeitgeber einen Sicherheitsdienst stellen.

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Der freie Journalist Henrik Merker, der unter anderem für den „Störungsmelder“ von „Zeit online“ berichtet, machte in Dresden ähnliche Erfahrungen wie Filous. Er und ein Begleiter wurden auf der Demonstration angebrüllt, verfolgt und bedroht. Ein Rechtsradikaler habe eine Rangelei begonnen - die Polizei aber nicht eingegriffen, obwohl Beamte in Sichtweite im Auto gesessen hätten.

dju: Deutschland ist kein weißer Fleck in der Pressefreiheit

Keine Einzelfälle: Jörg Reichel, Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Gewerkschaft Verdi, spricht von einem „bundesweiten Phänomen“. Besonders betroffen sind nach seinen Recherchen Kameraleute und Fotografen.

Und auch wenn die Lage für Reporter, die etwa über die Massenproteste in Belarus oder aus Bürgerkriegsgebieten berichten, noch bedrohlicher sein mag: „Deutschland ist kein weißer Fleck mehr in der Pressefreiheit“, sagt Reichel. „Deutschland hat erkennbare Probleme, den Schutz von Journalistinnen und Journalisten sicherzustellen.“ Gerade bei den Coronaprotesten gehe „eine Misstrauensgemeinschaft“ auf die Straße, Bürgertum gemeinsam mit Rechtsradikalen: „Der Kitt zwischen den unterschiedlichen Gruppen sind der Antisemitismus und Fake News aus den alternativen Wissensgemeinschaften.“

Im Ergebnis zählte die dju allein in Berlin im vergangenen halben Jahr mehr als 100 Fälle, in denen Journalisten bei Coronaprotesten bedrängt, mit dem Tode bedroht, in der Pressearbeit behindert wurden. Etwa zehnmal seien Pressevertreter in der Hauptstadt geschlagen und getreten worden. „Die Polizei schaut in der Regel weg und greift nicht ein.“

Symbolisch gelynchte „Corona-Presse“-Puppe

„Die ,Querdenker‘-Szene radikalisiert sich rasend schnell“, erklärt auch der Sprecher des DJV, Hendrik Zörner: „Bei Drohungen oder gar Gewalt gegen Journalisten muss der Staat eingreifen, und zwar schnell.“

Eine Umfrage des Tagesspiegels bringt zahlreiche Beispiele für Übergriffe zutage. So sind regelmäßig Journalisten von Radio Dreyeckland von Corona-Rebellen „behindert, beleidigt und angegangen worden, zwei Mal körperlich“, heißt es aus Freiburg. Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali sammelte vergleichbare Erfahrungen in Berlin.

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In Minden wurde eine symbolisch gelynchte „Corona-Presse“-Puppe an eine Brücke gehängt. Reporter aus Aachen, Weiden in der Oberpfalz und Rostock schilderten weitere bedrohliche Vorfälle. Der Tagesspiegel-Kollege Julius Geiler wurde von „Querdenken“-Anhängern sogar mit dem Tod bedroht.

Das Medienmagazin „Journalist“ berichtet über weitere Fälle - etwa den eines Reporters von „Spiegel TV“, der bei den Coronaprotesten an der B 96 bei Bautzen war: Das Team hatte gerade zu drehen begonnen, da bekam der Kameramann nach einem kurzen Wortwechsel einen heftigen Faustschlag verpasst. Im Magazin „Der rechte Rand“ wird geschildert, wie Reporter aggressiv bedrängt wurden, die Proteste in Berlin beobachteten, die dort der rechtsextreme Vegan-Koch Attila Hildmann organisiert hatte.

Ähnlich wie 2015 bei „Nein und Heim“ und Pegida

Der TV-Journalist Arndt Ginzel vom ZDF-Magazin „Frontal 21“ sagt dem Tagesspiegel, mit zunehmender Radikalisierung der Coronaproteste wachse auch die Aggression gegen Journalistinnen und Journalisten: „Das hat auch damit zu tun, dass es der Bewegung nicht gelungen ist, sich gegen Rechtsextreme und Verschwörungsideologen abzugrenzen.“

Auch für Samstag zur „Querdenken“-Großdemonstration in Leipzig hätten sich organisierte Neonazis angekündigt. „Es steht zu befürchten, dass Reporter beschimpft, bespuckt, bedroht und körperlich attackiert werden. Die ,Lügenpresse‘-Rufe, die es schon bei den ,Nein zum Heim‘-Initiativen und Pegida 2015 gab, werden sich wiederholen.“ Ginzel stellt fest: „Berichterstattung wird so zum Spießrutenlauf.“

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