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Friedrich Nowottny.

© WDR

Interview: "Wer soll das sehen wollen?"

Inflation der Talkshows: Der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Friedrich Nowottny, ist skeptisch bei den Folgen des Jauch-Wechsels zur ARD.

Herr Nowottny, Günther Jauch geht zur ARD. Ein klarer Zugewinn für das Erste?
Das wird sich zeigen. Ich kenne Herrn Jauch, da war er als junger Mann beim Bayerischen Rundfunk in Bonn und saß eine Etage unter mir. Ob er da schon politischen Journalismus gelernt hat, das kann ich nicht beurteilen.

Skeptisch?

Herr Jauch ist eine in allen Systemen einsetzbare Wunderwaffe unter den Talkmastern. Ich gehe davon aus, dass er seine neue Aufgabe in seiner unnachahmlichen Art lösen wird. Er ist so vielfältig erfahren, dass er eine, seine politische Talkshow bestimmt schultern wird.

Jauch heißt der Sieger der Operation, wer sind die Verlierer?

Alle, die ihre Sendung vom Herbst 2011 an verlegen müssen, also erst um 22 Uhr 45 beginnen können. Anne Will und Frank Plasberg werden es schwer haben.

Wie finden sie Doppelrolle von Günther Jauch bei ARD und RTL?

Die ARD hat sich sicher die Frage gestellt, ob ihr politischer Talkmaster eine programmprägende Rolle spielen kann, wenn er diese Rolle auch bei RTL als „Millionär“ spielt. Wie sich diese Rollen vertragen, wird man sehen. Am Freitag „Millionär“ im privaten Fernsehen, am Sonntag Talkmaster im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, am Montag wieder „Millionär“. Das wäre gewöhnungsbedürftig und macht einen kühnen Spagat notwendig.

Würden Sie Anne Will raten, die ARD zu verlassen?

Ich habe niemandem etwas zu raten, das sind alles gestandene Leute, die selber wissen, was sie tun. Ob Frau Will versucht, einen anderen Sender zu finden, ob sie eine andere Talkshow machen wird oder nur mit „Anne Will“ in die Woche rückt, das wird auch davon abhängen, was Herr Jauch machen wird. Ob er das Format „Anne Will“ nur übernimmt, so wie es Frau Will von Sabine Christiansen übernommen hat, oder etwas völlig Neues macht. Ich weiß es nicht, vielleicht weiß er es selber nicht. Das ist ja ein Trost, man ist ja vor Innovationen nie ganz sicher.

Ist das Engagement von Jauch all diese Wenns und Abers wert?

Das wird der Zuschauer entscheiden. Auf jeden Fall sind die Plätze am Sonntagabend mit „Anne Will“ und der Mittwochabend, den Frank Plasberg mit „Hart aber fair“ aufgebaut hat, die erfolgreichsten Talkplätze der ARD.

Nach den ersten Planungen wird es im Herbst 2011 im Abendprogramm des Ersten von Sonntag bis Donnerstag drei politische und zwei weitere Talkshows geben. Wer braucht das?

Wenn es so kommt, dann gehen gewohnte Rituale ihrem Ende entgegen. Jeden Abend Talkshow um 22 Uhr 45 allein in der ARD, wer soll das sehen wollen? Nur noch die Schlaflosen. Und die armen Redaktionen, wo sollen die nur die Besetzungen für diese Talkshows her bekommen? Zwar ist es Plasberg gelungen, mit „Hart aber fair“ eine Innovation ins Format zu bringen, trotzdem kann man Talkshows auch zu Tode reiten. Wenn immer dieselben Gesprächspartner auftauchen, können Sie das vergessen, dann werden die Zuschauer abwandern. Schon heute ist es doch so, dass zu oft die immer gleichen Köpfe das immer Gleiche sagen.

Was halten Sie von folgender Überlegung? Frank Plasberg rückt mit „Hart aber fair“ am Mittwoch auf 21 Uhr vor und läuft bis zu den „Tagesthemen“ um 22 Uhr 15.

Ich finde, das ist ein sehr guter Vorschlag. Das gäbe dieser Innovation auch den angemessenen Platz. Wer sich das wohl ausgedacht hat.

Immerhin: Die „Tagesthemen“ bekommen unter der Woche einen einheitlichen Startplatz um 22 Uhr 15. Da müssen wir doch alle Opfer bringen, oder?

Das ist der einzige Vorteil, den ich bei dieser Operation sehe. Eine Nachrichtensendung muss verlässlich und pünktlich beginnen, obwohl die Rolle der „Tagesthemen“ gegenüber dem „heute-journal“ im Zweiten immer schwieriger wird.

Das Interview führte Joachim Huber.

Friedrich Nowottny, 81, moderierte bis 1985 den „Bericht aus Bonn“, danach war er zehn Jahre lang WDR-Intendant. Heute diskutiert er bei Phoenix über Deutschland in der Krise (22.15).

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