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Rik De Lisle

© Berliner Rundfunk

Interview mit Rik De Lisle: „Ich trank in besetzten Häusern Bier“

Zwischen Vietnam, AFN und dem Berliner Rundfunk: Interview mit Rik De Lisle, einem der dienstältesten Moderatoren der Stadt.

Von Barbara Nolte

Er gehört zum Inventar von West-Berlin, der Vier-Mächte-Stadt: Rik De Lisle, Staff Sergeant der US-Airforce, Vietnam-Veteran, der zwischen 1978 und 1984 auf dem Armeesender AFN Berlin die meistgehörte Radiosendung der Stadt moderierte: „Good Morning, Berlin!“. 1985, mit Mitte 30, wechselte De Lisle zum Rias. Aus der Zeit stammt die Begrüßungsfloskel: „Icke bin’s, der alte Ami!“

Mittlerweile ist er in den Slogan hineingewachsen: Er ist 73 – und immer noch täglich auf Sendung, beim Berliner Rundfunk. Am vergangenen Donnerstag um 9 Uhr erreicht man ihn telefonisch dort. Sein Producer und er sind die Einzigen auf den Redaktionsfluren. Eine Covid-19-Schutzmaßnahme. „Die wollten den alten Mann schon nach Hause schicken, bis alles vorbei ist“, sagt De Lisle. Er habe darauf bestanden, weiterzumachen.

„In Krisenzeiten brauchen Menschen Beständiges. Ich habe immer gesendet: Im heißen Krieg in Südostasien, im Kalten Krieg im eingemauerten Berlin. Jetzt durch die Corona-Pandemie hindurch.“ Fünf Wochen zuvor war noch viel los im Sender oberhalb des Einkaufszentrums „Schloss“ in Steglitz. Obwohl die Social-Distancing-Regeln lockerer waren, ließ De Lisle einen nicht zu sich ins Studio.

Nach der Sendung traf man ihn im Konferenzraum. Breit lachend saß er vor einer Keks-Schale. Zuschauer würden ihn irritieren, entschuldigte er sich.

Herr De Lisle, Sie …
… Rik, bitte! Mein Verständnis von einem Discjockey, wie ich einer bin, ist es, nahbar zu sein.

Ok, Rik. Sie zählen zu den dienstältesten Moderatoren der Stadt. Nicht nur die Radiolandschaft, ganz Berlin hat sich seit Ihren Anfängen stark verändert. Was ist an Ihrer Arbeit anders geworden?
Früher habe ich mir zu Hause einen Koffer mit Platten für die Sendung gepackt: Man brauchte zwölf, dreizehn Stück pro Stunde. Ich nahm ein paar mehr mit, falls ich meine Meinung ändern sollte. Die Sendung war wie eine Ein-Mann-Disco – anstrengend. Anschließend sah ich oft aus, als käme ich aus einem Boxkampf. Heute erledigt alles ein Computer.

Speisen Sie selbst die Musik in den Computer ein?
Nein. Durch Untersuchungen weiß man heute recht präzise, was die Hörer einer bestimmten Welle mögen. Nach diesen Vorgaben macht dann ein Computer den Mix. Ich schicke der Redaktion Listen von Songs, zu denen ich Geschichten erzählen möchte. Die werden untergemischt.

Wurden Sie zum Armee-DJ ausgebildet?
Zum Radio- und Fernsehspezialisten. Allerdings wurde ich bereits vor Lehrgangsende von Indianapolis nach Thailand versetzt. Ein Flugzeug, das aus Vietnam kam, war auf die Radiostation einer Militärbasis gestürzt – ausgerechnet zum Schichtwechsel. Die komplette Mannschaft des Senders war tot.

Haben Sie im Vietnamkrieg auch gekämpft?
Nein. Eine Zeit lang musste ich Videos von Zielkameras auswerten, die an Militärflugzeugen angebracht waren. Zur Kontrolle. Wenn die Besatzung sagte: Wir haben zehn Panzer abgeschossen. Dann sah ich: Es waren fünf Wasserbüffel.

Schreckliche Bilder?
Eher abstrakt. Und die anderen mussten fliegen, ich musste mir nur die Bilder angucken, Bier trinken, Pizza essen.

In Berlin gab es, als Sie Ende der 70er herkamen, eine starke linke Szene – mit wenig Sympathie für Vietnam-Veteranen. Wie kamen Sie hier zurecht?
Super! Frankfurt, wo ich zuvor war, erlebte ich als feindselig. Dort hingen sogar manchmal Schilder an Kneipen: GIs unerwünscht. In Berlin herrschte mehr so die Stimmung: Wir müssen miteinander auskommen, wir sind hier zusammen eingemauert. Ich trank sogar in besetzten Häusern Bier. Viele Künstler kamen in meine Sendung: wie Nina Hagen und Herman Brood, die bei mir zusammen „True Love“ sangen. Wir von AFN waren die Einzigen, die rund um die Uhr Popmusik spielten. Im SFB liefen morgens noch Operetten.

Waren Sie als US-Soldat meist im amerikanischen Sektor unterwegs?
Nein! Es war von der Armeeführung sogar gewünscht, in Uniform nach Ost-Berlin zu fahren, um Präsenz zu zeigen. Man konnte dort preiswert einkaufen.

Der Rias, für den Sie in den 1980ern arbeiteten, sendete für den Osten. Ein deutsch-amerikanisches Gemeinschaftsprojekt.
Die Deutschen haben das Ding gerockt. Die Amerikaner riefen einmal in der Woche in der Redaktion an: „Sie haben gerade Besatzungstruppen gesagt. Es heißt Alliierte. Bitte das nächste Mal dran denken!“

Wie kam es, dass Sie beim Rias anfingen?
Der U-Musik-Chef des Senders, der dieselbe Stammkneipe hatte wie ich, hatte mir den Job angeboten. „Ich kann kein Deutsch“, sagte ich. Er antwortete: „Du brauchst nur vier Worte: Das war Bruce Springsteen, hier ist Tina Turner. Schon hast du eine Sendung auf Deutsch gemacht!“

Sie ironisierten sich in Ihrer Morgensendung selbst als „alten Ami“.

Das kam so: Eine Frau verspätete sich zu einer Redaktionskonferenz. Ich sagte: „Wir warten alle auf dich!“ Sie antwortete: „Du alter Ami, du altes Knallbonbon, halt die Klappe!“ Alle lachten. Meine Frau meldete sich am Telefon immer mit: „Icke bin’s!“ Ich habe beides kombiniert.

Noch in den 90ern waren Sie Programmchef des Senders, der inzwischen RS2 hieß.
Nach der Wende wurde ich aber erst mal entlassen. Der Sender war privatisiert worden. Damals sagte man mir: „Es gibt bei uns keinen Platz mehr für einen Klassenclown am Morgen.“ Ein Jahr später traf ich bei einem Konzert zufällig einen Gesellschafter von 94,3 RS2. Er fragte, ob ich womöglich wieder einsteigen würde. Der Sender war von 300 000 Hörern pro Stunde auf 60 abgestürzt. So kam es, dass ich als Programmchef zurückkehrte, nachdem ich als Klassenclown entlassen worden war.

Die Bezeichnung Klassenclown hat Sie sehr gekränkt.
Ach, erst mal finde ich es einen niedlichen deutschen Begriff. Und Erfolg ist die beste Rache. In fünf Jahren standen wir bei den Hörerzahlen wieder an der Spitze der Berliner Privatradios.

Zwischen 1995 und 2007 berieten Sie Radios in Osteuropa. Können Sie kurz erklären, wie man die Musik in einer Radiostunde plant?
Es gibt tausend Wege. Ich habe immer gesagt: Ein schneller Titel am Anfang, damit die Leute nicht gleich einpennen. Ungern zwei Frauen hintereinander – die Stimmen klingen zu ähnlich.

Warum laufen eigentlich überall im Radio dieselben Titel – als gäbe es ein neues Volksliedgut, das nur aus 50 Stücken besteht?
Nun, ein normaler Mensch kann nur ein Dutzend Songs im Kopf behalten. Das sind die, die er jederzeit hören möchte. Meistens sind sie mit Erlebnissen verknüpft: dass ein Song populär war, als der- oder diejenige sich zum ersten Mal geküsst oder Sex hatte.

In den 90ern haben sich oft Leute bei Techno geküsst. Trotzdem läuft die Musik kaum im Radio.
Dass das Radio damals Techno ignoriert hat, war ein erster großer Fehler. Ein Teil des Publikums war gezwungen, die Musik woanders zu hören.

Was hören Sie selbst im Radio?
50er-Jahre-Musik, aber auch Krimis aus der Zeit. Damals haben Stars wie Humphrey Bogart Radio gemacht. Die ganze Nacht durch höre ich so was bei Internetradios, die sich darauf spezialisiert haben: über Kopfhörer, damit ich meine Frau nicht störe.

Sie schlafen schlecht.
Nein. Nächtliches Radiohören ist eine Angewohnheit aus der Zeit, als ich Programmchef war. Wenn irgendwer etwas falsch gemacht hat, bin ich aufgewacht und habe gleich angerufen.

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