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Auch ein Plädoyer für Organspendeausweise. Jutta Speidel und Herbert Herrman in Rainer Erlers Sci-Fi-TV-Film-Klassiker „Fleisch“.

© ddp images

Interview mit Rainer Erler: „Ich hatte alle Freiheiten“

Regisseur Rainer Erler über TV-Film-Budgets, Hollywood-Gagen, Ethik und das Fiction-Thema Corona.

Rainer Erler, 87, einer der profiliertesten Autorenfilmer Deutschlands, schuf mit „Das Blaue Palais“ und „Fleisch“ Fernsehgeschichte. Demnächst erscheint eine DVD-Blue-Ray-Edition.

Herr Erler, die meisten Ihrer Filme untersuchen gesellschaftliche Themen wie Kernenergie, Atommüll, Ethik in der wissenschaftlichen Forschung, Genmanipulation oder Organhandel. Gibt es heute ein Thema, dass Sie fasziniert?

Grundsätzlich: Mich interessiert, was morgen mit uns geschehen wird. Daher fand ich das Prädikat „prophetisch“, das mir freundlicherweise verliehen wurde, für durchaus angemessen.

Sie haben das Genre des Science-Thrillers quasi erfunden. In den 1960er Jahren drehten Sie allerdings noch allegorische Mysterienspiele über die Wirtschaftswunder-Ära wie „Seelenwanderung“, pointierte Krimis wie „Lydia muss sterben“ oder mit „Der Attentäter“ den ersten Film über Widerstandskämpfer Georg Elser. Wie kamen Sie 1970 zu „Die Delegation – eine utopische Reportage“?
„Seelenwanderung“, ursprünglich fürs Fernsehen produziert, lief wochenlang in Programmkinos. Ab da hatte ich die freie Wahl in Themen und Gestaltung. Die Frage „Sind wir allein in diesem unendlichen Universum?“ hat damals nicht nur mich fasziniert. Stanley Kubricks Meisterwerk „2001: Odyssee im Weltraum“ oder Erich von Dänikens Bücher kamen fast zeitgleich mit „Die Delegation“ heraus, wo der leider früh verstorbene österreichische Schauspieler Walter Kohut als zuerst skeptischer, dann an die Existenz von Ufos glaubender Journalist die Idealbesetzung war.

1974 haben Sie mit dem Fünfteiler „Das Blaue Palais“ die wohl beste deutsche Science-Fiction-Serie mit internationalem Cast an Originalschauplätzen in Thailand, Hongkong oder den USA gedreht. Was ist Ihre Lieblingsfolge?
Von Seiten des Publikums immer wieder zitiert: „Unsterblichkeit“, wo die freigesetzten, unsterblichen Taufliegen das Ende unserer Zivilisation bedeuten könnten. Apokalypse mit „einem winzigen Pärchen von Drosophylla“, ohne Atombomben oder Kometen-Einschlag.

Ihr größter Erfolg war 1979 „Fleisch“, mit Jutta Speidel und Herbert Herrmann, der vom Organraub in den USA handelt. Das Publikum war mitgerissen und verstört. Genau das, was sie erreichen wollten?
Mein Film war auch ein Plädoyer für Organspendeausweise. „Was ist der Mensch wert, so in Dollar und Cent…?“, fragt im Titel-Song Ron Williams, der auch in der Hochzeitsszene am Anfang mitspielte. Aber nach wie vor werden Verstorbene verbrannt oder verscharrt, obwohl Organe dringend benötigt werden, um Leben zu retten.

Stimmt es, dass Sie beinahe mit dem ebenfalls sehr umweltbewussten Hollywood-Star Robert Redford zusammengearbeitet hätten?
Es war eine Idee. Hollywood-Gagen sind unerschwinglich für uns. Das Projekt war mein Roman „Ein Feuerzeichen“, den ich leider nicht mehr verfilmt habe.

Regisseur Rainer Erler
Regisseur Rainer Erler

© promo

Da Sie häufig brisante Themen anrührten: Waren die Dreharbeiten mitunter auch gefährlich?
So im Nachhinein: Ich hätte wider besseres Wissen diverse Situation besser vermieden. Zum Beispiel Dreharbeiten in Brasilien für „Plutonium“, wo unser belichtetes Material von der Regierung beschlagnahmt wurde. Wir haben die Rollen nie mehr wiederbekommen. Aber wir drehten alles doppelt. Das Duplikat hatte dann meine Frau in ihrer Handtasche.

War es in den 1970er und 80er Jahren eher möglich, im Fernsehen unterhaltsame Filme mit Anspruch zu machen?
Vielleicht. Ich hatte jedenfalls alle Freiheiten, und ich habe sie genutzt. Zwölf Jahre war ich bei der „Bavaria Atelier“ als freier Regisseur, Produzent und Autor. Die Bavaria wiederum fungierte als Auftragsproduzentin für SWR und WDR, das waren die eigentlichen Eigentümer der Geiselgasteiger Studios. Als wir, meine Frau Renate und ich, uns selbständig mit der Pentagramma Filmproduktion machten, war unser Auftraggeber in erster Linie das ZDF. Jedes Jahr ein Film. Wie wir mit den stets knappen Fernsehspiel-Budgets der Sender Kinofilme machen können, das war nur unser Problem.

Warum war nach „Die Kaltenbach-Papiere“ für die Ufa Fernsehproduktion Berlin 1991 Schluss mit Ihren Science-Thrillern im Fernsehen?
Es war überhaupt ein Schlusspunkt. Ich war 60. Es kamen noch zwei Versuche: Die Bücher „Ein Feuerzeichen“ und „Delay“. Aber nochmal zwei Filme? Nein! Es war genug.

Sie leben seit langen in Western Australia. Auch deswegen, weil der Prophet im eigenen Land nichts zählt?
Es hat sich lediglich so ergeben. Ich habe in über 30 Ländern Filme produziert. Darunter eben auch Western Australia. Für „Das schöne Ende dieser Welt“ reisten meine Frau und ich mit Tochter Tatjana das erste Mal im Dezember 1981 nach Australien. Ab 1982 sind wir regelmäßig von November bis April vor dem bayerischen Winter nach Perth „geflüchtet“.

Ihre Filme kann man als visionär bezeichnen. Haben Sie auch das Thema Corona vorher gesehen?
Mein Film „Zucker – Eine wirklich süße Katastrophe“ mit Helmuth Lohner nahm 1989 das Thema wieder einmal vorweg. Nicht eine Pandemie, die Menschen tötet, aber eine weltweite Seuche mit Mikroben, die unsere Zivilisation von Grund auf zerstören.

Wie erleben Sie Corona?
Hier in Western Australia hängen wir alle fest in Quarantäne. Das ist gut so. Keine Neu-Ansteckungen seit Wochen. Im Gegensatz zu den Staaten an der Ostküste, Victoria und Melbourne, vier Flugstunden von uns entfernt, dort herrscht Chaos mit 300 bis 500 Neu-Infektionen täglich.

Sie haben gerade einen Vertrag mit der DVD- und Blu-Ray-Company Fernsehjuwelen abgeschlossen. Was versprechen Sie sich davon?
Erfolg. Anfang 2021 kommen sieben meiner Filme remastered und in neuen, aktuellen Systemen auf den Markt. Für nächstes Jahr wären dann zum Beispiel „Das Blaue Palais“, „Die Quelle“ und „Reise in eine strahlende Zukunft“ an der Reihe, alle mit Doku und Videointerviews .

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