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Schauspieler Kai Schumann, 44, hat einen syrischen Vater, den er nie kennenlernte. Er erlebte Rassismus in der DDR und schloss sich nach 1989 der Antifa an. Mit der am Mittwoch (19 Uhr 25) startenden Staffel endet die ZDF-Vorabendserie „Heldt“.

© Henning Kaiser/dpa

Interview mit „Heldt“-Darsteller Kai Schumann: „Ich war ziemlich radikal“

Schauspieler Kai Schumann über Jugendsünden, den Kampf gegen Neonazis und das Ende seiner ZDF-Vorabendserie „Heldt“. Ein Interview.

Herr Schumann, wie haben Sie die vergangenen Monate in der Pandemie erlebt?

Ich war zu Beginn in Südafrika, um zu drehen und auch Vorbereitungen für ein soziales Projekt in den Townships zu treffen. Anschließend bin ich nach San Francisco geflogen, um auf dem „Traumschiff“ zu drehen. Gott sei Dank habe ich meinen Aufenthalt auf dem Schiff wegen einer anderen Produktion auf eine Woche beschränkt. Deshalb war ich im März der Letzte, der das Schiff verlassen konnte. Anfangs hatte ich Existenzängste, habe dann aber beschlossen: Ich möchte mich nicht mit Angst befassen. Angst ist ein lähmendes Gefühl, das einen in die Hände von Bauernfängern treibt.

Von den Townships direkt aufs „Traumschiff“? Das ist mal eine Reise mit gewaltigem sozialen Gefälle.
Das stimmt, wobei es auch in San Francisco viel Armut gibt. Es ist erschreckend: Jede Querstraße ist dort voller Zelte mit Obdachlosen. Man würde manchmal all den Menschen, die auf unsere Gesellschaft schimpfen, wünschen, einen Ausflug in Länder ohne vergleichbare soziale Sicherungssysteme zu machen. Damit sie begreifen, was wir hier für ein großartiges System haben.

Dieser Meinung waren Sie aber auch nicht immer, oder?
Als Jugendlicher habe ich mich natürlich auf die großen Ungerechtigkeiten fokussiert, die es ja nach wie vor gibt, etwa die Ausbeutung der Dritten Welt. Ich war auch ziemlich radikal mit meinen Ansichten damals. Es ist aber auch typisch, dass sich der Horizont im Alter weitet.

Sie sind 1976 in Dresden geboren und im Vogtland aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an die friedliche Revolution?
In der Schule wurde auf einmal scharf diskutiert. Ich bin aber in einer Familie groß geworden, in der immer schon viel und laut diskutiert wurde. Meine Großeltern waren in der Quäker-Bewegung aktiv und hatten Kontakt zu vielen Dissidenten. Meine Mutter und mein Stiefvater waren überzeugte Sozialisten, aber nicht staatstreu. Ihnen war total bewusst, dass die DDR eine Diktatur war. In unserer Familie gab es schon bald eine große Ernüchterung, weil aus dem Ruf nach Freiheit schnell der Ruf nach der D-Mark wurde. Nach 1989 gab es eine Phase, die war wie eine gesetzlose Zeit.

Was haben Sie getrieben?
[Die achte und letzte Staffel von "Heldt" startet am Mittwoch um 19 Uhr 25 im ZDF]

Nichts, worauf ich stolz bin. Wir haben in unserer Jugendgang aus Spaß Autos geknackt, um damit herumzufahren. Haben Zigarettenautomaten von den Wänden gerissen und die Zigaretten im Freibad verkauft. Ich war noch ein Kind und eher so der Mitläufer. Aber dann gab es ein Wochenende, an dem ich bei uns zu Hause eine große Party feierte, weil meine Mutter und mein Stiefvater nach Paris fuhren. Es endete katastrophal, mit einer Massenkarambolage, die einer mit dem Auto meiner Eltern verursachte. Mit einem riesigen Drama, weil ich mit einem gestohlenen Auto abhauen wollte und die Polizei mich erwischte. Ich hatte sehr lange Hausarrest, und in dieser Zeit wurde die Clique auf einmal rechtsradikal. Für mich als halber Syrer, noch dazu als jemand, der schon als Kind mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert war, ging das überhaupt nicht. Über ein Jugend-Sommercamp bin ich dann zu den Antifaschisten gekommen. Auch das eine Identitätssuche, aber die bessere.

Sie wurden als Sohn eines syrischen Vaters in der DDR angefeindet.
Es gab extremen Rassismus in der DDR. Als Kind wurde ich regelmäßig von einem Nachbarsjungen wahlweise mit Ausländersau, Jude oder dem N-Wort beschimpft. Ich wurde verprügelt, einmal wurde auch mit einem Luftgewehr auf mich geschossen. Meine Mutter schickte mich zum Judo, weil ich lernen musste, mich zu wehren. Heute finde ich Gewalt in jeder Hinsicht uninteressant.

"Es war eine bürgerkriegsähnliche Situation"

Bei der Antifa hat Ihnen diese Erfahrung jedoch geholfen, oder?
Es war erschreckend, wie schnell nach dem Ende der DDR die Neonazi-Umtriebe begannen. Dagegen hatte sich in Plauen eine Gegenbewegung formiert, mit Methoden, die ich in der Rückschau nicht gut finde, die aber damals funktionierten. Wir haben jeden, dem man die rechtsradikale Gesinnung ansah, auf der Straße gestellt, ihn fotografiert, haben ihm seine Schlüssel, seine Ausweise abgenommen und ihn gewarnt: Wenn hier in Plauen etwas passiert, bist du dran. Das hat dazu geführt, dass es in Plauen jahrelang keine Übergriffe gab. Es war damals eine krasse, bürgerkriegsähnliche Situation mit zahlreichen Morden durch Rechtsradikale. Es wird heute gerne geschimpft auf die Antifa: Ich glaube, ohne die Antifa sähe es ganz schön düster aus in Deutschland.

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Wann und warum haben Sie der Antifa den Rücken gekehrt?
Als ich angefangen habe, Theater zu spielen, und mich mehr mit dem humanistischen Ideal auseinandergesetzt habe, mit Kleist, Goethe, Schiller. Es hat natürlich auch mit dem Älterwerden zu tun. Die Strukturen bei der Antifa waren total machohaft. Die älteren Männer haben den Ton angegeben, haben sexistische Witze gerissen und dann so getan, als ob sie für die große Emanzipation sind. Und ich hatte irgendwann keine Lust, immer nur das zu sehen, was schiefläuft. Der Staat ist das Böse – diese extrem negative Weltsicht hat mich wahnsinnig gemacht. Außerdem hatte ich das Gefühl: Wir verändern überhaupt nichts.

Danach hofften Sie, auf der Bühne die Welt zu verändern.
Genau. Dadurch, dass mir die Vaterfigur gefehlt hat, habe ich immer nach einem hehren Ideal gesucht und auf andere projiziert, auf Regisseure, auf andere Männer, auf Gruppierungen. Es war ein langer Weg für mich, die eigene Fehlbarkeit und die der Umwelt zu akzeptieren.

Warum lernten Sie Ihren Vater nie kennen?
Er hat vor meiner Geburt die DDR verlassen. Meiner Mutter erzählte er, er müsse seine kranke Mutter in Syrien pflegen – aber er hatte dort eine Frau und drei Kinder. Wir vermuten außerdem, dass er der DDR einen Dienst erwiesen hat, indem er unsere Familie ausspionierte. Es war nicht unüblich, dass ausländische Gaststudenten eine Gegenleistung erbringen mussten. Seltsamerweise gibt es keine Stasi- Akte über uns. Dabei ist meine gerechtigkeitsliebende Mutter ständig angeeckt.

"Meine Haltung war: den brauche ich nicht"

Hatten Sie versucht, mit Ihrem Vater in Syrien in Kontakt zu treten?
Erst mal nicht. Ich hatte mir in der Kindheit die Haltung angewöhnt: Den brauche ich nicht. Man muss es ja irgendwie verarbeiten, dass dein eigener Vater sich nicht für dich interessiert. Nachdem ich viel später bei „Markus Lanz“ die Geschichte erzählte, meldete sich eine Frau aus Syrien, die meinen Vater kannte. Doch bevor sie wieder Kontakt aufnehmen konnte, war mein Vater schon gestorben.

Sie äußern sich in den sozialen Netzwerken häufig politisch, aber in politischen Filmen sind Sie eher selten zu sehen. Meist werden Sie als gut aussehender Liebhaber besetzt. Nervt Sie das nicht manchmal?
Ich war mal beim Workshop einer amerikanischen Casterin. Die sagte, es sei wichtig, sein Rollenfach anzunehmen, und das habe ich für mich radikal akzeptiert. Ich gebe zu, ich würde manchmal auch gerne mehr politischere Sachen drehen, aber prinzipiell gilt für mich, wenn mich die Rolle anspricht, mach ich das Beste daraus.

Im Fernsehen beginnt jetzt die letzte Staffel der ZDF-Krimireihe „Heldt“, bei der Sie den Titelhelden, einen Bochumer Kriminalkommissar, spielen. War dieser Heldt für Sie auch auf eine Art politisch?
Dass sich dreieinhalb bis vier Millionen Menschen einen Polizisten anschauen, der mit Autoritäten überhaupt nicht klarkommt, der schlampig und impulsgesteuert ist und einen extremen Hang zur Gerechtigkeit hat, der aber auch nahbar und fehlbar ist – das ist für mich ein politischer Vorgang. Weil man damit den Horizont im humanistischen Sinne weitet.

Können Sie trotzdem die Entscheidung des ZDF nachvollziehen, nach der achten Staffel einen Schlussstrich zu ziehen?
Ja, ich hatte selbst schon das Gefühl, dass sich die Reise langsam dem Ende zuneigt.

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