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Eine Liebe, die nicht sein darf. Heimlich kommen sich der 18-jährige Christian (Jonas Nay) und seine neue Englischlehrerin Stella Petersen (Julia Koschitz) näher.

© ZDF und Hannes Hubach

Intensives TV-Drama nach Lenz-Novelle: An allen Heulbojen vorbei

„Schweigeminute“: Der ZDF-Film trifft den Geist der gleichnamigen Novelle von Siegfried Lenz

Eigentlich schwere See auf dem Meer des Symbolischen. Das Objekt des erotischen Begehrens heißt Stella. Das bringt Sterndeuter in Wallung. Stella Petersen ist die neue Englischlehrerin, sie funkelt aus fortschrittlicher Welt in den Muff der späten Adenauer-Zeit. Er, der 18-jährige Christian, der erste Gymnasiast einer Familie an der Ostsee, die vom Steinefischen lebt. Das dient zur Küstensicherung. Die Weltläufige und der Einheimische werden was miteinander haben. Aber ach, das Meer und die Steine werden ihr Glück zerstören. Die Natur holt sich die flotte Seejungfrau zurück. Puh!

Schon rauscht es im Karton der alten Geschichten, es summen die bekannten TV-Narrative. Wird das Leiden des Thomas-Mann-Helden Tonio Kröger neu aufgelegt: die Qualen eines erotischen Losers, für den die „blonde Inge“ unerreichbar bleibt? Erleben wir eine Abrechnung mit der Gesellschaft, die eine Beziehung zwischen Schüler und Lehrerin nicht toleriert? Wohnen wir einem moralischen Strafgericht bei?

Das TV-Melo liebt bekanntlich das Dröhnen der Gefühle, den Tränenalarm der Heulbojen, alles Bedeutungsschwangere, besonders wenn es, wie in der „Schweigeminute“, kein Happy End gibt. Der Zuschauer ist auf alles gefasst, was die Augen feucht werden lässt.

Mit die beste Lenz-Verfilmung

Und wird wunderbar enttäuscht. Eine Fernsehverfilmung, sicher eine der besten von Werken des 2014 gestorbenen Schriftstellers Siegfried Lenz, erzählt, wie es der Autor will: nur sich selbst. Ohne sich von Mythen versklaven zu lassen, ohne sich mit der Frage Shakespeares zu quälen, ob „Lieb' das Glück führt oder Glück die Liebe“. Alles wirkt traurig und zugleich leicht und unangestrengt. Schicksal wird menschlich.

Als die Novelle „Schweigeminute“ 2008 erschien, war die Kritik darüber begeistert, wie ein über achtzig Jahre alter Schriftsteller in seiner ersten Liebesgeschichte ganz ohne Gepäck, nur besessen von der „reinen Magie des Geschichtenerzählens“ („FAZ“), im „lakonischen Trauerton“ und mit „realitätsfroher Genauigkeit“ („Zeit“), diese Reise in den Liebestod beschrieb.

Es ist ein kleines Wunder, dass es Regisseur Thorsten M. Schmidt, der mit André Georgi und Claudia Kratochvil das Drehbuch schrieb, gelungen ist, das, wie es Produzent Oliver Berben nennt, „Lenzige“ in einen Film zu überführen. Was Berben mit „lenzig“ meint, ist den nordisch strahlenden Bildern (Kamera: Hannes Hubach) anzusehen. Auch dem Spiel der Protagonisten (Julia Koschitz und Jonas Nay). Es trifft den Geist der Novelle.

Koschitz schafft es, ihren jungen Lover aus teutonischer Schwerblütigkeit zu locken und trotzdem, selbst in den Liebesszenen, die Distanz zu wahren. Sie bleibt in der Klasse die unbestechliche Englischlehrerin und, wenn sie mit Christian schläft, vergisst sie keinen Augenblick lang: Aus uns kann nichts werden.

Jonas Nay spielt wie ein junger Mensch von heute

Ob Christian in Stellas Gesicht die Melancholie sieht, als hätte die Geliebte eine Vorahnung, ist wenig wahrscheinlich. Aber der Zuschauer sieht diese Schatten. Christian-Darsteller Nay dringt selbstbewusst und ohne jünglingshaft zu zerfließen auf die Erfüllung der Beziehung zur geliebten Lehrerin. Er agiert pragmatisch, ohne große Pathoswallungen wie ein junger Mensch von heute. Er wiederholt, was er in der fabelhaften Serie „Deutschland 83“ gezeigt hat: Als junger Mensch in zeitgeschichtlicher Kulisse spielen, ohne sich vom historischen Kolorit verbiegen zu lassen.

Die Enkel finden so wie selbstverständlich in die Erzählwelt eines gar nicht starrsinnigen Großvaters. Die Altersjugendlichkeit von Siegfried Lenz bleibt in den Filmszenen nicht nur erhalten, ja manchmal ist der wunderbare Ostpreuße in seiner Erzählung mutiger als der Film. Da gibt es das Lachen der Masuren, wenn es am traurigsten ist. Beim Leichenschmaus für die nach einem Bootsunfall gestorbene Stella lässt Lenz den pensionierten Lehrer Püschkereit auftreten, der von den Leichenbegängnissen seiner Heimat erzählt: Erst das „Denkwürdigkeiten zum Sarg hin“-Sprechen, dann Tanz zur Quetschkommode eines gemieteten Musikers. „War da überhaupt Platz?“, fragt ein Zuhörer. „Aber jachen, nachdem wir den Sarg hochkant gestellt hatten.“

Das genau ist der Raumgewinn, den das Leben dem Tod abringt und der die „Schweigeminute“ zum Kunstwerk macht.

„Schweigeminute“, ZDF, Montag, um 20 Uhr 15

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