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War früher in einer Neonazi-Gruppierung: Auf1-Chefredakteur Stefan Magnet (links) im Gespräch mit „Compact“-Gründer Jürgen Elsässer. Die österreichische Plattform Auf1 will eine Redaktion in Berlin aufbauen. Deutschland-Korrespondent soll der bisherige TV-Chef des rechtsextremen „Compact“-Magazins, Martin Müller-Mertens, werden.

© Tsp

Immer mehr Parallelmedien: Angriffe aufs System

Epochtimes.de, auf1.tv, RT.DE: Wie verschwörungsideologische Portale die Medienlandschaft verändern.

Von Matthias Meisner

Es ist eine Parallelwelt. Und sie wird mächtiger. anti-spiegel.ru, auf1.tv, kopp-verlag.de, reitschuster.de, wochenblick.at, uncutnews.ch oder epochtimes.de – so heißen einige der reichweitenstarken selbsternannten „freien“ oder „alternativen“ Medien, die tatsächlich vor allem eines sind: verschwörungsideologische Portale mit einer oft bizarren Mixtur aus Corona-Verharmlosung, Kreml-Propaganda oder der Leugnung des Klimawandels.

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die seit Jahren dazu forscht, warum Menschen an Verschwörungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt, sieht eine wachsende Gefahr. „Sogenannte alternative Medien versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und sind damit zumindest in bestimmten Milieus auch erfolgreich.“ Ihr Institut CeMAS hatte nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine untersucht, welche „alternativen“ Medien am häufigsten auf Telegram geteilt werden – damals war es RT.DE. „Verschwörungsideolog:innen verbreiten zum Teil ungefiltert die Propaganda aus dem Kreml und werden damit im eigenen Milieu zu einer wichtigen Verbreitungsquelle russischer Desinformation.“

Pro-russische Influencerin auf Telegram

Dass RT DE aktuell nicht mehr ausgestrahlt werden darf, hat nicht dazu geführt, dass die russische Einflussnahme über das Spektrum der Parallelmedien gesunken ist: Kanäle wie Anti-Spiegel des in St. Petersburg ansässigen Bloggers Thomas Röper, das rechtsextreme „Compact“-Magazin oder auch die NachDenkSeiten haben Nachfolgerollen eingenommen und verbreiten etwa die Lesart, dass Moskau den Krieg „auch aus Notwehr begonnen“ habe. Unterstützt werden sie bei der pro-russischen Propagandatätigkeit zum Beispiel von der Influencerin Alina Lipp, deren Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ inzwischen mehr als 180 000 Abonnentinnen und Abonnenten hat. Lediglich Boris Reitschuster, früherer „Focus“-Korrespondent in Moskau und inzwischen rechtskonservativer Blogger, spielt in der Debatte um den Krieg eine Sonderrolle – er hat sich kritisch zum russischen Einmarsch positioniert, was einen spürbaren Rückgang seiner Reichweite bewirkte.

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Weitgehende Übereinstimmung in der Parallelmedienlandschaft herrscht bei einem anderen Thema: Corona. Die Verharmlosung der Pandemie zieht sich wie ein roter Faden durch die Kanäle. Exemplarisch beschrieben an den Schlagworten, die der österreichische Sender Auf1 verbreitet: „Corona-Diktatur“, „Corona-Lüge“, „kriminelle Kinderimpfungen“ oder Impfung als „Instrument der Unterwerfung und Kontrolle“. In der Zeitung „Der Standard“ schreibt Markus Sulzbacher: „Mit seinen Inhalten hat es Auf1 geschafft, dass die Szene der Menschen, die Corona leugnen, den Sender als ,ihr Medium’ betrachtet.“

Es ist eine Zielgruppe, die Auf1 auch in Deutschland erreichen will. Die Expansion nach Deutschland ist angekündigt, von August an soll nun der bisherige TV-Chef des rechtsextremen „Compact“-Magazins, Martin Müller-Mertens, als Deutschland-Korrespondent in Berlin aus arbeiten, zudem soll in der Hauptstadt eine Redaktion aufgebaut werden. „Compact“-Gründer Jürgen Elsässer, eine zentrale Figur der Neuen Rechten, kommentierte im Auf1-Studio den russischen Überfall auf die Ukraine: „Ich freu mich, dass es mal einer gemacht hat“, wie „Der Standard“ notierte. Für den Autoren Markus Sulzbacher sind das keine überraschenden Verbindungen: Auf1-Chefredakteur Stefan Magnet war in der Neonazi-Gruppierung „Bund Freier Jugend“ aktiv und verfügt über gute Drähte zur rechtspopulistischen FPÖ. Die Milieus unterstützen sich gegenseitig. Im Mai 2019 war das „Compact-Magazin“ bei der „1. Konferenz der Freien Medien“, organisiert von der AfD-Bundestagsfraktion.

Mehr und mehr suchen diese Parallelmedien Bühnen wie die Bundespressekonferenz (BPK), einen Zusammenschluss der Parlamentskorrespondenten. Der Blogger Boris Reitschuster nutzte hier sein Fragerecht exzessiv, bis ihm nach einem Umzug nach Montenegro die Mitgliedsrechte entzogen wurden. Aktuell strebt Florian Warweg, früherer leitender Redakteur von RT.DE, als Korrespondent der NachDenkSeiten in den Verein. Die NachDenkSeiten, 2003 von dem SPD-Politiker Albrecht Müller als Antwort auf Gerhard Schröders Agenda-Politik gegründet, sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr abgedriftet. Neben Moskau-freundlichen Inhalten dominiert Kritik an der „Meinungsmache“ der etablierten Presse und der „öffentlich-rechtlichen Propagandamaschinerie“. Nach Prüfung von sechs Einsprüchen aus den Reihen der Mitgliedschaft lehnte der Mitgliedsausschuss der BPK die zunächst gebilligte Aufnahme von Warweg ab. Das Argument war formal: Seine auf den NachDenkSeiten veröffentlichten Beiträge belegten nicht, dass er „ständig und weit überwiegend“ über die Bundespolitik berichte.

Rechtsalternative Medien verspüren Aufwind

Auf Kritik an Parallelmedien gibt es im Netz ähnlich klingende Repliken: Von „Systemhuren“ ist die Rede, die „Regierungskritiker mundtot machen“ würden. Auf1 behauptete vor wenigen Tagen in einem auf Telegram verbreiteten Video, „staatliche und private Zensoren“ versuchten, „kritische Meinungen zu unterdrücken“. Weiter hieß es dort: Unter Zuhilfenahme von „Totschlagbegriffen wie Verschwörungstheorien, Querdenkertum und Rechtsradikalismus“ seien „Systemlinge“ bestrebt, „systemoppositionelle Medien“ zu diskreditieren.

Dass die Vorwürfe gegen Parallelmedien indes gut belegt sind, machte der Journalist Vinzenz Waldmüller am Buch „Nach Corona – warum die Globalisten scheitern werden und die Menschheit erwacht“ von Auf1-Chefredakteur Magnet deutlich. Darin finden sich Passagen wie die von den „unmittelbaren Blutserben der freiheitsliebenden und unbezwingbaren Germanenstämmen“, die sich ,mit „heldischem und kämpferischen Geist“ in den Widerstand gegen die „völlig willkürlichen Corona-Zwangsmaßnahmen“ begeben würden. Waldmüller sagt: „Die rechtsalternative Medienlandschaft verspürt seit der Coronapandemie deutlichen Aufwind.“ Kritik an diesen Medien werde stets als Angriff auf die Meinungsfreiheit umgedeutet. Dies sei „ein Disput, den man nicht gewinnen kann“.

Über Strategien der Parallelmedien aufklären

Die richtige Antwort aus Sicht von Experten wie Waldmüller: Medienkonsumierende über die Strategien der Parallelmedien aufklären. Ähnlich fordert das auch Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte in Baden-Württemberg. Er sieht verschwörungsmythologische Radikalisierungen unter Rechten, Linken und auch unter Liberalen. „Wenn Medien vermeintliche Ausgewogenheit zwischen Demokratinnen und Rassisten, zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftsleugnern herstellen, dann hat die Wahrheit schon verloren.“ Starke Meinungen ließen sich viel leichter produzieren als ernsthafte Recherchen. Blume warnt: „Wenn ein Mediensystem kaputt ist, stürzt die Demokratie ab.“

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