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Mehr als 500 000 DDR-Bürger waren bei der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz dabei. Die Demo wurde live im Fernsehen der DDR übertragen. |

© picture alliance / AFP

Huber schaltet sich ein: Volksaufstand? Nur von regionalem Interesse

Stimmt die These vom "Wegignorieren" der Ostdeutschen doch? Christoph Hein erinnert an die Nicht-Übertragung der Demo vom 4.11.1989 in der ARD

Katarina Witt beklagte im Tagesspiegel-Interview, ehemalige DDR-Bürger würden „wegignoriert“. Nur eine Ossi-Tirade? Witt war auch Gast in „Gottschalks großer 80er Jahre Show“ im ZDF. Sie hatte dort Feigenblatt-Funktion, von der Kultur, von der Popmusik in der DDR war nichts zu hören und zu sehen.

Liest man Christoph Hein, scheint der Gedanke nicht abwegig zu sein, dass dieses (mediale) Desinteresse schon viel älter ist. In „Gegenlauschangriff“ berichtet der Schriftsteller, dass Hans Bentzien, der neue Intendant des staatlichen DDR-Fernsehens, entschieden hatte, die Demonstration zum 4. November 1989 übertragen zu lassen. Dem ARD-Vorsitzenden Hartwig Kelm, Chef des Hessischen Rundfunks, bot er Übertragungsrechte der größten Demonstration in der DDR an. Kelm berief sogleich eine Telefonkonferenz der ARD-Hierarchen ein. Bis zu diesem Zeitpunkt übertrug das Erste programmgemäß ein Tennisturnier mit Boris Becker.

Nur von regionalem Interesse

Dabei blieb es. Die Zuschauer des westdeutschen Fernsehens, zitiert Hein, sollten nicht durch eine unangekündigte Programmänderung verärgert werden, zumal sich die überwältigende Mehrheit dem Tennissport verbunden fühle. Der Volksaufstand sei zwar bedeutsam und schätzenswert, aber doch nur von regionalem Interesse. Später rechtfertigten die ARD-Chefs ihre Entscheidung, man habe im Blick auf die Optimierung der Zuschauerbindung programmtreu bleiben wollen, heißt es in Heins „Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“, erschienen im Suhrkamp-Verlag.
So also hat der bundesdeutsche Tennisheld Boris Becker, vollkommen unschuldig übrigens, ein wahrhaft bedeutendes deutsch-deutsches (Fernseh-)Ereignis verhindert. Für die einen ist damit klar, wann das Ignorieren begann und wieso es bis heute anhält; den anderen ist klar, dass das gesamtdeutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen über die Jahre und Jahrzehnte nicht wirklich viel dazugelernt hat – wann immer die Aktualität das Schema gefährdet. Notre Dame brannte, die ARD pennte. Das war am 15. April 2019.

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