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Exportschlager: „Derrick“ mit Horst Tappert (li.) und Fritz Wepper lief in 102 Ländern weltweit. Seine Zeit in der Waffen-SS hatte Tappert jedoch verschwiegen.

© Goebel dpa

Holt „Derrick“ aus dem Giftschrank: Verdammt in alle Ewigkeit

TV-Wiederholungen, die wir uns wünschen würden: Warum die Kultserie „Derrick“ wieder gezeigt werden sollte.

Ferienzeit ist Wiederholungszeit. Die Fernsehsender schauen zurück und kramen Oldies hervor, zumal in Corona-Zeiten. Wir hätten da in unserer Sommerserie ein paar Vorschläge: Filme, Shows und Serien, die wir nie vergessen haben.

Am 26. April 2013 berichtete die „F.A.Z.“ über einen Fund, der langfristige Folgen haben sollte: Der Solinger Soziologe Jörg Becker sei bei Recherchen über die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann auf Unterlagen gestoßen, die besagten, dass der am 13. Dezember 2008 verstorbene Schauspieler Horst Tappert Mitglied in der Waffen-SS gewesen sei. Ein entsprechender Eintrag sei in Tapperts Wehrmachts-Karteikarte vermerkt. Nach Angaben der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der deutschen Wehrmacht (WASt) meldete das in Russland operierende 14. SS-Panzergrenadier-Regiment 1 „Totenkopf“ Tapperts Mitgliedschaft am 22. März 1943. Da war Horst Tappert 19 Jahre alt.

Der Recherche-Fund löste einen Domino-Effekt aus: „Bild“ titelt am 30. April 2013 auf Seite eins mit der Schlagzeile „Die SS-Akte Derrick“ und zieht am 20. August nach, „Derricks SS-Kiste aufgetaucht!“, da Fotos von Tapperts Verwundeten-Abzeichen und der SS-Marke gefunden wurden. Die fiktionale Figur des Stephan Derrick und ihr Darsteller Horst Tappert, sie werden als eins erklärt. Das ZDF, Tapperts Haussender, bekundet daraufhin, man sei „überrascht und befremdet“. „Wiederholungen von ,Derrick‘-Folgen sind nicht geplant“, heißt es seinerzeit aus Mainz weiter, im Juli 2016 wird diese Auskunft gegenüber diversen Medien nochmals bekräftigt.

Fritz Wepper, Tapperts langjähriger Partner in der Rolle des Assistenten Harry Klein, kommentiert die finale Entscheidung des ZDF im Juli 2016 wie folgt: „Man muss eine persönliche Vergangenheit auch immer im Verhältnis zur damaligen Zeit einordnen. Und man muss das kritisch, aber auch besonnen tun. Ein Stück TV-Kult, das Millionen mögen, zu verdammen, weil die Geschichte eines Darstellers Fragen aufwirft, halte ich für übertrieben und eine Bevormundung der Zuschauer.“

Filmfigur und Darsteller sind nicht identisch

Angesichts des Umstands, dass „Derrick“ auch nach der Entscheidung des ZDF weiterhin in zahlreichen Ländern ausgestrahlt wurde – in Norwegen etwa lief die Serie eine ganze Zeitlang täglich – und auch hierzulande weiterhin als 19-teilige DVD-Reihe der „Derrick“-Collector’s Box erhältlich ist, eine doch eher fragwürdige Entscheidung. Zumal: Filmfigur und Darsteller sind nicht identisch. Welche Werke – nicht nur in Film und Fernsehen, auch der Literatur und der Künste – müsste man demnach nicht alle im Giftschrank einschließen?

„Derrick“, das ist 25 Jahre bundesrepublikanische Fernsehgeschichte, das ist die erfolgreichste deutschsprachige Serie, die weltweit in 102 Ländern lief und läuft. Die Serie, die am 20. Oktober 1974 an den Start ging, wirkt all die Jahre hindurch wie ein zeitgenössischer Spiegel jener Bundesrepublik, in der sie angesiedelt war: die Mode, die Wohnungseinrichtungen, die Tastentelefone, die Autos, die Straßenzüge ebenso wie die Gepflogenheiten, die Umgangsformen, die Denkmuster, die Sprache, die Haltungen. Es ist Zeitgeist pur.

Ein Vierteljahrhundert lang ließen die Zuschauer Oberinspektor Stephan Derrick etwa alle vier Wochen freitags um 20 Uhr 15 im ZDF regelmäßig in ihre Wohnzimmer. „Derrick“ am Freitagabend, das hatte etwas Rituelles, ganz ähnlich wie Hans-Joachim Kulenkampff und „Einer wird gewinnen“ samstagabends. Dieser Stephan Derrick war ein Familienmitglied in Millionen Haushalten. Keine andere Serie lief über einen derart langen Zeitraum, keine andere erdachte Figur war derart beliebt.

Hinzu kommt, dass der heutige Blick auf das Kult-Phänomen „Derrick“ filmhistorisch wie soziokulturell ein spannender ist. Und: Um hier mitspielen zu können, standen sie damals bei Produzent Helmut Ringelmann in München Schlange: von Maria Schell über Lilli Palmer bis zu Christiane Hörbiger, von Horst Buchholz über Curd Jürgens bis zu Horst Frank. Sie alle wollten dabei sein in einer der prominenten Gastrollen. „Derrick“, das ist auch Schauspieler-Fernsehen par excellence, mit langen Einstellungen, wenigen Schnitten und kleinen anerzählten Biographien.

So wie „Columbo“ heute regelmäßig etwa auf ZDFneo zu sehen ist, die frühen Folgen von „Inspector Barnaby“ wiederholt werden, so wie gelegentlich „Der Kommissar“ mit Erik Ode auf 3sat zu sehen ist – so gehört „Derrick“ zurück auf den Bildschirm, und sei es spätabends auf ZDFneo oder 3sat.

Die 281 Fälle haben sich nicht dadurch verändert, dass der Hauptdarsteller – über 30 Jahre vor Drehbeginn der ersten Folge „Waldweg“ – als sehr junger Mann in die Wehrmacht einberufen wurde respektive Mitglied der Waffen-SS war. Ähnlich wie es etwa auch bei Günter Grass der Fall war, der 1944 zur 10. SS-Panzer-Division „Frundsberg“ der Waffen-SS einberufen wurde; oder bei Walter Jens, wie Horst Tappert Jahrgang 1923, der erst im NS-Studentenbund und ab September 1942 Mitglied der NSDAP war; oder auch bei Dieter Hildebrandt, der ab 1943 Flakhelfer war, in die Wehrmacht eingezogen wurde und 1944 einen viel diskutierten Aufnahmeantrag in die NSDAP gestellt haben soll. Auch „Derrick“-Drehbuchautor Herbert Reinecker war ab Sommer 1941 in der Waffen-SS, was er allerdings nicht verschweigen konnte, war er doch als SS-Kriegsberichterstatter an exponierter Stelle tätig.

Muss man sie alle und ihre Werke also in letzter Konsequenz fortan verbannen, so wie das ZDF „Derrick“ verbannt? Liegen kritischer Diskurs und kontroverse Debatte im Verbot?

In seiner Autobiographie „Derrick und Ich“ widmet er der Kriegszeit immerhin sechs eng bedruckte Buchseiten, wenngleich er die Waffen-SS nicht selbst erwähnt. Tappert schreibt unter anderem: „Ich war nie ein Kriegsgeschichtenerzähler, ich habe es gehasst, Soldat zu sein (…).“ Und: „Leider sind diese verlorenen Jahre Teil meines Lebens.“

So, wie es für Horst Tappert verlorene Jahre waren – Jahre, so ist es vielen Menschen ergangen, die den Krieg erlebt haben, von ihm traumatisiert wurden. Und vielleicht haben sie sich mit diesem hochgewachsenen, stets auf Benimm und Höflichkeit bedachten Mann aus München identifiziert. „Derrick“ – das ist so oder so auch das Spiegelbild einer ganzen Kriegsgeneration und ihrer Folgegeneration. Er gehört wieder auf unsere Bildschirme. Weil er mit uns zu tun hat.

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