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Dauerlächelnde amerikanische Hausfrau, der man ansieht, dass sie etwas zu verbergen hat: Gretchen Fisher (Tessa Mittelstaedt, l.) und Emily Fisher (Emilia Bernsdorf).

© HR

Hessen-„Tatort“: Operation Gekrakel

Der Frankfurter „Tatort“ spielt mit dem Genre der Spionagefilme. Und mit einer guten Bekannten aus einem anderen ARD-Krimi.

Zum Genre der Spionagefilme gehört es, dass sich Agenten bei drohender Gefahr im letzten Augenblick buchstäblich in Luft auflösen können. Im Frankfurter „Tatort – Funkstille“ gibt es eine hübsche Szene, die darauf, vielleicht auch ein bisschen ironisch, Bezug nimmt: Gretchen Fisher (Tessa Mittelstaedt) lauscht, einen Korb voller Wäsche in den Armen, an der Tür ihrer Tochter. Doch als Emily (Emilia Bernsdorf) plötzlich die Tür aufreißt, ist Gretchen von der Bildfläche verschwunden. Dank eines Kameraschwenks sieht man, wie sie sich im Türrahmen eines anderen Zimmers versteckt. Den Wäschekorb presst sie mit der linken Hand flach gegen die geschlossene Tür.

Auch sonst würzt der in Deutschland lebende polnische Regisseur Stanislaw Mucha („Absolut Warhola“, „Kolyma – Die Straße der Knochen“) die Reminiszenz an das Agentengenre mit hintergründigem Humor. Gretchen Fisher arbeitet im US-Konsulat gemeinsam mit ihrem Chef an der „Operation Gekrakel“. Daheim horcht sie, digitaler Totalüberwachung zum Trotz, mit einem altmodischen Kurzwellengerät in den knarzenden Äther.

Alles beginnt, wie es sich für einen „Tatort“ gehört, mit der Leiche: Sebastian Schneider, 19, wird vor den Ruinen einer leer stehenden Industriehalle gefunden, Emily wartete vergeblich auf ihn. Sebastians alleinerziehender Vater Ulrich (Henning Peker) ist tief erschüttert und sucht Trost bei seinem besten Freund Raymond Fisher (Kai Scheve), Emilys Vater. Ulrich denkt, sein Sohn studiere, doch Sebastian war meistens unterwegs, spürt „Lost Places“ auf, dreht Videos und stellt sie ins Netz.

Von dieser Subkultur, die die Jagd nach vergessenen Orten zum Hobby gemacht hat, handelt der Film weniger. Das Geheimnisumwitterte passt allerdings ins Bild, und in gewisser Weise ist ja auch das Einfamilienhaus der Fishers ein „lost place“. So wie die Ruine für den Untergang des Industriezeitalters steht, wirken die Fishers wie Relikte aus der Vergangenheit, wie Fremdkörper aus der Zeit des Kalten Krieges, denen allerdings auch hochmoderne Überwachungstechniken nicht fremd sind. Gretchen Fisher nimmt jedenfalls erst mal den Fernseher vom Netz, bevor sie und ihr Mann den Kommissaren Rede und Antwort stehen.

Die interessanteste Figur ist Gretchen Fisher

Neben den Genrezitaten machen den Frankfurter „Tatort“ häufig unkonventionelle Einfälle aus, die die Darstellung der Polizeiarbeit vom Realismusanspruch entkoppeln. Das hält sich in „Funkstille“ in Grenzen, sieht man davon ab, dass sich Kommissarin Janneke (Margarita Broich), Kollege Brix (Wolfram Koch) und Sidekick Fanny (Zazie de Paris) zum Grillen am Mainufer treffen, während im Gegenschnitt ein festlicher Empfang im US-Konsulat zu sehen ist.

Dass der Pathologe mal wieder ein seltsamer Typ ist, Brix mit E-Rollern kämpft und gerne an Assistent Jonas (Isaak Dentler) herummäkelt, ist eher krimitypisches Beiwerk. Nicht so sehr die Polizeiermittlungen treiben die Handlung voran, die Geschichte entwickelt sich eher aus dem Innenleben der seltsamen Familie Fisher. Angeblich sind die Eltern auf amerikanischen Militärstützpunkten groß geworden, wechseln aber nur dann in die englische Sprache, wenn sie miteinander streiten. Das mag man „kaufen“, schließlich handeln Agentenfilme vom Spiel mit falschen Identitäten.

Anderes ist weniger stimmig: Emily nennt ihren Vater „so streng“, doch Kai Scheve alias Raymond wirkt weder besonders streng noch wird sein Wunsch, aus dem Agentenleben auszusteigen, einigermaßen plausibel erzählt. Nachvollziehbar ist, dass die Welt der von Emilia Bernsdorf überzeugend gespielten Tochter ins Wanken gerät. Nach Sebastians Tod erfährt sie nicht nur, dass der von ihr umschwärmte Junge eine Affäre mit ihrer Mutter hatte, sondern auch dass ihre Eltern eine falsche Identität haben. Was die Frage aufwirft: Wer ist sie selbst?

Die interessanteste Figur ist Gretchen Fisher („Tatort – Funkstille“; ARD, Sonntag, 20 Uhr 15). Tessa Mittelstaedt, die als Assistentin von Ballauf und Schenk fester Bestandteil des Kölner „Tatorts“ war, spielt sie als dauerlächelnde amerikanische Hausfrau, der man jederzeit ansieht, dass sie etwas zu verbergen hat.

Das ist wohl nur ein Trick, damit das Publikum die Figur unterschätzt. Nervenkitzel und Agententhrill darf man in dieser originellen „Tatort“-Folge weniger erwarten. Dafür sind lange, ruhige Naheinstellungen eine schöne Reminiszenz an das Kino.

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