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Zur Person: Heinrich Breloer ist ein Kind des Ruhrgebiets, geboren am 17. Februar 1942 in Gelsenkirchen, aufgewachsen in Marl, wo seine Eltern ein Hotel betrieben. Den „Religionsterror“ (Breloer) seiner Schulzeit in einem katholischen Internat arbeitete er in dem TV-Zweiteiler „Eine geschlossene Gesellschaft“ auf. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft in Bonn und Hamburg arbeitete Breloer in den 1970er Jahren als freier Autor zunächst für den NDR, später regelmäßig für den WDR. Vor 40 Jahren entwickelten er und sein Co-Autor Horst Königstein im Fernsehfilm „Das Beil von Wandsbek“ die „Offene Form“, die Verknüpfung von Dokumentation und fiktionalen Spielszenen – und setzten mit weiteren Filmen Maßstäbe in dem heute als „Dokudrama“ bezeichneten Genre. Breloers Filme wurden vielfach ausgezeichnet: Allein der TV-Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ gewann 2002 den Emmy, den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Seinen Spielfilm „Buddenbrooks“ (2009) sahen im Kino 1,2 Millionen Zuschauer. An Breloers Geburtstag werden „Die Manns“, „Todesspiel“ und „Buddenbrooks“ endlich auch in der ARD-Mediathek abrufbar sein. Das WDR Fernsehen strahlt außerdem den Zweiteiler „Todesspiel“ am 17. Februar (23 Uhr 30 sowie „Die Manns“ am 19. Februar (20 Uhr 15 aus.

© dpa

Heinrich Breloer wird 80: "Ich staune über die Unbelehrbaren"

Heinrich Breloer, Meister des Dokudramas, feiert seinen 80. Geburtstag. Ein Gespräch über Pandemie, Missbrauch, Filme als Aufklärung und Robert Habeck

Herr Breloer, bevor Ihr Zweiteiler „Brecht“ fertig war, munkelte man, Sie hätten noch ein heimliches Lieblingsprojekt in der Hinterhand.
Ja, ich arbeite seit zwei Jahren an einer Serie für den WDR, wieder zu einem Thema aus der deutschen Zeitgeschichte. Aber alle Beteiligten haben mich dazu verdonnert, kein Wort darüber zu sagen. Mein Arbeitstitel lautet deshalb: „Der Mantel des Schweigens“.

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Wie ist es Ihnen in den zwei Pandemie-Jahren persönlich ergangen?
Ich habe unter der Luxus-Quarantäne, in der ich hier lebe, nicht gelitten. Ich habe mein Studio, in dem ich arbeite, darunter die Wohnung. Es ist vieles reduziert, bin zwei Jahre nicht bei meiner Tochter in Hamburg gewesen. Aber ich staune über die Unbelehrbaren. So viele Tote – als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen. Das müsste man denen, die sich nicht impfen lassen, massiv vor Augen führen. Nicht nur als Zahl, sondern bildhaft. Wie bei der Anti-Raucher-Werbung in den USA. Oder wie bei der Einführung der Anschnallpflicht. Kein Mensch wollte damals den Gurt, aber im „7. Sinn“ war deutlich zu sehen, welche Folgen es bei einem Unfall selbst bei 30 Stundenkilometern hat, wenn man nicht angeschnallt ist.

Hat das Fernsehen in der Pandemie also keinen guten Job gemacht?
Sie vertrauen zu sehr auf das Wort. Aber das Fernsehen ist ja ein Bildermedium, und die Menschen sind durch Bilder ganz anders zu erreichen. Wo sind die Clips, die in 40 Sekunden das tatsächliche Drama vor Augen führen bis ins Krematorium? Mit dem einen Satz: „Besser einen Lappen vorm Mund als ein Zettel am Zeh.“

Es gibt die Hölle nicht

Man kann generell einen Vormarsch von „gefühlten Wahrheiten“ feststellen. Das muss jemanden, der sein Leben lang akribisch recherchiert hat, verrückt machen.
Ich denke immer an meinen „Faust“ aus dem Studium: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, dann hab ich Dich schon unbedingt.“ Das sagt der Teufel. Ich erinnere mich an meine Internatszeit, an diesen Terror um den Mythos Hölle. Das war so tief in mich eingesenkt. Ich habe lange gebraucht, bis ich es nicht nur wusste, sondern auch fühlte: Es gibt die Hölle nicht, es ist eine sadistische Erfindung.

Sind Sie noch ein gläubiger Mensch?
Nein, ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ich habe ja im Internat schon in den frühen Fünfzigern die Übergriffe und den Missbrauch mitbekommen. Ich war mit meinen zehn Jahren zum Glück so jung, dass ich nicht ins Beuteschema dieses Präfekten passte, der die Kinder abgriff. Er ist dann rausgeflogen und hat trotzdem die Priesterweihe bekommen.

Die Kamera war wie eine Waffe

Sie mussten auch bei der Polizei aussagen.
Ja, ich wurde gefragt, ob mich Herr L. „unsittlich berührt“ habe. Ich wusste gar nicht, was das war. Als ich den Film „Eine geschlossene Gesellschaft“ über meine Internatszeit drehte, ging ich auf dem verfallenen Dachboden an den Zellen lang, auch an meiner Zelle. Zerrissene Vorhänge wehten, Tauben flogen auf. Ich habe solche Angst gehabt, wieder in diesem Raum zu sein. Die Kamera war wie eine  Waffe.

 

War der Film eine Art Therapie?
Das war er. Viele Klassenkameraden, die ich für den Film interviewte, hatten immer noch Alpträume. Wie die Bischöfe jetzt getrieben werden, das kommt mir alles bekannt vor: Es ist wie in der DDR. Als deren Staats-Religion dort zusammenbrach, ein Gebäude aus Lippenbekenntnissen, sah man: Unter der Oberfläche war schon alles morsch, nur noch von Macht und Gewalt zusammengehalten.

Der Mantel des Schweigens

Sie haben sich in Ihren Filmen vielfach mit Mythen beschäftigt. Und mit Systemen, in denen geschwiegen und vertuscht wurde.
Immer schon: Der Mantel des Schweigens. Das hat mich ja auf die verschlossenen Hinterzimmer so neugierig gemacht. Ein ganz wichtiger Fall war auch „Speer und Er“. Albert Speer, einer der Hauptkriegsverbrecher, kam aus dem Gefängnis und war so dreist, dass er behauptete, er habe vom Völkermord an den Juden nichts gewusst. Dabei hat Speer gemeinsam mit Hitler den Traum von Größe der Herrenrasse und der Vernichtung aller Feinde geträumt. Speer war der Erste, der feststellte, wo die Juden in Berlin lebten. Als Baumeister für die Neugestaltung der Reichshauptstadt musste er im überfüllten Berlin für die riesigen Neubauten ganze Straßenzüge abreißen. Also raus mit den Juden aus ihren Wohnungen und hinein mit den Volksgenossen, deren Häuser er abreißen ließ. Daher brauchte er die Anschriften. Das war dann praktisch für die Gestapo, die bald mit den Speer-Listen den Abstransport in die Konzentrationslager in Gang setzte.

Sie haben mal über Ihr erstes Interview mit Speer gesagt: „Der hat mich eingewickelt.“

Ja, er war unglaublich freundlich, hat mich gleich wie seinen Sohn behandelt. Und ich war ein junger Filmemacher, war stolz, dass ich den „Freund des Führers“ in Heidelberg besuchen und seine Tagebücher lesen sollte. Aber durch die Arbeit an den Filmen hat sich das Bild mehr und mehr verdüstert. Mit den vier Speer-Filmen war der Mantel des Schweigens und Lügens der Speer-Legende deutlich gelüftet. Der Mythos vom unschuldigen Architekten Speer, hinter dem sich so viele Deutsche gerne verstecken wollten, war nicht mehr zu halten. Es hieß ja: „Wenn der es nicht gewusst hat, wie konnte ich das wissen!“ In einer Zeit, in der so viel gelogen wird, müssen sie solche Filme drehen. Im WDR-Film „Todesspiel“ haben wir genau gezeigt, wie die Zellen der RAF-Gefangenen in Stammheim ausgesehen haben, wie die Waffen hereingebracht werden konnten – und wie sich die Gefangenen so erschießen konnten, dass es aussah wie Mord. Die Mordnacht von Stammheim war eine Inszenierung. Das war zu zeigen.

Mediatheken ausbauen!

 

Zum 25-jährigen Bestehen des Grimme-Preises haben Sie den Film „Jährliche Ermahnung“ gedreht, in dem der Publizist Günter Gaus sagte, das Fernsehen sei als Medium der Aufklärung gescheitert. Das war im Jahr 1989.
Gaus gehörte der Generation an, die nach dem Krieg aufräumen wollte mit den Lügen. Besonders für diese Generation galt: Ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Demokratie gefährdet. Für mich war das Gespräch mit all den Gründungsvätern, die ich noch kennenlernen durfte, ein Glücksfall. Jetzt ist der Wettbewerb natürlich viel größer. Darum ist für mich die Mediathek, an die Gaus ja nicht denken konnte, eine gute Erfindung. Wir müssen sie rechtzeitig und gut ausbauen. Früher war ein Film, der am Tag eines Länderspiels lief, verloren. Ein Teil der Zuschauer war weg. Für immer.

Aber wenn man in der ARD-Mediathek nach Breloer-Filmen sucht, findet man: nichts.
Das ändert sich jetzt aus Anlass des 80. Geburtstags. Wir haben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Schätze über Schätze, die wir nur hervorholen müssen.

ZDF abschaffen

Zum Interview in „Jährlich Ermahnung“ luden Sie auch den Kabarettisten Dieter Hildebrandt ein. In einem Brief schrieben Sie ihm damals: „Mein Gefühl: Eines Morgens wachen wir auf und es gibt die ARD nicht mehr.“ Ihr Gefühl hat getrogen: Es gibt sie doch noch, die ARD.

Das war meine eigene übergroße Selbstgewissheit, vor der ich mich wohl warnen wollte. Früher war der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Bastion, die uneinnehmbar war. Ich dachte, da wachsen Leute nach, die das verteidigen werden. Heute könnte ich mir vorstellen, dass sich die Politik von einem Sender, möglicherweise dem ZDF, trennt. Die dritten Programme sind für die einzelnen Ministerpräsidenten zu wichtig.

Bundeskanzler wurde bekanntlich Olaf Scholz, und die Sozialdemokratie ist eines ihrer Lebensthemen. Man denke nur an Helmut Schmidt im „Todesspiel“, Björn Engholm in den Filmen zur Barschel-Affäre, der Zweiteiler über Herbert Wehner oder „Kampfname Willy Brandt“. Könnte Scholz auch ein spannendes Sujet sein?
Nein, der kann mich gar nicht aufregen. Ich habe im Wahlkampf gewusst, dass er gewinnt, weil sie ihn als Sparkassen-Direktor gebracht haben. Aber was steckt dahinter?

Menschen mit Geschichte im Herzen

Die SPD macht Ihnen im Moment keinen Spaß?
Brandt, Schmidt, Wehner – das waren Menschen mit Geschichte im Herzen.

Auch mit einer zum Teil zweifelhaften Geschichte.
Ja, natürlich. Herbert Wehner war in der Mordzentrale Moskau unter Stalins Terror Täter und Opfer zugleich. Aber was für Schicksale, was für ein Gepäck im Rucksack.

Faible für Robert Habeck

Gibt es keinen Politiker, der Ihnen Respekt abnötigt?
Robert Habeck, den sehe ich sehr gerne. Er denkt eigenständig, redet authentisch. Man kann das Nachdenken bei seinen Reden miterleben. Er plappert kein Schreibmaschinendeutsch. Er ist eine Erscheinung, bietet eine Projektionsfläche. Er hat was von Willy Brandt.

Vermissen Sie die großen Persönlichkeiten auch im öffentlich-rechtlichen System?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine wesentliche Säule unserer Demokratie. Das haben alle Intendanten als ihr Grundgesetz anerkannt. Aber heute sind sie auch alle in einem sehr harten Wettbewerb vor größte Aufgaben gestellt. Und sie brauchen wie ihre Vorläufer einfach gutes Programm. Dafür kann man ihnen nur Glück wünschen. Ich arbeite jetzt seit über 47 Jahren für den WDR. Wenn es gewünscht wird, bin ich gerne dabei.

Das Interview führte Thomas Gehringer.

Einen Teil seines umfangreichen Produktionsarchivs hat Heinrich Breloer als Vorlass bereits an die Deutsche Kinemathek übergeben:

https://breloer.deutsche-kinemathek.de

Thomas Gehringer (tgr)

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