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Straflos. Post eines Mannes zum Impfaufruf eines Ärzte-Sprechers.

© NDR

Hater in den Sozialen Medien: Weißer Mann mit Hund und Garten

„Hass im Netz“: Eine ARD-Reportage über Hetzer und ihre Strafverfolger.

Hass und Häme auf Internet-Plattformen zu verbreiten, scheint für manche eine Art Hobby zu sein. Nicole Geisler, Staatsanwältin in Dresden, hat für die Protokolle der zahlreichen, zu jeder Tageszeit gesendeten Posts eines einzigen Mannes einen ganzen Ordner reserviert. Ein Ordner voller rassistischer Beleidigungen gegen Ausländer und Muslime. Auch zum Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hatte der Vielschreiber eine Meinung: „Erschlagen den Verbrecher“, schrieb er noch zu Lübckes Lebzeiten in einer Facebook-Gruppe. Auf seinem Laptop fanden die Fahnder anschließend 300 strafrechtlich relevante Hasskommentare, erklärt Geisler in Klaus Scherers ARD-Film „Hass im Netz“.

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Der Strafbefehl in Höhe von 3250 Euro unter anderem wegen Volksverhetzung erscheint da gar nicht mal so teuer. Andere bringen es mit deutlich weniger Posts auf höhere Strafzahlungen. Vielleicht hatte es ja doch etwas gebracht, dass der Täter ein handschriftliches Entschuldigungsschreiben an die Staatsanwaltschaft verfasst hatte. Er habe geschrieben, er sei beschämt und erschrocken über sich selbst, berichtet Geisler. Vor der Kamera mochte der fleißige Hetzer seine Reue aber lieber nicht demonstrieren. Als der Reporter an seinem Gartenzaun auftaucht, flüchtet der Mann wortlos.

[„Die Story: Hass im Netz“, ARD, Montag, 23 Uhr 35.]

Aber Scherer traf auch Hass-Schreiber, allesamt Männer, die bereit waren, vor der Kamera zu reden. Der Autor geht ausgesprochen fair mit ihnen um, wahrt selbst dann ihre Anonymität, wenn einer ausdrücklich seine Bereitschaft zum Interview erklärt. Besonders ergiebig ist das allerdings nicht. Der eine will seinen sexistisch gewürzten Mordaufruf („Saskia Esken und Annalena Baerbock sehen durch ein Zielfernrohr einfach besser aus!“) als satirischen Beitrag verstanden wissen. Der andere gibt sich nach einem Post ebenfalls zu Walter Lübcke („Aufhängen den Drecksack“) einsichtig: „Das tut mir leid.“ Kurios: Das Gespräch findet wieder an einem Gartenzaun statt, und wieder begrüßt ein kläffender Hund den Besucher.

Hetzer lacht über Claudia Roth

Über die eigene Beleidigung von Claudia Roth, die trotz eindeutigen Strafbefehls immer noch nicht gelöscht ist, kann der verurteilte Hetzer immer noch lachen. „Widerwärtig“ findet das die betroffene Grünen-Politikerin. Beleidigungsverfahren können erst eingeleitet werden, wenn Betroffene zustimmen. Dass manche Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble (CDU) dies nur in Einzelfällen tun, notiert Autor Scherer erkennbar kritisch. Schäuble teilte ihm schriftlich mit, er halte sich an die Devise des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss: „Nicht einmal ignorieren.“

Klaus Scherer, ehemals ARD-Korrespondent in Tokio und Washington, hat sich für seinen Film in mehreren Bundesländern umgehört, ob es denn vorangeht mit der Strafverfolgung, nachdem der Bundestag im vergangenen Jahr das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und gegen Hasskriminalität“ verabschiedet hatte.

Was seinem Film freilich fehlt, ist eine Art Gesamtüberblick und die Entwicklung in den vergangenen Jahren. Auch bleibt die Frage, ob Polizei und Justiz ausreichend ausgestattet sind, weitgehend außen vor. Und der Aspekt der internationalen Vernetzung der rechtsextremen Szene fehlt völlig. Scherer konzentriert sich auf den gemütlichen Hetzer von nebenan, Phänotyp mittelalter, weißer Mann mit Garten und Hund, also womöglich der Natur zugewandt und tierlieb, aber auch jeder Menge hasserfüllter Worte mächtig, insbesondere über Frauen und Fremde.

Lübcke-Mord als "Zeitenwende"

Das ist allerdings erschreckend genug. Denn es ist ja kein unbedachter, einmaliger Aussetzer, wenn man der Staatsanwaltschaft den Ordner vollschreibt. Zudem ist es ernüchternd, dass erst nach dem Mord an Walter Lübcke die Gefahr der Hassrede im Netz wirklich erkannt wurde. Mehrere Gesprächspartner Scherers erklären, der Lübcke-Mord habe die Bedeutung einer „Zeitenwende“.

Hinzu kommen nun diejenigen, die in der Corona-Pandemie alles Maß verlieren. So bekam der 49-jährige Mann, der einen jungen Tankstellen-Angestellten in Idar-Oberstein tötete, weil der ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte, im Netz auch von einigen Nutzern Applaus. Jürgen Brauer, Generalstaatsanwalt in Koblenz, sagt, es seien „35 Vorgänge“ aufgrund strafbarer Posts eingeleitet worden. Erschütternd auch dieser Fall: Eine Richterin im niedersächsischen Bersenbrück lehnte einen Strafbefehl gegen einen Mann ab, der den Impfaufruf eines Ärzte-Sprechers mit folgendem Satz kommentiert hatte: „Dem ne Kugel ins Hirn, vielleicht hilft es ja.“ Der Angeklagte, so berichtet ein Gerichtssprecher, habe ausgesagt, er habe damit nur wachrütteln wollen. Außerdem fehle der Aussage der für eine Verurteilung erforderliche „appellative Charakter“. So kassierte der Impfgegner eine Rüge, aber keine Strafe.

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