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Ziel der angriffe auf Facebook ist häufig Michelle und neuerdings auch ihr Vater. Wie die Darsteller mit echtem Namen heißen, teilt RTL2 nicht mit. Das gehört zum Konzept der Scripted-Reality-Serie.

© RTL2

Hasstiraden auf Facebook: "Berlin Tag & Nacht" hat ein Rassismusproblem

Keine andere deutsche Sendung ist auf Facebook so erfolgreich wie die RTL-2-Serie „Berlin Tag & Nacht“. Doch die Serie hat ein Rassismusproblem. Auf Facebook äußern sich Nutzer immer wieder diskriminierend. Die Kommentare werden vom Sender nicht immer entfernt.

Sunny ist glücklich. Ihr Vater Kalle ist nach Berlin gekommen, um sie zu besuchen. Auf Facebook postet sie einen Kommentar mit einem gemeinsamen Bild. Mehr als 20 000 „Likes“ bekommt sie, mehr als 450 Kommentare. Viele Nutzer freuen sich mit ihr, sie schicken ihr Herzchen und Smileys. Andere aber schicken ihr Hass. „Thainutte“, wird sie genannt, „geh Reis fressen“, „von dem hässlichen Chinesending will doch niemand der Vater sein“, „du Stück scheiße“.

"Berlin Tag & Nacht" war für den deutschen Fernsehpreis nominiert

Sunny ist eine Darstellerin mit asiatischem Migrationshintergrund aus der RTL-2-Serie „Berlin Tag & Nacht“ (BTN) und regelmäßig Ziel solcher rassistischer und diskriminierender Attacken. Sie sind die Schattenseite der Serie, die gerade erst für den Deutschen Fernsehpreis nominiert gewesen ist. Rund 1,2 Millionen Zuschauer schalten täglich um 19 Uhr ein, um „die geilste WG der Welt“ zu sehen, bei den 14- bis 29-Jährigen liegt der Marktanteil sogar bei fast 24 Prozent. Wenn die Sendung im Fernsehen nach einer Stunde zu Ende ist, geht sie auf Facebook in die Verlängerung. Fast drei Millionen Fans hat die Serie in dem sozialen Netzwerk, so viele, wie keine andere deutsche Sendung. Jeden Tag posten die Darsteller hier Kommentare, Fotos und Videos, die Zuschauer kommunizieren mit ihnen wie mit echten Freunden, obwohl die Einträge von den RTL-2-Onlineredakteuren stammen. Analoges Fernsehen wird hier ergänzt mit dem Second Screen, das Genre „Scripted Reality“, Realität nach Drehbuch, perfektioniert.

Doch das Spiel mit den Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit wird bitterer Ernst, wenn sich Fans auf Facebook rassistisch, frauen- und schwulenfeindlich äußern – hier hört die Inszenierung auf, hier fängt die Realität an. Jugendschützer sind alarmiert, vor allem auch deshalb, weil rechte Gruppen das soziale Netzwerk immer stärker unterwandern.

„Schon Feierabend auf der Baumwollplantage ?“

Ziel der Angriffe, oft in miserabler Rechtschreibung verfasst, ist bei „BTN“ neben Sunny die dunkelhäutige Darstellerin Michelle. Beim „BTN“-Ableger „Köln 50667“ die beiden homosexuellen Charaktere Guido und Gunnar. Erst am Mittwoch postete Michelle ein gemeinsames Foto mit ihrem Vater. „Schon Feierabend auf der Baumwollplantage ?“, fragte ein Nutzer, „Genau immer mehr pack nach Deutschland ... Eckelhaft“, erboste sich ein anderer. Bei einem anderen Post zu Michelles Vater am vergangenen Freitag hieß es: „Hat er Bananen dabei?“. „Gülle drüber schütten“. Sunny wurde nicht nur nach dem gemeinsamen Foto mit ihrem Vater am 11. November beleidigt, sondern beispielsweise auch am 31. August, als ihr neuer Freund Max von einer gemeinsamen Nacht berichtete. „Schlitzaugentante“ und „Hässlichkeit“ hieß es da über Sunny. Und einen Tag zuvor: „Geh in Dein Land“ und „sunny stirp“. Am Samstag vor der Bundestagswahl fragte „BTN“-Figur Alina auf Facebook, wer wählt. Es antworteten fast 1400 „BTN“-Fans. Rund 60 antworteten mit „NPD“ und verwiesen teils darauf, dass die NPD „nix mit rechtsextreme zu tun“ habe und die Partei „nicht rassistisch“ sei.

Auch „Köln 50667“ bekommt Hasskommentare. Am 5. November freute sich Guido auf Facebook über ein Frühstück mit Partner Gunnar. „Schämt euch schwul zu sein“, kommentierte ein Nutzer, „euch sollte man...enthaupten“, schrieb ein anderer Nutzer.

Nun sind solche Kommentare keinesfalls nur auf den Seiten von „BTN“ und „Köln 50667“ zu finden, sondern Cybermobbing, rassistische und diskriminierende Äußerungen sind im gesamten Netz ein Problem. In diesem Fall sind es eben die RTL-2- Serien, die solche Kommentare auslösen: Die Rollen sind fiktiv, die Beschimpfungen real – von den Nutzern oft gepostet unter dem offensichtlich normalen Namen. Vielleicht schrecken sie nicht davor zurück, weil sie die Kommentare als Teil des Spiels mit der Fiktion sehen: Wer macht den krassesten Spruch?

Wenn ein Beitrag über Sunny (2. v. l.) auf Facebook gepostet wird, folgen immer wieder rassistische Kommentare. Bei "Berlin Tag & Nacht" ist sie die Mitbewohnerin von Ole (l.), Alina und Marcel.
Wenn ein Beitrag über Sunny (2. v. l.) auf Facebook gepostet wird, folgen immer wieder rassistische Kommentare. Bei "Berlin Tag & Nacht" ist sie die Mitbewohnerin von Ole (l.), Alina und Marcel.

© RTL2

Nicht selten entstehe „ein Verstärkereffekt“

Zwar gehen die meisten Fans nicht auf die Sprüche ein. Viele widersprechen den beleidigenden Kommentaren, nehmen die Darsteller in Schutz und mahnen zur Zurückhaltung. Aber dennoch sind die Kommentare für alle Nutzer sichtbar – was zu einer fatalen Wirkung führen kann, wie Murat Özkilic, Sprecher von Jugendschutz.net, betont: „Wenn rassistische oder demokratiefeindliche Postings auf Facebook-Profilen geduldet werden, kommt schnell der Eindruck auf, dass solche Aussagen okay sind.“ Nicht selten entstehe „ein Verstärkereffekt“. Andere User würden sich an der Hetze gegen Personen oder Personengruppen beteiligen. „Dies fördert ein Klima, in dem Beleidigungen, Häme oder gar volksverhetzende Aussagen salonfähig erscheinen und kann die Hemmschwelle für solche Beiträge weiter senken.“

Scripted-Reality-Serien sind keine echten Dokus sind

Problematisch könnte dies insbesondere angesichts der jungen Zielgruppe sein. Viele Zuschauer wissen nicht, dass die Scripted-Reality-Serien keine echten Dokus sind, hat Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Bildungs- und Jugendfernsehen in einer Studie herausgefunden. Sie glauben, dass die Protagonisten in ihrem Alltag von einer Kamera begleitet werden, die Handlung also echt und nicht erfunden ist, worauf im Abspann hingewiesen wird. Wie sollen diese Zuschauer dann die Kommentare reflektieren können?

RTL 2 und die Produktionsfirma Filmpool betonen dagegen, dass die Zuschauer sehr wohl unterscheiden können, dass die Handlung und die Darsteller nur erfunden sind. Angesichts der rassistischen und diskriminierenden Kommentare verweist der Privatsender auf die Verhaltensregeln der Facebook-Fanseiten. „Hausordnung“ wird die Netiquette auf der Seite genannt, die erst in einem Extrafenster geöffnet werden muss. Sie ist von Seriencharakter „Papa Joe“ verfasst. Er verweist darauf, dass Diskriminierungen verboten sind. Wer gegen diese „WG-Ordnung“ verstoße, fliege raus. Warum aber sollten die Nutzer eine „Hausordnung“ befolgen, die von einem fiktiven Charakter verfasst ist?

Täglich Tausende Kommentare

RTL 2 versichert, dass die Kommentare ernst genommen würden. Das Facebook-Profil werde von der Onlineredaktion des Senders betreut. Täglich würden Tausende Kommentare eingehen, mit einem Spamfilter sollen Beschimpfungen und Anfeindungen verhindert werden. „Bei der Masse an Kommentaren kann es im Einzelfall zu Verletzungen kommen, die wir aber sofort nach Bemerken sanktionieren“, sagt Sprecherin Lisa Christeleit. Sollten einzelne Posts verletzend oder diskriminierend sein, würden diese gelöscht.

Doch die Facebook-Seite zeigt, dass die diskriminierenden Kommentare kein Einzelfall sind. Dass sie nicht immer gelöscht werden und offensichtlich auch nicht im Spamfilter landen.

Neonazis verlagern ihre Online-Aktivitäten zunehmend ins Social Web

Nutzen rechte Gruppen gezielt die „BTN“-Fanseite, weil sie hier auf eine große, junge Zielgruppe treffen? Auf diese Frage antwortet RTL 2 nicht. Dabei hat Jugendschutz.net erst kürzlich einen Bericht veröffentlicht, wonach Neonazis ihre Online-Aktivitäten zunehmend ins Social Web verlagern. Von 7000 erfassten und als rechtsextrem eingestuften Inhalten im deutschsprachigen Netz seien 80 Prozent in sozialen Netzwerken gefunden worden. Die „BTN“-Facebook-Seite ist in dieser Studie nicht untersucht worden. Doch Sprecher Özkilic sagt, dass hier nicht nur RTL 2 in der Pflicht sei, sondern auch Facebook.

Facebook betont, „kein Ort für die Verbreitung rassistischer Ansichten“ zu sein. In diesem Fall gebe es allerdings eine Grauzone, weil sich die Beschimpfungen gegen fiktive Charaktere richten würden. Um diese zu entfernen, müssten sich die Schauspieler selbst beschweren. Aufgrund der Tagesspiegel-Recherche will das Unternehmen die „BTN“-Seite jetzt aber doch überprüfen und gegebenenfalls rassistische Beiträge löschen. Die Heftigkeit der Äußerungen hat das Unternehmen offensichtlich überrascht.

Gerne würde man wissen, was die Darstellerinnen von Sunny und Michelle selbst zu den Anfeindungen sagen, doch der Sender geht auf eine Interviewanfrage nicht ein. Beide Frauen haben auf Facebook viele Fans, die sie verteidigen. „Manche sollten hier mal sich ordentlich den Mund mit seife waschen“, schreibt eine Nutzerin. „Meine Güte das geistige Niveau bei manchen ist echt nicht mehr auszuhalten.“ Das ist ein wahrer Satz.

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