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Talkmaster Günther Jauch.

© dpa

Günther Jauch: Wattebällchen statt scharfe Kontroverse

Bei Günther Jauch wurde am Sonntagabend die Europawahl diskutiert - die AfD als ein Gewinner der Wahl war in der Runde allerdings nicht vertreten. Die Talkshow schätzte Wohlerzogenheit und Seminarton mehr als die scharfe Kontroverse.

Günther Jauch hielt auf Sicherheitsabstand. Also war ein Gewinner der Europawahl,  die Alternative für Deutschland, in der Runde nicht vertreten. Aber die AfD war natürlich Thema: Wie gehen Deutschlands große Parteien, die in der Regierungskoalition miteinander verschlungenen CDU und SPD, mit den Rechtskonservativen künftig um, jetzt da sie ins Europäische Parlament einziehen? Ignorieren, ernst nehmen, bekämpfen? Günther Jauch hatte zwei Schwergewichte des politischen Geschäfts in den Gasometer geholt: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück von der SPD.  Die beiden taten erst mal, was an so einem Wahlabend nolens volens getan werden muss: das Ergebnis der eigenen Parteien loben und zugleich den jeweiligen Spitzenkandidaten für den Chefsessel der EU-Kommission zu promovieren. Steinbrück also argumentierte für Martin Schulz, Schäuble für Jean-Claude Juncker.

Di Lorenzo: Parteien haben sich zu defensiv verhalten

Es waren insbesondere Juli Zeh, Schriftstellerin und Juristin, sowie „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, die das Thema des Talks „Die Denkzettel-Wahl – Abrechnung mit Europa?“ Richtung AfD lenkten. Für di Lorenzo waren die Wähler mit ihrem Stimmverhalten besser als die Parteien. Diese hätten sich „zu defensiv“ verhalten. Und, siehe da, Jauch wollte eben offensiv wirken. Also hatte er einen kleinen Joker vorbereitet - nein, nicht AfD-Chef Bernd Lucke,  aber immerhin Henning Dransfeld,  IT-Spezialist, vierfacher Vater, früher FDP-, jetzt AfD-Wähler. Die sehr wenigen Fragen an den Gast im Publikum hatten freilich nur Alibifunktion: Seht her, wir schließen die AfD-Klientel nicht aus. Ob sich Dransfeld verschaukelt gefühlt hat? Als personalisierte Staffage Ausgleich und Gerechtigkeit bei „Günther Jauch“?

Peer Steinbrück hatte die wiederholten Attacken auf die etablierte Politik satt – und machte plötzlich den Steinmeier aus dem Youtube-Video. Laut, leidenschaftlich, eindringlich nahm Steinbrück Partei für die Kompetenz, die just aus den Reihen der Gescholtenen kommt und das Geschäft eines erfolgreichen Europas besorgt. Schäuble assistierte mit Blick auf Angela Merkel. Wäre es zu viel verlangt, von einer Talkshow wegweisende, ja richtige Rezepte zu verlangen, wie Euroskeptiker und Neo-Populisten zurückgedrängt werden müssen? Juli Zeh, einzige Frau in der Runde, forderte Aktion und Reaktion. Die Politiker waren nicht sprach-, aber in ihren Wortmeldungen wirkten sie ratlos.

Die Europawahl hat das Zeug, das Parteiengefüge zu verändern

Wird die AfD für die Union, speziell für die CSU, was erst die Grünen und dann die Linke für die SPD wurden? Ewiger Konkurrent, ja Stachel im Parteifleisch? Diese Europa-Wahl hat das Zeug, das Parteiengefüge in Deutschland zu verändern, möglicherweise zu erschüttern. Da hätte die Runde richtig Kapital schlagen können, weil es eine Frage ist, die weit über den Wahlabend hinausweist. Aber sie blieb randständig, die eminente Frage.

Und Günther Jauch? Der las Giovanni di Lorenzo nach dessen überraschendem Geständnis, sowohl in Italien als auch in Deutschland gewählt zu haben, die theoretische Höchststrafe vor: fünf Jahre Haft. Bundesfinanzminister Schäuble beruhigte aber direkt: Ins Gefängnis müsse di Lorenzo deshalb nicht. Aber: Es könne nicht sein, dass manche Bürger zweimal wählen.

Wohlerzogenheit statt scharfe Kontroverse

Ansonsten fand Schäuble es "wie immer schön" in Jauchs Sendung. Das mag dem Gastgeber schmeicheln, zugleich zeigt das Kompliment an, dass die zuschauerträchtigste Talkshow im deutschen Fernsehen Wohlerzogenheit und Seminarton meistens mehr schätzt als die scharfe Kontroverse. Die zur Kontroverse herausfordende AfD aber ist da, sie ist präsent. Ihre Abwesenheit bei „Günther Jauch“ führt vor, wer seine Perspektive zum (ungeliebten) Emporkömmling noch finden muss – etablierte Medien und etablierte Parteien. Das kann ganz schnell gehen: Wo Jauch das Ergebnis noch aus der Ferne betrachten und ins Publikum einsacken lassen will, da ist Talkkollege Frank Plasberg schon einen Schritt weiter, so hart wie fair will er in seiner ARD-Runde am Montag das Wahlergebnis unter verengter Perspektive und mit erheblichem Streitpotenzial erörtern: „Europas Wutbürger – Abschottung statt Toleranz?“ Claudia Roth von den Grünen, AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke, der CSU-Grande Wilfried Scharnagl und der stets streitbare Michel Friedman treffen aufeinander. Da werden nicht die Wattebäuschchen fliegen wie in der Jauch-Runde. Die hatte, ohne jeden Zweifel, erkleckliches Niveau und war bei der Gästeliste doch zu wenig vom Wahlergebnis her aufgestellt. Es müssen nicht gleich NDP oder Tierschutz im Gasometer Platz nehmen.

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