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„Nie dem Leben schaden“. Die Ärztin Dr. Brandt (Anna Maria Mühe, Mitte) wird vom Ethikrat zum Zustand des Sterbewilligen befragt.

© ARD Degeto/Moovie GmbH/Repro

„Gott“ nach Ferdinand von Schirach: Wie würden Sie entscheiden?

Das TV-Spiel „GOTT“ ruft zum Nachdenken über den Suizid auf. Und hat vor allem einen grandiosen Auftritt.

November – wir Zuschauer sind hart im Grämen. Reden wir nicht von lebenden Schreckgespenstern wie Corona, die durchstandene US-Wahl. Reden wir von Montag, dem 23. 11., wenn es im Ersten „TV-Event“ heißt. Der ARD-Film „GOTT“, nach dem Stück von Ferdinand von Schirach. Da prangen sie uns vom Deckblatt des Presseheftes an, die Schauspieler-Asse. Ladies first: Barbara Auer als gestreng neutrale Ethikratsvorsitzende.

Ina Weisse als deren historisch besorgte Kollegin (Nazi-Euthanasie). Dazu Anna Maria Mühe, die unerbittlich hippokratisch gläubige Hausärztin („Nie dem Leben schaden“), und Christiane Paul, allwissend über den Dingen schwebende Rechtsprofessorin. Die Männer auf den Stühlen – der ganze Ernst des konstruierten Lebens, Fiktion genannt, schaut auch ihnen aus den Mienen: allen voran dem Architekten Richard Gärtner (Matthias Habich), in seiner Rolle 78, aber kerngesund. Laut Gutachten auch psychisch. Er will nicht mehr leben, seit seine Frau vor drei Jahren gestorben ist.

Nichts macht ihm mehr Spaß. Seine erfolgreichen Kinder nicht, seine Enkel nicht. Ihm fehlen die Reisen, die er mit seiner Gattin unternommen hatte. Nun betreibt er, ganz unerbittlich deutscher Reisemarschall, die letzte Reise: die ohne Wiederkehr. 15 Gramm Natrium-Pentobarbital braucht er. Gibt’s in der Schweiz.

Er weiß, dass er sich das besorgen darf, dass Ärzte ihm helfen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Selbsttötung als Freiheitsrecht im Februar dieses Jahres anerkannt, die Beihilfe steht nicht mehr unter Strafe. Er braucht kein Mitleid, keinen Trost, schon gar keinen Gott, ist er sich doch selbst einer. Ein „GOTT“, wie die Versalienschreibung trompetet („GOTT von Ferdinand von Schirach“, Montag, ARD, 20 Uhr 15).

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Man erinnert sich wehmütig an den Schirach-TV-Thriller "Terror"

Warum aber unterzieht sich Herr Gärtner dieser strafrechtlich irrelevanten öffentlichen Ethikratssitzung? Schirachs sonst so messerscharf rational kalkuliertes Stück weist in die Abgründe der Ich-Götterei: Seine übergroße Frau habe sich solches Rechtfertigungsfernsehtheater gewünscht. Er fühlt sich nur noch als die Hälfte.

Der selbstständige Schicksalsunternehmer wünscht keine Überraschungen, keine Tränen, nur gepflegtes Widersprechen, alles ganz so sedierend aseptisch, so bühnensprachlich blank geputzt, wie es Lars Kraume inszeniert hat.

Man erinnert sich wehmütig an den Schirach-TV-Thriller „TERROR – Ihr Urteil“ von 2016, in dem sich ein Bundeswehrpilot für den Abschuss einer Passagiermaschine vor Gericht rechtfertigen musste und die Gefühlsstürme von Angehörigen durch die Verhandlung brausten.

Man erinnert sich an Matti Geschonnecks „Ein großer Aufbruch“ (2015), als Matthias Habich einen altlinken Patriarchen spielt, der anlässlich seiner geplanten Selbsttötung in der Schweiz ein letztes Abendmahl feiert und dabei als egozentrischer Schaumschläger von seinen Kindern und Freunden demontiert wird.

Schirachs Thesenträgerregime in „GOTT“ lässt solcher Irritation wenig Platz. Ein unersättliches, vielleicht einsames Kind, das man im egozentrischen Architekten vermutet, bleibt stumm. Worüber man argumentierend nicht drechseln kann, schweigt „GOTT“. Es mag für nuschelverzweifelte „Tatort“-Ohren ein Labsal sein, wenn man versteht, was gesagt wird, wenn Musik schweigt, Höflichkeit eine Chance bekommt und das Handlungshüpfen unterbleibt, auch wenn sich Lars Eidinger als Anwalt für den sterbewilligen Architekten um Lässigkeit bemüht und durch den gediegenen Konferenzsaal (Kamera: Frank Griebe) streift. Aber reicht das?

Ist da zu viel „Schulfunk“ und Bemühtheit gegen Langeweile (wie die alberne Zuschauerabstimmung zum Schluss)? Nein. Es gibt den grandiosen Auftritt von Ulrich Matthes als Bischof. Der Gottesmann kommt dem sterbewilligen Ich-GOTT Gärtner mit dem Christengott, mit all dessen Widersprüchen und angeblichen Ladenhütern der Christenreligion, mit der Behauptung, Leben sei ein Geschenk, mit einem Ort, wo die moderne Egozentrik nicht die Alleinherrschaft hat und Besitzverhältnisse nicht gutachterlich klärbar sind. Da steht für einen Moment der Thesenbetrieb still, der sich so inbrünstig mit sich selbst beschäftigen. GOTT oder Gott sei Dank.

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