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Hinter den Kulissen einer Castingshow. Wer glaubt, hier keine Beschäftigung mehr zu finden oder finden zu wollen, kann sich fortbilden lassen.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Geschichten mit der Arbeitsagentur: Verschlossene Türen, höhere Gewalt

Medienjobs in Zeiten der Pandemie: Wie sich Weiterbildungen und Bürokratie in die Quere kommen.

Raoul M., 41, sitzt Anfang März in der Küche seiner Einzimmerwohnung und blickt auf einen Brief des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg. Darin wird ihm die Kostenübernahme einer Weiterbildung verwehrt, die ihm zuvor von der Agentur für Arbeit genehmigt wurde. Er ist arbeitslos und möchte mit der Weiterbildung seine Jobchancen erhöhen.

„Ich fühle mich schikaniert und kann nicht verstehen, wie willkürlich beim Jobcenter Entscheidungen gefällt werden“, sagt er. Bis Ende 2019 war M. projektbezogen als Castingredakteur und Redakteur für Reality- und Show-Formate im Fernsehen tätig. „Danach kam der Wunsch auf, mich beruflich zu verändern. Ich möchte als TV-Producer arbeiten.“ M. bemühte sich um eine Weiterbildung am Institut für Schauspiel-, Film- und Fernsehberufe. „Die sollte im März 2020 beginnen. Bis dahin war ich arbeitslos gemeldet und bekam Arbeitslosengeld I.“ Die Agentur für Arbeit sagte eine Kostenübernahme zu, nachdem M. Arbeitsnachweise und die Qualifikation zur IHK-Prüfung vorlegte. Dann kam die Pandemie.

„Die Weiterbildung sollte Ende März beginnen, wurde jedoch verschoben. Mein Bezug von ALG I war an diese Weiterbildung geknüpft.“ M. rutschte auf Hartz IV. Das Jobcenter war damit für ihn zuständig. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes wurde nicht gewährt, obwohl die Weiterbildung nur verschoben und nicht abgesagt wurde.

„Ich bekam auf einmal wesentlich weniger Geld, mitten im ersten Lockdown, als alle panisch waren. Die versprochene schnelle und unbürokratische Hilfe der Regierung hat bei mir nicht gegriffen.“ Seine Fixkosten habe M. zwar decken können, die Angst vor der Zukunft nahm ihm das nicht.

Anschließend wandte sich M. an das Jobcenter, um zu klären, ob er die Weiterbildung trotzdem in Anspruch nehmen dürfte. „Am 28. April 2020 habe ich die verschobene Weiterbildung zum TV-Producer, die von der Agentur für Arbeit genehmigt wurde, noch mal beantragt und eine Absage bekommen.“ Gefordert wurden wieder Empfehlungsschreiben, die Zulassung zur IHK-Prüfung, ein Motivationsschreiben und eine bescheinigte Aussicht auf einen Job, sagt er.

„Ich habe die Unterlagen eingereicht, und damit schien alles okay.“ Anfang 2021 war wiederum nichts okay. M. meldete sich erneut beim Jobcenter, da die Weiterbildung Mitte April stattfinden sollte. „Ich habe alle Unterlagen eingereicht und trotzdem wieder eine Absage bekommen.“

Gefordert worden seien zusätzlich nicht nur ein Vorvertrag für einen Job sondern auch eine Marktanalyse über Jobchancen für Film- und Fernsehproducer. „Es geht um eine Weiterbildung. Mir stellt doch niemand einen Vorvertrag aus, wenn ich die Qualifikationen noch nicht habe. Außerdem befinden wir uns mitten in einem Lockdown.“

„Das ist totale Schikane."

Auf Tagesspiegel-Anfrage erklärt ein Mitarbeiter des Jobcenters: „Das Jobcenter Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg setzt, wie im vergangenen Jahr auch, einen Schwerpunkt auf die Förderung von beruflicher, insbesondere abschlussorientierter Weiterbildung, da erwartet wird, dass sich in der Zeit nach der Pandemie der Fachkräftemangel wieder stärker bemerkbar machen wird.“ Je besser die Qualifikationen seien, desto besser seien die Chancen für eine Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt.

Dennoch sei „immer eine Prüfung der individuellen Fördervoraussetzungen im konkreten Einzelfall für das jeweilige Förderinstrument erforderlich“. Das schien für M. zu gelten. Genauer wollte man sich beim Jobcenter nicht äußern.

„Das ist totale Schikane. Ich bin beim Jobcenter gegen verschlossene Türen gerannt. Ich bin mir sicher, dass der Bearbeiter Menschen, denen er wohlgesonnen gegenüber ist, Bildungsgutscheine ausstellt, wenn er Bock hat“, sagt M. Er reichte Beschwerden ein – auch beim stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat für Soziales, Knut Mildner-Spindler (Die Linke), der für das Jobcenter zuständig ist. Dieser schreibt in einer Mail: „Ich bin seit mehreren Wochen mit der Geschäftsführung des Jobcenters dazu im Gespräch. Mich überzeugen weder die ursprüngliche Entscheidung des Vermittlers noch die inzwischen erfolgten Stellungnahmen aus dem Arbeitsbereich, und ich treffe auf Verständnis für meine Ansicht bei der Geschäftsleitung, dass es keine sich widersprechende Entscheidung zwischen Arbeitsagentur/SGB III und Jobcenter/SGB II geben sollte.“

Vor allem sei Mildner-Spindler der Meinung, dass der Wunsch von M. berechtigt sei, sich beruflich weiterzuentwickeln und nicht „mit Verweis auf wenig Erfolgsaussichten in der beruflichen Perspektive abgewehrt werden“ sollte. Dennoch vertröstet er auf den Ausgang „mehrer Gespräche“.

Währenddessen klagte M. in erster Instanz vor dem Sozialgericht. Seine Anwältin Johanna Eyser war seit Februar mit dem Fall vertraut: „Rechtlich ist das Problem, dass die Bewilligung der Agentur für Arbeit formal ihre Gültigkeit verloren haben könnte, weil sie sich konkret auf eine Maßnahme bezog, die im Jahr 2020 hätte stattfinden sollen.“ Diese Beschränkung der Gültigkeit einer Weiterbildungsbewilligung sehe das Gesetz grundsätzlich so vor.

„Nicht geregelt ist im Gesetz jedoch der Fall, was passiert, wenn die Weiterbildung in Folge höherer Gewalt, wie hier der Pandemielage, nicht durchgeführt werden kann.“ Eysers Ansatz war, das Gericht davon zu überzeugen, „dass es nicht sein kann, dass Herr M. hierdurch einen Nachteil erleidet“.

Zudem war für sie wenig verständlich, dass das Jobcenter die Situation anders einschätzte als die Agentur für Arbeit. „Bei einem ähnlichen Verfahren im Kölner Raum zeigte sich das Jobcenter wesentlich flexibler und bewilligte letztlich im Widerspruchsverfahren die Leistungen, die für die Überwindungen der coronabedingten Notlage erforderlich waren.“

Tage vor Kursbeginn am 12. April stand fest: Raoul M. durfte an der Weiterbildung teilnehmen. Die Aussicht auf einen potenziellen Job als Producer reichte dem Jobcenter, um eine Kostenübernahme zu bewilligen. Trotz des Erfolges, den M. erzielen konnte, findet er es schade, ein Jahr in der Warteschleife gehangen zu haben und dass das Jobcenter ihn nicht besser unterstütze, besonders in Zeiten einer Pandemie – der Staat habe letzten Endes auch etwas von seiner beruflichen Weiterbildung.

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