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Hightech in Nürnberg. In ihrem ersten gemeinsamen Fall müssen die Kommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs), Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt, sitzend) den Tod eines Raketenkopfforschers aufklären.

© Olaf Tiedje/BR

Fulminantes "Tatort"-Debüt: Die unkeusche Seite von Franken

Das von Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs geleitete "Tatort"-Team aus Franken ist der Gegenentwurf zu Dortmund und Hamburg.

Wie heißt es so schön in Bayern: „Man muss Gott für alles danken, selbst für Ober-, Mittel- und Unterfranken“. Nun also haben auch die Franken einen eigenen „Tatort“. Das Team ist ausgezeichnet besetzt. Dagmar Manzel spielt die aus dem brandenburgischen Guben stammende Kommissarin Paula Ringelhahn und Fabian Hinrichs ihren neuen Kollegen Felix Voss, der von der fernen Küste kommt. Beide sind sowohl auf der Bühne als auch auf dem Bildschirm zu Hause. Ringelhahn und Voss teilen sich die Leitung der Mordkommission gleichrangig. Fabian Hinrichs ist für den Bayern-„Tatort“ kein Unbekannter. Als Assistent Gisbert Engelhardt hatte er Ende 2012 in der Folge „Der tiefe Schlaf“ in München sein bayerisches „Tatort“-Debüt – das für den Technik-Nerd Gisbert allerdings tödlich endete. Zuschauer und Kritiker waren sich jedoch einig, dass dies nicht sein letzter Einsatz bleiben sollte.

Neben den Importen aus dem Osten und dem Norden gehören drei waschechte Franken zum Team. Einer von ihnen ist der Kabarettist Matthias Egersdörfer, der als Spurensicherer Michael Schatz für Lokalkolorit sorgt. Ermittelt wird in ganz Franken. Und mit Max Färberböck als Autor des Drehbuchs und mehrfach ausgezeichnetem Regisseur für die Auftaktfolge „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ konnte der Bayerische Rundfunk es kaum besser machen. Am Ende ist sogar eine echte bayerische Moritat über die Folgen eines sexuell ausschweifenden Lebens herausgekommen Passt schon, wie man in Bayern sagt.

In ihrem ersten gemeinsamen Fall bekommen es Ringelhahn und Voss mit einem Mord in Mittelfranken zu tun. In einem Waldstück wird ein Toter in einem Auto gefunden, mit heruntergelassenen Hosen. Die zwei Kopfschüsse trafen ihn „im Augenblick höchster Hingabe“, wie Spurensicherer Schatz in schönstem Fränkisch erläutert. Von der Frau fehlt hingegen außer einigen Haaren jede Spur. Bei dem Toten handelt es sich um einen Professor an der Uni Nürnberg, seine Frau wusste nichts von seinem Doppelleben. Und die Öffentlichkeit darf nichts von seiner Forschungsarbeit wissen. „Nato-restricted, geheime Raketenforschung für das Pentagon“, weist eine Mitarbeiterin des Professors die Fragen der Kommissare ab.

Fabian Hinrichs gibt als Kommissar Voss die nordische Frohnatur

Fabian Hinrichs Kommissar Voss ist eine echte Frohnatur, meistens jedenfalls. So weit wie möglich versucht er sein Gegenüber mit einem Lächeln zu entwaffnen – oder zu einer Aussage zu bringen. Doch sein offenes Wesen sollte nicht falsch verstanden werden, denn Voss kann auch anders. Über seine Vorgeschichte ist hingegen ebenso wenig bekannt wie über seine Vorlieben. Auch in anderen Punkten unterscheidet sich diese „Tatort“-Neugründung von anderen Produktionen. In der Nürnberger Mordkommission sind die Mitarbeiter nicht auf Krawall gebürstet, die Kollegen begegnen dem Neuen mit interessierter Neugier statt mit Revierkämpfen.

Von Paula Ringelhahn erfährt man etwas mehr. Die aus dem Osten stammende Kommissarin hat mitunter ein Problem, ihr aufbrausendes Gemüt zu bremsen. Und mit Herstellern von Streubomben kennt sie kein Erbarmen. Der verbale Schlagabtausch mit dem Stiefbruder des Ermordeten ist dabei äußerst unterhaltsam, genauso wie der Rüffel von Polizeipräsident Kaiser (Stefan Merki). Überhaupt wünscht man sich mehr von diesem Team, das allerdings nur einmal im Jahr zum Einsatz kommen wird.

Zumeist vertraut Max Färberböck auf die erzählerisch eher ruhige Gangart. Doch auch er kann anders: In einer Szene befreit ein mobiles Einsatzkommando zwei Kinder, die sich gerade einen harmlosen Film im Kino anschauen, in voller Kampfmontur. In der Realität schickt man hoffentlich erst einmal einen unauffälliger gekleideten Beamten zum Erkunden des Terrains vor.

Der neue BR-„Tatort“ aus Franken vermittelt viele neue Perspektiven. Damit sind nicht allein die Stadtansichten aus Nürnberg zwischen Bahnhof und Burg gemeint. Bei ihrer ersten gemeinsamen Autofahrt kommen die Kommissare an der „Weltuntergangsstraße“ vorbei, wie sie Paula Ringelhahn nennt: Hier arbeiteten früher viele Menschen für Quelle, Adler und AEG. Auch sonst ist die Kameraführung im besten Sinne ungewöhnlich.

Der neue "Tatort" befriedet die fränkische Seele

Mit dem neuen „Tatort“ befriedet der Bayerische Rundfunk die fränkische Seele. Mancher Zuschauer jenseits des Weißwurstäquators wird möglicherweise des Öfteren nach einem Übersetzer schreien. Und Bayern wäre nicht Bayern ohne seine besondere Sicht auf die Dinge: „Ihr habt uns die Hauptstadt auf den Hals gehetzt“, schimpft Polizeipräsident Kaiser seine Untergebenen einmal an und ergänzt: „München schaut jetzt auf uns.“ Das ist Föderalismus auf Freistaat-Art, mit Ober-, Mittel- und Unterfranken.

„Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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