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Erst trennte sich der Berliner Verlag von den Chefredakteuren Jochen Arntz und Elmar Jehn, nun verlässt deren Nachfolger Matthias Thieme "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier".

© Sophia Kembowski/dpa

Führungslose "Berliner Zeitung": Tanz auf der Titanic

Nach dem Weggang von Matthias Thieme: Die Stimmung im Berliner Verlag wechselt zwischen Galgenhumor und Aufbruchswille.

„Auch auf der Titanic wurde bis zuletzt getanzt.“ In der Alten Jakobstraße am Sitz des Berliner Verlages ist die Stimmung stellenweise von einem gewissen Galgenhumor geprägt. Dass Matthias Thieme, der erst vor drei Wochen zum Chefredakteur ernannt wurde, am Wochenende seine Kündigung eingereicht hat, wurde dem Vernehmen nach sogar eher positiv und mit Erleichterung aufgenommen. Die Entmachtung der vorherigen Chefredakteure von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“, Jochen Arntz und Elmar Jehn, hatte Thiemes Akzeptanz in der Redaktion eher geschadet als genutzt.

Der „Berliner Zeitung“ selbst hat man Thiemes Kündigung am Montag nicht angesehen, im Impressum stand er zunächst weiterhin als Chefredakteur. Dass die Zeitung formal führungslos ist, wurde von der Redaktion jedenfalls nicht als Problem angesehen. Bevor sich Silke Friedrich, die zusammen mit ihrem Ehemann Holger Friedrich Ende vergangenen Jahres den Berliner Verlag vom Kölner Medienhaus DuMont erworben hat, für ein offenes Gespräch vor die Belegschaft stellte, hatte die Redaktion schon begonnen, über die Themen des nächsten Tages zu diskutieren.

Die verschiedenen Eigentümerwechsel haben den Berliner Verlag nicht zur Ruhe kommen lassen. Nach dem Verkauf an das Ehepaar Friedrich hat sich die Lage sogar nochmals zugespitzt. Die Redaktion wurde von der Enthüllung über die Stasi-Tätigkeit des Neu-Verlegers ebenso überrascht wie die Öffentlichkeit.

Ein Gutachten der ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk, relativierte die Stasi-Verstrickung von Holger Friedrich später. Zu Friktionen kam es gleichwohl auch über die publizistische Linie der „Berliner Zeitung“ und über das Tempo anstehender technischer Veränderungen. Auch dass Herausgeber Michael Maier mitunter als Ober-Chefredakteur agiere, soll zu Verstimmungen geführt haben.

„In schwerem Fahrwasser“

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht die „Berliner Zeitung“ weiter „in schwerem Fahrwasser“. „Das ist schade, weil es sich um eine reputierliche Zeitung handelt“, sagte der Berliner DJV-Vorsitzende, Christian Walther, dem Evangelischen Pressedienst.

„Wir empfehlen den zügigen Abschluss eines Redaktionsstatutes sowie eines Tarifvertrages, damit es ein paar Geländer gibt, an denen man sich festhalten kann im Alltag des Berliner Verlages“, betonte Walther. „Das wäre hilfreich, weil man den Eindruck hat, dass da vieles ins Rutschen gekommen ist.“ Dem Vernehmen nach befinden sich die Gespräche über ein Redaktionsstatut auf einem guten Weg.

Für Frederik Bombosch, den Betriebsratsvorsitzenden der Redaktion von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“, gibt es keinen Grund zum Schwarzmalen. „Die Redaktion arbeitet professionell weiter.“ Der Weggang von Thieme sei zwar „ein ordentlicher Knall“, aber das könne beim Nachdenken darüber helfen, was man tut. Jetzt wünsche man sich, dass man in Ruhe miteinander klärt, wie man gemeinsam etwas Neues aufbaut.

Einen Wunsch hat Bombosch schon: „Die nächste Chefredaktion sollte deutlich länger bleiben als Matthias Thieme.“

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