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Ein syrisches Kind liegt tot am Strand von Bodrum (Türkei).

© AFP

Update

Flüchtlings-Drama: Diskussion um Foto eines toten syrischen Jungen in der "Bild"

Schock-Bilder oder Dokumente des Versagens? Die Debatte darüber, welche Fotos der Flüchtlingsdramen gezeigt werden und welche nicht, geht weiter.

Ein toter, syrischer Junge, der an den türkischen Strand angespült wurde, gestorben auf der Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat, drumherum ein schwarzer Trauerrand - dieses Foto, das die komplette letzte Seite der "Bild"-Zeitung an diesem Donnerstag einnimmt, sorgt für Diskussion, in Fortführung der Debatte um Schock-Fotos am vergangenen Wochenende.

Darf man das? Oder geht das gar nicht? Der Junge war laut Medienberichten offenbar erst drei Jahre alt und stammte aus Syrien. Der Junge saß vermutlich in einem von zwei Flüchtlingsbooten, die am Mittwochmorgen auf dem Weg von der türkischen Küste zu einer griechischen Ägäis-Insel sanken. Insgesamt zwölf tote Flüchtlinge aus Syrien, darunter fünf Kinder, wurden von der türkischen Küstenwache geborgen. 15 Flüchtlinge schafften es an Land. Drei Menschen werden noch vermisst. Einem Bericht der britischen Zeitung "The Guardian" zufolge überlebte auch der Bruder des Jungen die Überfahrt nicht. Offenbar starb auch die Mutter.

Das Bild des toten Jungen sorgt weltweit für Bestürzung. "Ein Foto, um die Welt zum Schweigen zu bringen", kommentierte die italienische Zeitung "La Repubblica". "Der Untergang Europas", schreibt die spanische Zeitung "El Periódico". "Was, wenn nicht dieses Bild eines an den Strand gespülten syrischen Kindes, wird die europäische Haltung gegenüber Flüchtlingen ändern?", fragt die britische Zeitung "The Independent" auf ihrer Website. Viele englische Zeitungen sollen dieses Foto auf Seite Eins gebracht haben.

dpa gab das Foto verpixelt heraus. „Zuerst einmal: Dieses Foto hat uns in der dpa-Redaktion auch schockiert. Gerade auch Tote haben aber eine Würde", sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann. "Daher haben wir uns dafür entschieden, es vorerst nur gepixelt aufzulegen. Unsere Kunden können es aber auch unverpixelt bestellen beziehungsweise eine Perspektive, in der das Kind nicht so im Zentrum des Bildes steht." Bisher habe es jedoch keine Anfragen in dieser Richtung gegeben.

Wieso Schock? Was glauben denn all die Leute da draußen, was Krieg heißt? […] Es ist an der Zeit, dass wir uns der Wahrheit über Krieg und Vertreibung stellen. Solidarität heißt auch, versuchen auszuhalten – und wenn es nur ein Bruchteil dessen ist, was Andere tagtäglich ertragen müssen ...

schreibt NutzerIn santacruz

"Wir sind der Überzeugung, dass auch die Visualisierung menschlichen Leids zur journalistischen Grundversorgung durch die dpa gehört", so Gösmann weiter. "Wir bemühen uns aber in steter Einzelfallabwägung darum, dabei die Würde von Opfern und auch die Gefühle von Nutzern unserer Produkte zu berücksichtigen. Die sich häufende Diskussion um Fotos und Videos aus Kriegs- und Krisengebieten, die auch und gerade in den Redaktionen unserer Kunden geführt wird, bestärkt uns darin. Grundsätzlich stellen wir eine besonders hohe Sensibilität in diesen Fragen in Deutschland fest, angelsächsische oder asiatische Kunden bewerten diese Fragen weniger restriktiv.“

Ein medialer Wendepunkt?

Der Branchendienst meedia. de spricht von einem "medialen Wendepunkt". Jede Krise, jedes große Weltpolitische Ereignis habe sein Symbolfoto. "Das war beim 11. September oder auch beim Vietnamkrieg so. Damals brachte das Napalm-Mädchen eine Wende in der Berichterstattung. Jetzt hat auch die Flüchtlingskrise ihr Symbolbild."

Die "Bild" erklärt, das Bilder wie dieses "schändlich alltäglich geworden" seien. "Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in diesr Flüchtlingskrise".

Und wie verhält sich der Presserat? "Es ist ein schockierendes Foto, das beim Betrachter vielfältige Emotionen auslöst", sagt Edda Eick, Sprecherin des Presserats. "Die Medien sind unterschiedlich mit der Foto-Veröffentlichung des toten Kindes umgegangen, teilweise wurde das Foto gepixelt." Der Presserat habe bereits zehn Beschwerden zu dem Foto, das auf Bild Online erschienen ist, erhalten. Im Kern gehe es, so Eick, um die Ziffern 1 (Menschenwürde) und 11(Sensationsberichterstattung) in den Beschwerden. Ferner gebe es Beschwerden zu der Foto-Veröffentlichung im "Handelsblatt" und auf FAZ.net. "Wir erwarten noch weitere Beschwerden zu der Thematik. Der Presserat wird die Beschwerden sammeln und auf einen möglichen Verstoß gegen den Pressekodex prüfen."

Bei Twitter verbreitet sich das Bild unter #KiyiyaVuranInsanlik ("Die fortgespülte Menschlichkeit") oder auch nur #Kiyiya wie ein Lauffeuer.

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