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Der Alltag in Zeiten von Corona, davon erzählen die Kurzgeschichten der RBB-Aktion „4 Wände Berlin“.

© rbb/Lutz Pehnert

Fernsehprojekte in Coronazeiten: Regieanweisungen aus dem Smartphone

So erfinderisch macht Corona – Was die TV-Projekte „4 Wände Berlin“  und „Liebe. Jetzt!“ verbindet.

Ein kleines Mädchen sitzt in einem Zimmer mit abgezogenen Dielen auf einem kleinen Teppich, vor sich ein weiß-rot gepunktetes Tuch. „Das Rote, das sind die Leute. Und das Weiße, das ist der Corona“, sagt das Mädchen und fährt fort: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass der Corona mehr ist als die Leute.“

„Skizzen einer Familie“ heißt der 120-Sekunden-Clip von Luca Lucchesi und Hella Wenders. Er gehört zu der Kurzfilm-Aktion „4 Wände Berlin“, die seit dem 1. April im RBB läuft. 30 Filmemacherinnen und Filmemacher aus der Hauptstadtregion haben sich beteiligt, darunter Volker Heise, Wim Wenders, Annekatrin Hendel, Mo Asumang, Hans-Christian Schmid und 25 weitere Filmschaffende. Auf großes technisches Equipment wurde kein Wert gelegt, zur Not tat es auch ein Smartphone. Corona macht erfinderisch. Alle Filmchen wurden von Jan Tenhaven zu einer Gesamtedition montiert, die mehr als die Summe ihrer Einzelclips ist und an diesem Sonntag ausgestrahlt wird.

[Über die aktuelle Entwicklung der Coronapandemie in Deutschland informiert der Newsblog des Tagesspiegels]

Was ein so kleines Virus anrichten kann, das können sich nicht nur Kinder schwer vorstellen. Wer nicht gerade im Krankenwesen arbeitet oder auf andere Weise direkt mit der Krankheit in Berührung kommt, hat ja schon Schwierigkeiten, die Ernsthaftigkeit der Bedrohung realistisch einzuschätzen. Was wir sehen, und das gilt auch für die Filmemacher, sind die mittelbaren Auswirkungen der Pandemie. Leere Straßen, unbelebte Plätze, verwaiste U-Bahnsteige, Kinderspielplätze mit Flatterband, das sind die vorherrschenden Bilder in „4 Wände Berlin“. Gespenstisch sind sie gleichwohl.

Der Wahnsinn der ersten Tage

Und natürlich kommt die Dokumentation eines solchen Ausnahmezustands nicht ohne Menschen mit Masken vorm Gesicht aus, auch wenn es weniger sind als man meinen könnte. Vermutlich wären es inzwischen mehr. Dafür gibt es die erwartbaren Clips über den Klopapierwahnsinn der ersten Corona-Tage in Deutschland.

Auf sehr poetische Weise wird diese Phase des Beinahe-Stillstandes durch eine kurze Sequenz eingefangen, in der sich die durch das Fenster einfallende Sonne im Zeitraffer über den Boden, die Wände, den kleinen Tisch bewegt. Und ja, berührend ist auch der Sandmännchen-Clip, in dem auch er nur per Tablet und Videokonferenz Kontakt zu den Kindern halten kann. Allerdings kommen längst nicht alle so gut zurecht mit der Situation wie diese Kinder, mitunter blickt reichlich Klaustrophobie und eine Spur „Shining“ durch den Coronaalltag.

Überhaupt stellt sich die Frage, wie wohl das „4 Wände“-Projekt, diese Collage des Coronaalltags, aussehen würde, wenn es in Italien oder Spanien, in China oder in den USA entstanden wäre? Oder einfach von Menschen einer anderen sozio-kulturellen Schicht erstellt worden wäre? Das Gebot der Stunde in der „Coronakrise“ heißt Abstand halten, diesen und andere Appelle hört man als Radio-Stimme immer wieder aus dem Hintergrund, vor allem die Worte der Kanzlerin halten den Film zusammen. Ganz sicher wird man diesen eindrucksvollen Film noch besser bewerten können, wenn man ihn in einer Zeit mit mehr Abstand zum Coronavirus noch einmal sieht.

Die Liebe in Zeiten von Corona, davon erzählen die Kurzgeschichten der ZDFneo-Miniserie „Liebe. Jetzt!“. Wobei Thorsten (Jürgen Vogel) und seine Freundin Jana (Natalia Belitski) bei der per Videokonferenz zugeschalteten Paartherapeutin keinen wirklich harmonischen Eindruck hinterlassen.
Die Liebe in Zeiten von Corona, davon erzählen die Kurzgeschichten der ZDFneo-Miniserie „Liebe. Jetzt!“. Wobei Thorsten (Jürgen Vogel) und seine Freundin Jana (Natalia Belitski) bei der per Videokonferenz zugeschalteten Paartherapeutin keinen wirklich harmonischen Eindruck hinterlassen.

© ZDF und Juan Sarmiento G.

Ein anderer Ansatz, aber ebenfalls unter Corona-Bedingungen, wurde für die sechsteilige Mini-Serie „Liebe. Jetzt!“ gewählt. Mit rund 20 Minuten sind die Episoden zwar ebenfalls recht kurz, aber im Gegensatz zur RBB-Produktion sind in dieser Anthologie-Reihe von ZDFneo professionelle Schauspieler zu sehen – auf wohl bislang einmalige Weise.

Um den behördlichen Coronaauflagen gerecht zu werden, agierten die Schauspieler entweder alleine oder in Paarkonstellationen, die auch privat bestehen. Kamera und Ton wurden vor den Aufnahmen von den Technikern eingerichtet und konnten fernbedient werden. Selbst die Regisseure Pola Beck und Tom Lass wurden remote zugeschaltet – per Videokonferenz oder per Smartphone. Ungewöhnlich ist zudem der kurze Vorlauf vor der Ausstrahlung, denn die Kurzgeschichten über die Liebe in Zeiten von Corona entstanden in nur vier Wochen. Herauskommen sollten „Geschichten, die Mut machen und ein Zeichen für die Kraft und Vielfalt der Liebe setzen“, so die Intention der Mini-Serie.

Jürgen Vogel als Beziehungsnomade

Mit der Hoffnung ist das allerdings so eine Sache, vor allem mit einem Beziehungsnomaden wie Thorsten (Jürgen Vogel) in der Auftaktfolge „Plötzlich Paar“. Bevor er sich bei Jana (Natalia Belitski) häuslich eingerichtet hat – weil er nicht mehr zurück zu seinem in Corona-Quarantäne befindlichen WG-Mitbewohner kann –, hat er bereits mit drei Frauen zwei Kinder gezeugt und drei Scheidungen hinter sich gebracht.

[„4 Wände Berlin – Filme mit Abstand“, RBB, 22 Uhr 45; „Liebe. Jetzt!“, ZDFneo, ab 21 Uhr 45, beide Sonntag]

Und auch die Beziehung mit Jana, die ungewollt schwanger wurde, weil Thorstens Sterilisation versagte, steckt in so großen Schwierigkeiten, dass die beiden nun Rat bei Paartherapeutin Lamia (Dela Dabulamanzi) suchen. So viel zum Setting, der Rest ist Beziehungskomik beziehungsweise -tragödie, es kommt nur auf den Blickwinkel an. Perspektiven gibt es trotz der Corona-Produktionsbedingungen erstaunlich viele, inklusive Schuss und Gegenschuss. Selbst die Videokonferenz mit der Paartherapeutin wird so gekonnt integriert, dass dabei kein Quarantäne-Feeling aufkommt.

Die Kurzgeschichten decken eine erstaunliche Bandbreite an Themen ab, wenn sie zum Beispiel von einem frisch getrennten Paar erzählen, das weiterhin zusammenleben muss und nun alte Gefühle und Gemeinsamkeiten entdeckt. Oder von Kindern, die sich zum ersten Mal um ihre Eltern sorgen müssen. Oder von zwei Kollegen im Homeoffice, die plötzlich merken, wie sehr sie einander vermissen. Sie alle zusammen erzählen davon – genauso wie „4 Wände Berlin –, dass inzwischen die ersten vielversprechenden Ideen für eine neue Fernsehrealität entstehen.

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