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Eine Erscheinung, das ist Candy Crash aus Berlin. Sie baut sich im Internet ein Candy-Imperium auf, wird angefeindet. Aber sie wehrt sich gegen die Hater.

© zero one 24/T. Kruse/Ostkreuz

Fernsehprojekt "24h Europe": Alle jung, alles anders

Das ambitionierte TV-Projekt „24h Europe“ zieht 24 Stunden durch die Lebenswelten von 60 jungen Menschen.

Vor knapp zehn Jahren hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg „24h Berlin“ gewagt. Ein Tag in Berlin, Berlinerinnen und Berliner über 24 Stunden beobachtet und in 24 Stunden Fernsehen für alle Berlinerinnen und Berliner zur Beobachtung freigegeben. Ein Experiment, ausgedacht von Produzent Volker Heise (zero one), das weitere, vergleichbare Experimente nach sich zog: „24h Jerusalem“, „24h Bayern“.

The next big thing: „24h Europe“. Ins Werk gesetzt von Arte, drei ARD-Sendern und verschiedenen europäischen Anstalten. Gemeint ist hier ein Europa aus 26 Ländern, 60 Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Eine beispiellose Produktion: mehr als 30 Rechercheure auf der Suche nach Protagonistinnen und Protagonisten, 260 Teammitglieder beim Dreh im Frühsommer 2018, Postproduktion mit 700 Stunden gedrehten Materials in 28 Sprachen und Dialekten. Was zero one 24 in Berlin und Idéale Audience in Paris, was Regisseurin Britt Meyer und Regisseur Vassili Silovic geleistet haben, steht für ein sehr ehrgeiziges Ziel – eine europäische Erzählung in Echtzeit. Die Wirklichkeit diktiert Themen und Takt für die Hauptpersonen. Fernsehen sprengt sein Material und setzt es wieder zusammen.

Und doch könnte ein Risiko für „24h Europe“ geringer sein als damals bei „24h Berlin“. Die Millenials von heute sind geschulte Binge Watcher, die können sich Streaming-Serien Folge für Folge, Staffel für Staffel reinziehen, vom Anfang bis zum Ende mit eckigen Augen. Vielleicht ist dann das Finale erreicht, haben alle Fragen ihre Antworten gefunden. Bei „24h Europe“ ist nur ein Ausschnitt zu Ende gegangen. Das Leben der 60 jungen Europäer geht weiter wie die Geschichte, die Zeit, das Leben, Europa – „24h Europe“ ist geglückte Gegenwartsschrumpfung.

Selbstporträt einer Generation

„The Next Generation“ aus allen Ecken des Kontinents erzählt von ihrem Hier und Jetzt in Europa, von ihrer Welt, von ihrer Lebenswirklichkeit, ihren Träumen für die Zukunft, „24h Europe“ ist das (Selbst-)Porträt einer Generation. Beim Casting galten Zukunftsthemen und Megatrends als die wesentlichen Kriterien, wie Martina Zöllner, verantwortlich beim Rundfunk Berlin-Brandenburg für das Projekt, sagte; von Digitalisierung bis Gender Shift, von Somewheres bis Anywheres, von denen, die Institutionen wie der EU die Lösung von Zukunftsfragen nicht zutrauen, die zugleich aber mit Optimismus nach vorne schauen. „24h Europe“ liefert keine Autopsie, dafür ein Panorama. Nähe und Ferne korrespondieren.

Und es ist wie bei einer Lieblingsserie, es schälen sich sympathische wie unsympathische Protagonisten heraus, da wird jeder Zuschauerin und jedem Zuschauer die- oder derjenige ans Herz wachsen oder Ablehnung hervorrufen. Jeder wird seine Auswahl treffen. Hier die meine: Ich interessiere mich für das Fremde im doppelten Sinne. Für Ibrahim, 30, der im französischen Toulouse Medikamente ausfährt. Der Salafist unterwirft sich seinem Gott und verlangt, dass sich seine Frau ihm unterwirft. Sie wird nicht im Bild zu sehen sein.

Oder Almerigo aus der italienischen Hafenstadt Triest. Er ist Mitglied der rechten „Forza Nationale“, die sich auch als Bürgerwehr versteht, in Parks geht, um dort nach dem Rechten zu sehen. Afrikaner raus, Italien raus aus der EU, das muss empören, aber zur Wirklichkeit im ach so aufgeklärten Europa gehört es auch.

Candy Crash aus Berlin

Aufregung wechselt mit Anteilnahme. Candy Crash, 27-jährige Youtuberin aus Berlin, will mal eine berühmte Dragqueen sein. Das Motto des Mannes mit dem weiblichen Künstlernamen lautet „Weg mit den Haters!“ Andrea, 23, ist eine Überlebende des Massakers auf der norwegischen Insel Utoya im Juli 2011. Die Studentin kann die Erinnerung schwer verarbeiten, zugleich plagt sie, dass Norweger zu vergessen beginnen, dass ein rechtsradikaler Norweger 69 Jungen und Mädchen erschossen hat. Katya ist 23 und arbeitet als Radioökologin im weißrussischen Tschernobyl, Synonym für einen Super-GAU in einem Atomkraftwerk. Katya sagt, sie könne sich keine schönere Arbeit vorstellen als herauszufinden, welche realen Gefahren es durch radioaktive Strahlung gibt – und was nur Geschwätz ist.

Und das sind nur fünf aus dem Ensemble der 60. Das Fernsehereignis der 24 Stunden hat rechnerisch 24 Minuten Zeit für einen Tag im Leben von Romana, Mary, Roxxxy, David, Anton oder Verica. Das ist wenig. Aber so wie Existenzen im Sprint und im Marathon dieses Fernsehprojekts zusammengefügt werden, wird eine sehr große Gratulation daraus.

24h Europe – The Next Generation“, Arte, Samstag bis Sonntag, 6 bis 6 Uhr

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