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Näher ran. Augsburg-Trainer Heiko Herrlich sieht den Fragesteller kaum.

© dpa

Fernsehen und Fußball: In weiter Ferne, so nah

Zwischen Abstandsregeln, Wohlfühlinterviews und Beitragserhöhung: Was der Wiederverkauf der Bundesliga-Medienrechte an ARD, ZDF, Sky & Co. für Fußballfans und Sportjournalismus bedeutet.

Autowerbung, Abpfiff, Abstieg, Abspann – kaum hatte man sich, nach Monaten der Pandemie-bedingten Entbehrung, wieder an die Samstags-„Sportschau“ mit ihrer Bundesliga-Rundumversorgung gewöhnt, ist es schon wieder vorbei. Da mögen Hygienekonzepte, leere Stadien und teils bröckelnde TV-Quoten noch so sehr an der Selbstgewissheit des großen Fußball-Medien-Geschäfts genagt haben – the show must go on, so abgedroschen das auch immer klingen mag.

Dafür sprechen auch die Erlösgelder, die die Deutsche Fußball Liga im mehrwöchigen Medienrechte-Poker mit ARD, Sky, Dazn & Co. herausgeholt hat. „Nur“ noch 1,1 Milliarden Euro pro Saison ab 2021/22 statt 1,16 wie bisher, um Bundesliga zu zeigen; davon, laut „Sponsors“, allein 110 Millionen jährlich von der ARD-„Sportschau“ – das sind stattliche Summen, auch wenn man an die aktuelle Diskussion über Rundfunkbeiträge denkt.

Schon geht SWR-Intendant Kai Gniffke in die Vorwärtsverteidigung und verteidigt die hohen Kosten für den Sport (und Soaps) bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die Sendungen würden von Jung und Alt gesehen. „Und wer kümmert sich sonst um die ältere Generation? Niemand!“

ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein kennt Interviewgast Oliver Kahn sehr gut.
ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein kennt Interviewgast Oliver Kahn sehr gut.

© tsp

Naja, ganz so einfach ist es nicht. Der neue TV-Rechteinhaber Sat1 dürfte bei der Präsentation seiner neun exklusiven Bundesligaspiele im Free-TV ab übernächster Saison mit an die Ü60er denken. So schlecht, so einseitig juvenil war „ran – die Fußballshow “ in den 1990ern mit Beckmann und Welke nicht – und das kostete und kostet den Zuschauer keinen Cent Rundfunkbeitrag. Genauso wie bei den – geschätzt – 595 Millionen Euro, die Sky pro Saison für die Liga ausgibt und die sich der Pay-TV-Sender bei Abonnenten zurückholen muss.

Immerhin, der Pay-TV-Sender holte Rekordquoten mit seinen Live-Berichten zu Geisterspielen im Mai und Juni. Die „Sportschau“ hatte ihre liebe Mühe mit der Berichterstattung nach der wegen Corona unterbrochenen Saison. Rund eine Million Zuschauer weniger wollten am späten Samstagnachmittag dabei sein, als sich Bayern München Woche für Woche der Meisterschaft näher spielte, alles streng im Blick des von der DFL aufgestellten Hygienekonzepts, das nicht nur Zuschauer aus den Stadien verbannte.

Auch für die Reporter war das kein einfacher Job. Interviews wurden über die Distanz von 50 Metern ohne Blickkontakt geführt. Spieler schauten direkt in die Kamera. Allein dieser Umstand machte die Situation „unnatürlicher und weniger emotional“, sagt ARD-Reporter Tom Bartels. Es gebe keine direkte Rückmeldung für Spieler/Trainer durch eine Reaktion des Interviewers.

Wird Experte bei Springer- Mehmet Scholl.
Wird Experte bei Springer- Mehmet Scholl.

© dpa

„Einige Spieler fühlen sich dabei unwohl, die Gespräche sind statischer, starke Aussagen seltener. Besondere Interviews gelingen durch die anonymen Umstände meist nur mit jahrelang geschulten Spielern wie Thomas Müller.“ Der Bayern-Spieler sorgte auch meist für die Interview-Highlights bei Sky und Patrick Wasserziehr. „Manchmal denke ich“, sagt der Sky-Reporter, „dass die Gespräche in leeren Stadien durch die Atmosphäre etwas ruhiger geführt werden können und dadurch vielleicht etwas mehr Tiefgang bekommen.“

Kritischer sieht das der Journalist Tonio Postel, dessen negative Einschätzung zum Thema „Zwischen Fanreportern und Spielverderbern – Fußballjournalismus auf dem Prüfstand“ aus einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung von 2018 unverändert geblieben ist. „Aus meiner Sicht hat die größere räumliche Distanz bei den Interviews keinerlei Auswirkungen auf deren Inhalt.“ Es ginge ja um die Haltung vieler Reporter, da sei einfach sehr oft eine fast kindlich anmutende Freude und Unterwürfigkeit bei den Journalisten zu spüren, endlich den großen XY etwas fragen zu dürfen.“

Und: Der Sportjournalismus habe in der spielfreien Zeit eine Chance vertan. „Statt mediale Konserven von Sportereignissen vergangener Tage aufzuwärmen, hätte man sich verstärkt der politischen und gesellschaftlichen Seite des Fußballs widmen können.“ Man hätte neue, kritisch-hintergründige Formate und Dokumentationen entwickeln und ausprobieren können, die Geschichten jenseits der 1:0-Unterhaltungs-Berichterstattung erzählen. „Zum Beispiel über Verstrickungen von Nazis und Antisemitismus im Fußball, etwa beim FC Chemnitz, oder Homosexualität im Profisport.“ Das leiste zuverlässig nur die WDR-Doku-Reihe „Sport-Inside“.

Sat1 darf bald wieder Bundesliga zeigen, wie einst bei „ran“ mit Reinhold Beckmann.
Sat1 darf bald wieder Bundesliga zeigen, wie einst bei „ran“ mit Reinhold Beckmann.

© imago images/Stockhoff

Dafür dürfte die ARD auch in Zukunft nicht mehr Geld bereitstellen, siehe die 110 Millionen Euro für die „Sportschau“. Gleiches gilt für das ZDF, dessen „Sportstudio“ die Highlights des Samstagabendspiels weiterhin exklusiv zeigen darf, für 24 Millionen Euro (Quelle: Sponsors).

Angereichert mit Interviews der Marke Katrin Müller-Hohenstein, die am vorletzten Samstag durchaus Mühe hatte, dem Bayern-Vorstand und ZDF-Experten Oliver Kahn („Du, Oliver …“) kritisch gegenüberzustehen, beziehungsweise: allzu Kritisches abzugewinnen. Kahn soll allerdings im Zweiten keinen Experteneinsatz mehr bei Bayern-Spielen haben.

Das alte Thema – Nähe und Distanz der Berichtenden (Moderatoren, Reporter) zum Objekt der Begierde (Spieler) – vor allem im TV-Sportjournalismus hat denn auch mit neuen Medienrechten und Hygienekonzepten Bestand. Vielleicht darf man sich als kritischer Fußballfan außer 1:0-Berichten und Wohlfühlinterviews nicht allzu viel vor dem Bildschirm erwarten.

Der letzte Experte, bei dem – kritisch – noch richtig etwas herauszuholen war, hat es sich jetzt auch etwas bequemer gemacht. Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl ist von der „Bild“-Zeitung für das Expertenteam dort verpflichtet worden (Marcel Reif ist übrigens auch schon da). Der Axel Springer Verlag hat von der DFL ein audio-visuelles Rechtepaket mit Highlight-Videos erworben, bringt Bundesliga online.

Bis 2017 war Scholl als Experte für die ARD im Einsatz, ehe es zum Zerwürfnis kam. Der Ex-Bayern-Star war nicht mit der kritischen Doping-Berichterstattung einverstanden. Das waren noch Zeiten.

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