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Lernt das Kind noch oder spielt es schon? Das Aufstellen von Regeln kann das nötige Vertrauen unterstützten. Eine Vorlage dazu bietet der sogenannte Mediennutzungvertrag für Familien.

© imago images/Jochen Tack

Fehlende Medienkompetenz: Formeln und Fortnite

Die Coronakrise treibt die Digitalisierung gerade bei Kindern voran. Die Medienkompetenz droht dabei allerdings auf der Strecke zu bleiben.

Kaum etwas hat in Sachen Digitalisierung so rasant Berge versetzt wie die Coronakrise. Mit einer nahezu geräuschlosen Selbstverständlichkeit wurden hierzulande Dinge erreicht, die zuvor als schwierig oder undenkbar galten. Gerade in diesen Tagen zeigt sich, welchen Stellenwert Medienkompetenz in unserer Gesellschaft haben sollte.
Bei Arbeitgebern etwa, die sich bislang gegen das Homeoffice sperrten, hat ein Umdenken eingesetzt.

Auch die Schule machte einen riesigen Sprung, selbst wenn die Homeschooling-Methoden teilweise auf Frontalunterricht per Videokonferenz oder das Ausdrucken ganzer PDF-Kolonnen hinauslaufen. Durch Covid-19 wurden Lehrkräfte, Eltern und Kinder ins kalte Wasser geworfen, und am guten Willen aller Beteiligten – sonst stets der größte Hemmschuh bei neuen Entwicklungen – mangelt es dabei wirklich nicht. Damit Eltern arbeiten und Kinder unter einem Dach lernen konnten, wurden sogar oft weitere Tablets, Computer oder erst mal ein Drucker angeschafft.

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Doch trotz allem Enthusiasmus läuft das digitale Lernen nicht ganz reibungslos ab. Grundschüler etwa, die noch nie zuvor etwas ausgedruckt haben, wissen nicht, wie das geht. Sie sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Die stehen ihnen in ihrem Homeoffice auch dann unterstützend zur Seite, wenn Schüler nicht mit den ziselierten Datenbankstrukturen der Server zurande kommen, um an die benötigten PDF-Unterlagen zu gelangen.

Aber es gibt auch andere Probleme: Eltern erzählen, wie sie vertrauensvoll in ihren Videokonferenzen saßen und ihre Kinder mit dem Schulstoff beschäftigt glaubten. Schauten sie jedoch nach ihnen, spielten sie gerade mit ihren Klassenkameraden „Brawl Stars“ oder „Fortnite“.

Mehr als reine Konsummedien

Diese Beispiele machen deutlich, dass etwas Essenzielles auf der Strecke geblieben ist: die Vermittlung von Medienkompetenz. Natürlich ist es ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn Schüler täglich mit Zoom, Padlet oder Skype umgehen. So lernen sie aktiv, dass Computer, Smartphone und Co nicht nur reine Konsummedien für Instagram, Netflix und Spotify sind, sondern vor allem nützliche Werkzeuge.

Doch was bringt das, wenn Kindern dazu das dringend benötigte Rüstzeug fehlt? Der Umgang mit digitalen Medien zählt heute zweifellos zu den Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Fremdsprachen. Dazu reicht es nicht aus, dass manche Lehrkräfte ihre Schüler nur auf Medienkompetenz-Webseiten verweisen. Medienkompetenz ist vor allem auch Schutz. Denn an Gefahren im Netz hat sich bisher nichts zum Besseren gewendet.

Was ist mit Datenschutz, Privatsphäre und Persönlichkeitsrecht?

Nach wie vor besitzen Kinder kein Gespür für Datenschutz, Privatsphäre oder Persönlichkeitsrecht. Weiterhin jagen ihnen Kettenbriefe via Whatsapp Angst und Schrecken ein. Ein unbedachter Streich kann rasch zum Cybermobbing mit fatalen Folgen mutieren. Und noch immer versuchen pädophil veranlagte Menschen im Chatbereich von Spielen, das Vertrauen der Kinder zu erschleichen. Hinzu kommen neue Herausforderungen wie Fake News, Hate Speech und Big Data. Sicher, dies alles sind komplexe Themen, aber weil sie uns alle als Gesellschaft betreffen, müssen wir uns damit auskennen.

Darum sollten Kinder gemeinsam mit ihren Eltern einen Medienführerschein machen, bevor sie ihr erstes Smartphone bekommen oder sonst in die digitalen Welten entlassen werden. Ziel dabei ist nicht nur ein versierter Umgang mit den Chancen der Digitalwelt, sondern vor allem auch die Fähigkeit, eventuelle Gefahren einzuschätzen, um sich dann im Notfall angstfrei verhalten zu können.

Es ist toll, dass die Schule nun frohen Mutes die Digitalwelt in den Lernalltag einbezieht, allerdings fehlt es auch manchmal den Lehrkräften an Medienkompetenz, falls sie ein aufklärendes Video zum Thema Antisemitismus als reinen Link verschicken. Wenn danach, wie ein Vater gestand, automatisch ein Fake- News-Clip mit kruden antisemitischen Verschwörungstheorien startet, ist das wohl eher als suboptimal zu bewerten.

Die Schule entlasten

Aber wir sollten Schule auch in Schutz nehmen: Die Infrastruktur muss stimmen und der Lehrer entlastet werden. Es kann nicht sein, dass in fast jeder Firma eine IT-Abteilung für reibungslose technische Abläufe sorgt, während in der Schule dies einem Pädagogen überlassen bleibt. Neben der sehr unterschiedlichen technischen Ausstattung an Schulen müssen Eltern und Schule auch die öffentlichen Bibliotheken in der medienpädagogischen Arbeit stärker mitdenken. Die Bibliothek hat den Ort, diverse Projektangebote, die Technik und die Mitarbeiter, die sich damit kompetent auskennen.

[Der Berliner Medienexperte Thomas Feibel betreibt das Büro für Kindermedien (www.feibel.de). Er ist Autor von „Jetzt pack doch mal das Handy weg“ (Ullstein) und „Mach deinen Medienführerschein“ (Carlsen)]

Und zu Hause? In den Familien hilft das Aufstellen von Regeln. Dazu gibt es im Netz den Mediennutzungsvertrag (www.mediennutzungsvertrag.de), der sich modular am besten mit den Kindern gemeinsam erstellen lässt. Kinder, die darin einbezogen werden, halten sich eher an die Vereinbarungen.

Trotzdem brauchen wir in der Coronakrise auch Verständnis, denn in dieser unfreiwilligen Isolation sind Smartphones und soziale Netzwerke der einzige Draht zu Freunden, Schulkameraden und Verwandten. Sie von einen Tag auf den anderen nicht mehr täglich zu treffen, ist nicht nur für sie kaum zu ertragen. Dass die gegenwärtige Situation trotz Lockerungen mit diffusen Ängsten aufgeladen ist, macht die Sache nicht einfacher. Wer das begriffen hat, möchte Kindern und Jugendlichen das Smartphone nicht einfach wegnehmen.

Thomas Feibel

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