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Fahrradverkehr in Berlin: Das Projekt Radmesser

Wie nah kommen sich Auto- und Fahrradfahrer im Stadtverkehr? Gemeinsam mit einem Team aus Physikern, Experten für Künstliche Intelligenz und Journalisten will der Tagesspiegel das nun herausfinden.

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Radfahren in Berlin birgt Gefahren - viele tauchen nicht in in den offiziellen Unfallstatistiken der Polizei auf. Zum Beispiel der Sicherheitsabstand: Viel zu oft missachten Autofahrer die vorgeschriebenen 1,5 Meter, mit denen Radfahrer überholt werden dürfen. Sind Kinder oder ältere Menschen auf dem Fahrrad, sogar zwei Meter, so lautet die gängige Rechtsprechung. Verstöße dagegen kosten bis zu 100 Euro, bei starker Gefährdung können Haftstrafen fällig werden. Die Polizei in Deutschland hat allerdings keine Messinstrumente, um diese Vergehen zu dokumentieren oder überhaupt festzustellen, wie häufig sie sind. Radfahrer in Berlin haben deswegen auch keine Handhabe, gegen rücksichtslose Autofahrer vorzugehen. Dabei sind es gerade diese alltäglichen Gefahren wie zu eng überholende Autofahrer, die viele Berliner davon abhalten, auf Rad zu steigen. Zumindest nennt der ADFC das als einen der häufigsten Gründe, warum Berliner sich nicht aufs Rad trauen.

Sensorjournalismus wird auf die Straße gebracht

Hier kommt das Projekt Radmesser ins Spiel. Verkehrssicherheit für Fahrräder auf Berlins Straßen soll endlich messbar werden. Durch einen innovativen Sensor wollen wir Abstände messen, mit denen Fahrzeuge Fahrradfahrer überholen. 100 freiwillige Tester können so in ganz Berlin Daten erheben, die dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Denn verlässliche Zahlen oder Studien zu dieser Thematik gibt es bisher kaum

Dazu hat sich ein Team aus Physikern, Experten für Künstliche Intelligenz, Webentwickern, Designern und Journalisten zusammengetan und einen eigenen Sensor entwickelt. Er wird am Fahrrad angebracht und über eine Smartphone-App gesteuert. Mithilfe von Ultraschall misst er durchschnittlich 20 mal pro Sekunde nach links und rechts. Im Innern steuert ein Mikrocomputer die Messungen. Über Bluetooth ist der Sensor mit dem Smartphone des Fahrers verbunden, das am Lenker befestigt wird. Die Breite des Lenkers wird später abgezogen. Wenn von hinten links ein Fahrzeug überholt, wird am Smartphone ein Foto ausgelöst. Aus den Ultraschalldaten in Kombination mit den Fotos errechnet anschließend ein Algorithmus mit Hilfe Künstlicher Intelligenz, welche Art Fahrzeug in welchem Abstand überholt hat. Die Auswertung der Bild- und Sensordaten mithilfe Künstlicher Intelligenz überführt Technologien aus Wirtschaft und Forschung in den Journalismus.

Neue Erkenntnisse für bessere Lösungen

Neben den Sensordaten greift Radmesser auch auf bestehende Datensätze über den Radverkehr zurück. So werden die bestehenden Radwege der Stadt analysiert, geplante Baumaßnahmen von der Verwaltung erfragt und Verkehrsstatistiken verarbeitet. So soll ein detailliertes Bild über den Radverkehr und die Infrastruktur in Berlin gezeichnet werden.

Radmesser will niemand anprangern, sondern Zusammenhänge aufzeigen. Sind die Messergebnisse interaktiv aufgearbeitet,  können so Gefahrenstellen benannt, aber auch mögliche Lösungen aufgezeigt werden. Durch Vermessung und Visualisierung des Verkehrsflusses wird er zum diskutierbaren Gegenstand. Dabei greift die Beteiligung der Leser als „Bürgerwissenschaftler“ Methoden von Citizen Science und Crowd Sourcing auf, wie sie bisher noch wenig in journalistischen Inhalten genutzt werden. Anstatt nur über ein Problem zu lesen, können Leser zu seiner Beschreibung und Lösung beitragen.

Mehr dazu und die ersten Messergebnisse finden Sie auf unserer interaktiven Seite https://interaktiv.tagesspiegel.de/radmesser/

Das Projekt Radmesser wird vom Medieninnovationszentrum Babelsberg gefördert.

Wir bedanken uns außerdem beim Motion.Lab, dass uns nicht nur Räumlichkeiten zum Bau der Sensoren zur Verfügung stellt, sondern auch mit Rat und Tat beiseite steht.

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