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Demonstrieren für Rechte der LGBTQ.

© REUTERS

Etwas andere RTL-Reportage zur Fußball-WM: „Wir haben existenzielle Angst vor Bestrafung und Tod“

Einheimische aus der LGBTIQ+ Gemeinschaft im WM-Gastgeberland Katar sprechen erstmals im TV öffentlich über ihre Lage.

Im November steigt die Fußball-WM in Katar. Der Wüstenstaat präsentiert sich weltoffen, die Fifa möchte den Fußball in den Vordergrund stellen. Doch das Emirat steht wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen seit Jahren in der Kritik. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind verboten und können mit Auspeitschen, mehrjährigen Freiheitsstrafen und theoretisch sogar dem Tod geahndet werden.

Welchen Schikanen die LGBTIQ+* Gemeinschaft in Katar ausgesetzt ist, dringt selten nach außen. RTL gibt am späten Mittwoch abend einen Einblick. Den Reportern Jonas Gerdes und Timo Latsch ist es erstmals gelungen, homosexuelle Kataris vor der Kamera zur schwierigen Lage in ihrer Heimat zu befragen. („Rote Karte statt Regenbogen – Homosexuelle in Katar, Mittwoch, 0 Uhr 20).

Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung der Regierung kommunizieren die Einheimischen zum Teil nur mit Hilfe von Codewörtern über ihre Sexualität. Die Vorgespräche mit den Reportern fanden über verschlüsselte Messenger-Dienste statt, teilte der Kölner Privatsender mit. Zum Interview erscheinen sie an geheimen Orten in Europa und Asien.

Die Stimmen sind eindrucksvoll. „Wir haben existenzielle Angst vor Bestrafung und Tod, denn was wir in unserer Jugend gelernt haben, ist, dass schwul sein eine Verirrung ist, nichts Natürliches.“ So ein Katari gegenüber den Reportern über die systematische Diskriminierung Homosexueller in seiner Heimat.

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RTL setzt also Akzente in Sachen Fußball-WM, etwas Andere vielleicht als ARD und ZDF? Es sind noch fünf Monate hin bis zur Fußball-WM. Da sie im Winter stattfindet, hat das auch spürbare Auswirkungen auf den seit Jahrzehnten gelernten TV-Fahrplan, vor allem aber auf die Vermarktung. Das für die Privatsender wie RTL so wichtige vierte Quartal birgt große Ungewissheiten. Was senden, mit was werben gegen den WM-Fußball?

Und anders herum gefragt: Wie kritisch stellen sich ARD und ZDF auf, die die WM exklusiv präsentieren und das Thema Menschenrechte, Diversity, LGBTQ nicht aus den Augen verlieren sollten?

Der SWR kündigte schon mal an, kritisch auf Fifa und Ausrichterland schauen. Im Vorfeld der WM ist eine Presenter-Reportage (Das Erste) mit Thomas Hitzlsperger geplant (man denkt da an die kritische Doku mit Felix Neureuther im Vorfeld zu Olympia in Peking), im Anschluss folgt eine vertiefende, investigative „Story im Ersten“ von Philipp Sohmer und Ramin Sina.

RTL macht jedenfalls schon mal journalistisch-investigativ Stimmung - gegen eine Fußball-WM dieser Art. Die LGBTQ-Reportage, in der auch Oliver Bierhoff und Fifa-Präsident Gianni Infantino zu Wort kommen sollen, ist Teil der „Woche der Vielfalt“, in der RTL Deutschland das Thema LGBTIQ+ in den Mittelpunkt stellt.

„Sie brachten mich zur Polizeiwache und rasierten meinen Kopf.“

Zu sehen und hören sind am Mittwochabend aus Katar Berichte über die Frustration unterdrückter Liebe sowie traumatische Szenen der offenen Schikane durch staatliche Behörden. „Das Schlimmste ist, wenn ich reise und dann nach Katar zurückkomme und durch den Zoll muss“ erzählt ein transsexueller Katari von seinen Erfahrungen. „Sie brachten mich zur Polizeiwache und rasierten meinen Kopf. Nach ein paar Stunden ließen sie mich gehen. Als das passierte, verlor ich jegliche Hoffnung in das System. Diese Menschen sollen uns beschützen, aber sie tun das komplette Gegenteil.“

Viel Positiveres zu dieser WM dürfte von RTL-Seiten aus nicht kommen. „Für mich steht Fußball vor allem für Spaß, Fairness und Vielfalt: Das Regime in Katar tut dies nicht", sagt Timo Latsch, stellvertretender Ressortleiter Sport bei RTL News. „Deshalb möchte ich als Mitglied der LGBTIQ+-Familie diese Fifa-WM nicht unterstützen und werde zum ersten Mal seit 2006 nicht als Sportreporter vor Ort sein, um über Fußball zu berichten.“

In die Richtung geht auch Reporter Jonas Gerdes. „Wir haben seit Januar recherchiert, um das Vertrauen von Menschen aus der LGBTIQ+-Gemeinschaft zu gewinnen. Ich bin erschüttert, wie dramatisch die Lage für sie im WM-Land wirklich ist." Offiziell bekenne sich die Fifa zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein, in Katar tut sie das bislang zu wenig.

Wie sagt Oliver Bierhoff mitten in dem Film, sichtbar konsterniert von den Aussagen der Betroffenen: „Das ist schon dramatisch.“

Nicht alle sind bei dieser Weltmeisterschaft willkommen.

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