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Unter Stress. In der Klinik in Gelsenkirchen werden Kinder mit Verhaltensstörungen stationär mit ihren Eltern behandelt.

© Jörg Adolph/SWR/dpa

Erstausstrahlung von umstrittener Dokumentation: "Elternschule" läuft ohne Debatte im Fernsehen

Der Film „Elternschule“ wird von Experten heftig kritisiert. Jetzt wird er ohne Diskussionsrunde in der ARD gezeigt.

Selten hat eine Dokumentation über Erziehung für so viel Furore gesorgt. Am Mittwoch zeigt das Erste um 23 Uhr den umstrittenen Dokumentarfilm „Elternschule“, der im vergangenen November in den deutschen Kinos zu sehen war. Die 120-minütige Produktion von Jörg Adolph und Ralf Bücheler porträtiert den Alltag der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen. Dort werden Jungen und Mädchen mit Ess- und anderen Verhaltensstörungen stationär mit ihren Eltern behandelt.

Klinikleiter Dietmar Langer erklärt zu Anfang des Films, wie Eltern ihre Kinder „führbar“ machen können, wie sie wieder die Richtung vorgeben. Weniger schön mit anzusehen ist, wie Kinder unter starkem Weinen von ihren Eltern getrennt oder ihnen mit „Nachdruck“ Mahlzeiten verabreicht werden.

Szenen wie diese hatten zu heftiger Kritik in den Sozialen Netzwerken geführt. Kinderärzte, Psychiater und Therapeuten hatten darauf hingewiesen „dass es sich bei den gezeigten Therapiemethoden teils um wissenschaftlich nicht gesicherte Außenseitermethoden handelt“ und „die Behandlung möglicherweise schädigend wirkt“.

Kinderschutzbund spricht von psychischer und physischer Gewalt

Anders als von vielen Kritikern erhofft, wird der Film ohne weitere Kommentierung im Fernsehen gezeigt. Eine Talkshow oder eine andere inhaltliche Ergänzung ist – zumindest für das lineare Fernsehprogramm – nicht vorgesehen. Der SWR, der an der Produktion beteiligt war, begründet die Entscheidung damit, dass eine Talkshow erst weit nach Mitternacht beginnen könnte.

Die Redaktion habe sich stattdessen für ein „umfassendes einordnendes Informationsangebot im Netz“ entschieden, das nach Ausstrahlung auf der Online-Seite der ARD live gehen soll. Schon jetzt sind auf der Seite des SWR positive wie negative Stellungnahmen gelistet. Der Film sei laut SWR „hochwertig produziert, gesellschaftlich relevant und inhaltlich überzeugend“. Die Dokumentation war für den Deutschen Filmpreis nominiert.

[„Dokumentarfilm im Ersten: Elternschule“, ARD, Mittwoch 23 Uhr]

Die inhaltliche Auseinandersetzung habe die Redaktion außerdem darin bestärkt, den Film einem noch breiteren Publikum über die Fernsehausstrahlung zugänglich zu machen.

Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DSGSF), bezeichnet die Entscheidung der ARD, den Film ohne weitere Ergänzung im Fernsehen zu senden als „unglücklich“. Der Film sei keinesfalls eine nachahmenswerte „Elternschulung“, stellt der Fachverband klar. Die gezeigten pädagogischen Vorgehensweisen könnten als „empfehlenswerte Erziehungspraktiken missverstanden“ werden.

Mit einer Online-Petition haben sich mehr als 22 000 Gegner des Films gegen eine weitere Verbreitung ausgesprochen. Nach Ansicht des Deutschen Kinderschutzbundes enthalte der Film „zahlreiche Szenen, in denen Kinder psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt“ seien.

Die Kritik ging so weit, dass Filmemacher, Patienten und Klinikpersonal heftige Beschimpfungen in den Sozialen Medien ausgesetzt waren. Ihnen wurden unter anderem „Nazi-Methoden“ vorgeworfen. Eine öffentliche Fernsehdebatte wäre vermutlich konstruktiver ausgefallen.

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