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Gründer, Chefredakteur, Herausgeber: Ebenso wie über Henri Nannens Rolle beim Magazin „Stern“ wird immer wieder über seine Zeit während des Nationalsozialismus und der Kriegsjahre diskutiert.

© Fotoreport Stern Hamburg Bokelma/dpa

„Eklig, widerlich, antisemitisch“: „Stern“ will Vorwürfe gegen Gründer Henri Nannen prüfen

Fachleute sollen „alle Facetten“ von Nannens Tätigkeit in den Nazijahren untersuchen, kündigt der neue „Stern“-Chefredakteur Schmitz an.

Die Amtszeit von Gregor Peter Schmitz als Chefredakteur des „Stern“ beginnt mit einer gewaltigen Herausforderung. Erst im April ist der ehemalige Chefredakteur der „Augsburger Allgemeinen“ nach Hamburg gewechselt. Doch statt sich nun in aller Ruhe auf das anstehende 75. Erscheinungsjubiläum des am 1. August 1948 gegründeten Magazins im kommenden Jahr vorzubereiten, muss sich der „Stern“ nun aus einem ganz anderen Grund der Vergangenheit stellen.

Es geht um die Vorwürfe gegen seinen Gründer Henri Nannen. Ihnen will sich die Zeitschrift nun stellen. „Wir werden anlässlich des 75. Geburtstages des ,stern‘ alle Facetten seiner (Nannens) Tätigkeit in den Nazijahren von Fachleuten prüfen lassen“, kündigte Gregor Peter Schmitz an. Der „Stern“ gehörte einst zu den erfolgreichsten Magazin-Gründungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch Mitte der 1990er-Jahre lag die Auflage bei 1,25 Millionen Exemplaren, bis 2021 sank die Auflage auf rund 360.000 Hefte.

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Der öffentlich-rechtliche Jugendkanal „Funk“ hatte in der vergangenen Woche Recherchen über Henri Nannen in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht. Darin ging es nicht nur um die Tätigkeit Nannens als Kriegsberichterstatter und seine Arbeit in einer Propaganda-Kompanie in Italien, aus der Nannen keinen Hehl gemacht hatte.

Brisant ist die Veröffentlichung durch das Rechercheformat „Strg_F“, weil sie den späteren „Stern“-Gründer für antisemitische, rassistische und sexistische Flugblätter verantwortlich macht. Zudem wirft sie Nannen vor, nach dem Krieg ehemalige Mitglieder des Unternehmens „Südstern“ entweder direkt beim „Stern“ oder in dessen Umfeld beschäftigt zu haben.

Verdienst der NDR-Rechercheure

Auch wenn der Beitrag keine „grundsätzlich neuen Erkenntnisse“ beinhalte, so liefere er Bilder, „welche die Abteilung ,Südstern‘ mit Nannen in leitender Position veröffentlicht hat, wohl um den Kampfgeist der Alliierten zu unterminieren und auch bei ihnen Hass auf Juden zu schüren“, schreibt der neue „Stern“-Chefredakteur. „Diese Bilder sind eklig, sie sind widerlich, sie bedienen vor allem viele antisemitische Klischees“. Es sei das Verdienst der NDR-Rechercheure, dass sie nun zu sehen sind und so Geschichte anschaulich machen.

Die Nannen-Biografin Stephanie Nannen, Enkeltochter des „Stern“-Gründers, hatte in der vergangenen Woche im Tagesspiegel betont, dass ihr Großvater nie Mitglied von NSDAP und SS gewesen sein, sondern als Mitglied einer Propaganda-Kompanie der Wehrmacht an der Psychologischen Kriegsführung in Italien beteiligt gewesen zu sein. Nannen-Preisträger Jacob Appelbaum hatte sich 2014 vom Namensgeber der Auszeichnung distanziert und angekündigt, wegen der Nazi-Vergangenheit von Nannen die Preisskulptur einschmelzen zu lassen.

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Gut eine Woche nach der „Funk“-Veröffentlichung geht der „Stern“ nun in die Offensive. „Jede neue Erkenntnis, jedes neue Details müssen dazu führen, bisherige Bewertungen wieder und wieder in Frage zu stellen“, resümiert Schmitz und kündigt an: „Deshalb werden wir in den kommenden Wochen im ,Stern‘ offen um die Frage ringen, wie wir die Person Nannen bewerten, ob er weiter Namensgeber einer Schule sein kann, in der junge Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden, ob einer der renommiertesten Medienpreise seinen Namen tragen und ob Henri Nannen im Impressum unser Gründungsherausgeber bleiben soll“.

Dabei gibt es eine Reihe von Fragen: Wer sind die Fachleute, die das Thema aufarbeiten sollen und welchen Fachrichtungen gehören sie an? Wird es wie in den 1970er bei den Vorwürfen von ZDF-Mann Gerhard Löwenthal gegen Nannen eine eigene Recherchegruppe des „Stern“ geben? Bei der Beantwortung steht der „Stern“ am Anfang.

Sicher ist: Man wird die Ergebnisse dieser Recherchen mit mindestens ebenso großem Interesse verfolgen, wie die neue Aufarbeitung des bislang größten Skandals des „Stern“ zunächst mit dem Podcast „Faking Hitler“ und später mit einer TV-Serie.  

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