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Die ARD-Talkshow "Anne Will" hat die meisten Zuschauer aller Gesprächssendungen.

© NDR/Wolfgang Borrs

Eine Krisenbilanz der Talkshows: Wo sich der Populismus unterhält

Gäste, Themen, Deutschtümelei: Permanent scheitern die politischen Talkshows. Die TV-Diskussionen müssen aus ihrer Erstarrung befreit werden.

Es ist spannend, die heutige Kritik an den großen politischen Talkshows – egal ob an „Anne Will“, „Maybrit Illner“, „Hart aber Fair“ oder „Maischberger – mit der Geschichte ihres Formats in Kontrast zu setzen. Denn die gegenwärtigen Vorwürfe, die Diskussionssendungen in der ARD und im ZDF hätten zum Aufstieg der AfD beigetragen, stammen nicht selten von progressiver Seite.

Frank Plasberg startet mit „Hart aber Fair" wieder am 16. September
Frank Plasberg startet mit „Hart aber Fair" wieder am 16. September

© dpa

In den ersten Fernsehjahrzehnten der Bundesrepublik war das Konzept der politischen Diskussionssendung vor allem Konservativen ein Dorn im Auge. Ende 1953, nach einem starken Wahlsieg der Union, forderte etwa C. W. Dietsch im Namen der CDU, die paritätisch besetzte Diskussionssendung „Das Politische Forum“ zu beenden und durch monologische Parteivorträge zu ersetzen.

Es sei ja eindeutig, „daß es nach der ganz klaren Entscheidung des 6. Septembers dem Hörer nicht mehr zugemutet werden kann, jetzt schon wieder Parteiendiskussionen im Rundfunk zu hören.“

Diese Vorstellung macht deutlich, was damalige Gesprächssendungen von den heutigen fundamental unterscheidet. Indem das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Bemühungen der Alliierten fortsetzte, Diskussion und Pluralität zu einem Grundpfeiler der medialen Öffentlichkeit zu machen, stand es an der Spitze des Fortschritts und trug zur politischen Meinungsbildung bei.

Maybrit Illner talkt im Zweiten. Sie hatte in der vergangenen Saison die geringsten Zuschauerverluste.
Maybrit Illner talkt im Zweiten. Sie hatte in der vergangenen Saison die geringsten Zuschauerverluste.

© dpa

Im ehemaligen französischen Sektor initiierte man etwa schon früh „Gespräche über den Schlagbaum“, Werner Höfer lud regelmäßig internationale Journalisten zum „Internationalen Frühschoppen“ und in der Gesprächssendung „Was denken Sie darüber?“ wurde schon 1952 kontrovers über die Gleichberechtigung der Frau diskutiert.

Geändert hat sich dieser Charakter seit den 80er Jahren. Nicht nur die neu entstehenden und auf Konflikt ausgelegten privaten Formate trugen dazu bei, dass politische Talkshows zunehmend kritisch beäugt wurden, sondern auch ARD und ZDF selbst.

Dann kam „Sabine Christiansen“

Mit Sendungen wie „Sabine Christiansen“ begann die Ära zur Themenwiederholung verdammter Shows – man denke etwa an die Beschallung mit der Vokabel des „Kranken Mann Europas“ –, zudem kristallisierte sich heraus, dass herkömmliche Talkshows der anwachsenden Pluralität und Komplexität des politischen Systems nicht mehr gewachsen waren.

Mit dem Hinzukommen der Grünen etwa drohten die Gespräche immer häufiger zu scheitern. Noch wichtiger aber war, dass mit dem Vorantreiben der Europäischen Integration die Bedeutungskraft eines rein deutschen Diskussionsklubs stetig abnahm. Sowohl „Sabine Christiansen“ als auch ihre Nachfolger verfehlten es, dieser Europäisierung des Politikbetriebs eine medial handhabbare Gestalt zu geben.

Sandra Maischberger ist schon aus der Sommerpause zurück. Sie talkt mittlerweile nicht zu einem Thema, sondern zu mehreren.
Sandra Maischberger ist schon aus der Sommerpause zurück. Sie talkt mittlerweile nicht zu einem Thema, sondern zu mehreren.

© picture alliance/dpa

„Hart aber fair“, „Anne Will“, „Maischberger“ und „Maybrit Illner“ folgen dem Grundprinzip nach immer noch der Logik, die Sabine Christiansen mit ihrer Show vorgelegt hatte: Man wähnt sich in den Redaktionen am Scheitelpunkt des Volkswillens, wenn etwa nur die scheinbar aktuellsten Themen aufgegriffen werden, man vertritt den Anspruch, die nationale Debatte in ihrer Breite zu spiegeln und geht davon aus, dass das Hauptziel darin bestünde, paritätisch besetzten Runden aus gesellschaftlichen Gruppen oder politischen Parteien die Möglichkeit zu geben, über eine Stunde hinweg ihren Standpunkt energisch zu vertreten (was nicht selten heißt: zu wiederholen).

Dass damit ganz wesentliche Funktionen politischer Diskussionen unterboten werden, kann in diesem Rahmen gar nicht mehr auffallen, denn sie werden nicht zu den Kriterien einer guten Show gezählt.

Diese Fehlentwicklung konnte man am besten während der Flüchtlingskrise 2015 beobachten. Nicht nur dass das Thema wie in einer Dauerschleife die Shows beherrschte, auch die Perspektive auf das Thema variierte so gut wie gar nicht. Fast immer stand die Thematik unter den Vorzeichen von „Identität“ oder Kriminalität. Unterbelichtet blieb etwa die Problematik des europäischen Asylsystems oder die Lage in den Herkunftsländern.

Warum nie ein thematischer Sprung ins Ungewisse?

Wäre es angesichts der Heftigkeit der Diskussion nicht auch sinnvoll gewesen, einmal den Blick vom Tagesgeschehen abzuwenden, um unaufgeregt die Geschichte von Migranten in der Bundesrepublik seit den 70er Jahren zu beleuchten – mit all den Problemen und Chancen der Integration, die damit einhergingen?

Wäre es zu viel verlangt, eine Sendung aufzusetzen, in der mal nicht bekannte Fernsehgesichter ihre Politikvorschläge wiederholen, sondern hauptsächlich Bürgermeister europäischer Großstädte zu Wort gekommen wären? Vielleicht hätte ein thematischer und personeller Sprung ins Ungewisse dazu beigetragen, die Versteifung der Kommunikationsformen und der Rollenlogik politischer Talks aufzubrechen.

Oliver Weber: Talkshows hassen. Ein letztes Krisengespräch. Tropen Verlag, Stuttgart 2019. 155 Seiten. 12 €. E-Book 9,99 €. Erscheinungsdatum ist der 24. August.
Oliver Weber: Talkshows hassen. Ein letztes Krisengespräch. Tropen Verlag, Stuttgart 2019. 155 Seiten. 12 €. E-Book 9,99 €. Erscheinungsdatum ist der 24. August.

© promo

Führt man sich einmal vor Augen, wie irritationsresistent politische Talkshows funktionieren, wird auch klarer, inwiefern sie zum Aufstieg der AfD beigetragen haben können. Wenn sich der Personenkreis der häufig geladenen Gäste auf gut dreißig bekannte Gesichter reduziert, wird auch das populistische Vorurteil plausibler, in Berlin regiere eine kleine Clique von Politikern, die zur Lösung der Probleme im Land nichts beitrage.

Wenn politische Talkshows hauptsächlich das zum Thema erklären, was in diesem Moment am meisten Aufmerksamkeit erheischt, fällt es außerdem leicht, die monothematische populistische Agitation mit der Monothematik der Fernsehredaktionen zu koppeln.

Nicht unerwähnt bleiben darf der Modus des Diskutierens, der es erlaubt, einfach den eigenen Geltungsanspruch auszuweiten, etwa für „das Volk“ zu sprechen, statt sich im Lichte kritischer Fragen in echte Rechtfertigungen verwickeln zu lassen. In diesem Sinne sind politischen Talkshows auf merkwürdige und ungewollte Art und Weise in eine Symbiose mit populistischer Rhetorik eingegangen.

[Oliver Weber: Talkshows hassen. Ein letztes Krisengespräch. Tropen Verlag, Stuttgart 2019. 155 Seiten. 12 €. E-Book 9,99 €. Erscheinungsdatum ist der 24. August.]

Gibt es eine Möglichkeit, politisches Diskutieren von dieser Erstarrung zu befreien? Es muss sie geben! Denn es wäre fatal, den Diskurs den Routinen der Talkshows zu überlassen. Immerhin schaltet regelmäßig ein Millionenpublikum bei „Hart aber Fair“ und Co. ein.

Es ist daher zu hoffen, dass irgendwann eine Show startet, die mit einem anspruchsvollen Konzept überrascht, ganz neue Gäste rekrutiert, sich ernsthafte Gedanken über die Themenagenda leistet, die strenge Rollenlogik aufweicht und Meinungsbildung als offenen und unsicheren Prozess begreift. Es geht um nichts weniger als um das Fortbestehen einer funktionierenden demokratischen Öffentlichkeit.

Oliver Weber

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