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Was ist von der Journalistin Imke Leopold (Franziska Hartmann) zu halten? Da ist sich Thorsten Falke nicht so sicher.

© NDR/Christine Schroeder

Ein „Tatort“ auf Norderney: Der Sturm im Inneren

Der „Tatort: Tödliche Flut“ ist ein Psychodrama mit einer großartigen Franziska Hartmann.

Eine „kurze, wilde Affäre“ hatte Bundespolizist Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) einst mit der Journalistin Imke Leopold (Franziska Hartmann). Nun bittet sie ihn um Hilfe bei ihren Recherchen auf Norderney. „Du warst immer einer von den Guten“, schmeichelt sie, doch Falke muss dringend zum Geburtstag seines Sohnes. Von dem wird er allerdings aufs Zimmer geschickt: Auch der coole Straßenbulle ist zu Hause nur ein Vater, der die Party stören würde.

Ganz nutzlos ist er immerhin nicht, denn in der Nacht ruft Imke wieder an. Jemand scheint in ihre Wohnung eingedrungen zu sein. Die Journalistin klingt verängstigt, panisch. Nun beschließt Falke doch, gemeinsam mit Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) auf die Nordseeinsel zu reisen. Und tatsächlich: Sie finden Imkes „Quelle“, einen Anwalt, erschlagen im Fitnessraum seiner Villa. Zuvor hatte die Journalistin berichtet, ein Mann in Motorradkluft habe sie in ihrem Haus angegriffen und gewürgt.

[„Tatort – Tödliche Flut“; ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]

Imke Leopold ist in der „Tatort“-Folge „Tödliche Flut“ einem Immobilienskandal auf der Spur. Die Grundstücke auf der Ferieninsel sind begehrt. Das sei wie ein Monopoly-Spiel: „Jedes freie Feld wird gekauft, und die alten Norderneyer müssen wegziehen“, sagt sie. Außerdem: „Die scheißen auf den Naturschutz.“

Eine Fernost-Reise für den Bürgermeister

Umweltsünden und Gentrifizierung auf den Ostfriesischen Inseln? Der Bürgermeister (Veit Stübner) verteidigt die eigene Baupolitik: „Wenn kein Geld auf die Insel kommt, ziehen die Leute weg.“ Gute Geschäfte macht zum Beispiel ein Konzern mit Sitz in Luxemburg, der dem stellvertretenden Bürgermeister eine Reise nach Fernost spendierte. Von den Bauaufträgen profitierte auch ein lokaler Unternehmer, dessen Frau zudem eine Affäre mit dem toten Anwalt hatte. Die behäbige Inselpolizei ist nur bedingt an Aufklärung interessiert.

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Korruption, Liebe, Eifersucht: Klingt nach einer ziemlich erwartbaren Krimi-Kost mit den üblichen Zutaten. Mit der Hauptdarstellerin Franziska Hartmann und der von der NDRRadiophilharmonie eingespielten Filmmusik hat diese „Tatort“-Folge allerdings auch Herausragendes zu bieten. Die von Stefan Will und Peter Hinderthür komponierte Musik verstärkt die Spannung und bestimmt den Rhythmus, ist im besten Sinne tonangebend, weil sie sich dennoch dem Filmgeschehen unterordnet. Selten hört man in einem deutschen Reihen-Krimi derart ambitionierte orchestrale Begleitung. Es bleibt aber auch Raum für andere musikalische Akzente, etwa für das von Imke Leopold leise gesummte Volkslied „Ich hab’ die Nacht geträumet“.

Der Reiz des Abgeschiedenen

Und dann ist da noch der besondere Schauplatz Norderney. Insel-Krimis nutzen ja häufig den Reiz der eingeschränkten Erreichbarkeit. Gerne werden noch Stürme heraufbeschworen, die die Protagonisten am Ort des Geschehens festhalten wie zuletzt in Christian Alvarts „Abgeschnitten“. Auch in diesem NDR-„Tatort“ pfeift dem Hamburger Team ab und an der Wind um die Ohren, doch der eigentliche Sturm tobt im Inneren: in der ambivalenten Persönlichkeit der Episoden-Hauptfigur. Imke Leopold, von Franziska Hartmann („Sterne über uns“) mit Rastalocken und im Alternativ-Look großartig gespielt, wirkt fahrig und nervös, im nächsten Augenblick entschlossen und lebhaft. Sie ist manchmal aufdringlich, meist aber freundlich und zugewandt. Sie bezirzt Falke, der hin- und hergerissen scheint. Nach einem Abend an der Hotelbar knistert es auch ein bisschen zwischen Imke und Julia Grosz, die ihr jedoch eher misstrauisch, vielleicht etwas eifersüchtig gegenübertritt.

Dank Franziska Hartmann rätselt man in dem Psychodrama von Autor David Sandreuter und Regisseur Lars Henning (fast) bis zum Schluss: Wer ist Imke Leopold? Das abgelegene Haus, in das die Journalistin auf Norderney zurückkehrte und das noch vollgestopft ist mit den Möbeln ihrer verstorbenen Oma, schafft zusätzlich die Atmosphäre einer ganz eigenen Imkewelt, einer Insel auf der Insel. In Wahrheit hat der Film – und insbesondere der Korruptionsfall – mit der Realität auf Norderney nichts zu tun, wie Sandreuter versichert. Die Kaninchenplage gibt es auf der Insel mangels natürlicher Feinde aber tatsächlich. Ob die Inselbewohner wie Imke zum Gewehr greifen und den Kaninchen persönlich das Fell abziehen, ist allerdings fraglich.

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