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Videospiele prägen seit Längerem das Geschichtsbewusstsein junger Nutzer. Die Geschichtsdidaktik ist noch nicht so weit.

© Ubisoft

Ein PC-Spiel als lebendiges Museum: Bloß kämpfen kann man nicht

Vom Action-Game zum Lehrprogramm: Warum es mehr solcher Titel wie „Discovery Tour: Das antike Griechenland“ braucht.

Geschichte lebendig zu vermitteln, ist an sich schon eine Herausforderung. Umso mehr in Pandemie-Zeiten: Museen waren lange geschlossen, Reisen zu historischen Orten außerhalb Deutschlands kaum möglich, das digitale Homeschooling holperte. Abhilfe schaffen konnte das interaktive Lernprogramm des Videospielentwicklers Ubisoft – jedenfalls für die griechische Antike.

Die „Discovery Tour: Das antike Griechenland“ bietet mit einer riesigen, detaillierten und frei begehbaren Welt die Möglichkeit, nicht nur virtuell den vier Wänden zu entfliehen, sondern auch spielerisch etwas über die Geschichte und Kultur der Hellenen zu lernen. Davon war auch die Fach- und Kinderjury des Deutschen Kindersoftwarepreises Tommi überzeugt. Am vergangenen Samstag gewann das Ubisoft-Spiel den ersten Platz in der neuen Kategorie Bildung.

Die aufwendig rekonstruierte historische Umgebung des „lebendigen Museums“ basiert, wie schon beim Vorgänger zum alten Ägypten, auf der Welt von „Assassin’s Creed“, der Spielereihe von Ubisoft. Namhafte AltertumswissenschaftlerInnen haben über 30 kurzweilige Touren zu den Themen Politik, Philosophie, Architektur, Alltag, Krieg und Kunst kuratiert, geführt werden sie von historischen und fiktiven Persönlichkeiten. Am Ende jeder Tour kann man sein Wissen in einem Quiz überprüfen, bei dem sogar falsche Antworten lehrreich sind.

Die Tücken von "Public History"

Die leicht verständlichen Vorträge und Zusatztexte sind die Stärke der „Discovery Tour“. Gleichzeitig zeigen sie das Grunddilemma der „Public History“: Je einfacher und kompakter eine Erzählung sein soll, desto verkürzter werden komplexe historische Vorgänge dargestellt. So wird etwa die berühmte Schlacht bei den Thermopylen von 480 v. Chr. weitestgehend auf die Legende der „300“ Spartiaten reduziert, wie im gleichnamigen Film.

Dass die Zahl und der heroische Bericht auf Herodot zurückgeht, wird zwar erwähnt, nicht jedoch, dass die Glaubwürdigkeit des „Vaters der Geschichtsschreibung“ und seiner „Historien“ bis heute wissenschaftlich stark umstritten ist. So moniert auch die Tommi-Fachjury, abseits ihres Lobes, den „unkritischen Umgang mit Quellenmaterial“. Die Kinderjury enttäuschte dagegen – mit Blick auf die Originalspiele – die Gewaltfreiheit. Die Touren seien „sehr lehrreich“, urteilte sie. „Nur schade, dass man nicht kämpfen konnte.“

Nichtsdestotrotz gelingt dem Entdeckungsmodus, was selbst gute Geschichtsschulbücher selten vermögen: begeistern. Etwa durch die Chance, die Bronzestatue der Athena Promachos auf der Athener Akropolis zu erklimmen. Die „Discovery Tour“ holt die mit Gaming sozialisierten, jungen Generationen durch spielerische Freiheiten und eine beeindruckende Grafik ab. Dadurch weckt sie das Interesse für eine ferne Vergangenheit, regt die Spielenden aber auch an, das eigene „immersive“ Erlebnis und die „Authentizität“ der virtuellen Welt kritisch zu hinterfragen.

Eine Bereicherung des Geschichtsunterrichts

Richtig eingesetzt könnte die „Discovery Tour“ den Geschichtsunterricht bereichern, vor allem zum Ursprung unserer Demokratie. Die Hürden sind allerdings noch hoch: Die Software läuft nur auf leistungsstarken PCs oder Konsolen. Immerhin gibt es für Bildungseinrichtungen 60 Prozent Rabatt auf den Preis von 19,99 Euro. Nicht zuletzt steht und fällt jedoch alles mit der Initiative und der Medienkompetenz der Lehrenden. Nur wenige gehen hier bisher vorbildhaft voran. Begleitmaterialien gibt es bisher kaum. Die Geschichtsdidaktik und -wissenschaft hat erst vor ein paar Jahren begonnen, digitale Spiele ernst zu nehmen – das Geschichtsbewusstsein prägen diese schon sehr viel länger.

Generell haben sich digitale Spiele zu einflussreichen Massenmedien entwickelt. 25 Prozent der rund 34 Millionen deutschen Gamer sind Kinder und Jugendliche. Laut einer aktuellen DAK-Studie zocken diese werktags im Schnitt 80 Minuten – während der Corona-Beschränkungen waren es 140. Ein sensibler Medienumgang kommt nicht von selbst. Die Bildungseinrichtungen sind hier in der Verantwortung.

[Der Autor ist Historiker und lebt in Berlin. Er arbeitet am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und forscht dort zu Rechtsradikalismus in der Bundeswehr und zu historischen Darstellungen in digitalen Spielen.]

Wie es bereits bei der Analyse von Texten und Filmen Standard ist, müssen auch digitale Spiele im Unterricht medienkritisch diskutiert werden. Einige transportieren sexistische und rassistische Botschaften, andere haben Suchtpotenzial durch versteckte Glücksspielelemente. Rechtsextreme nutzen verstärkt Spiele und Gaming-Plattformen zur Radikalisierung und Rekrutierung.

HistorikerInnen beschäftigen sich unter anderem mit der „Entpolitisierung“ des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus in gewollt massenkompatiblen Spielen, die etwa die Wehrmacht losgelöst von jeglichen Verbrechen darstellen. Zu lobenswerten Ausnahmen gehört das Berliner Spiel „Through the Darkest of Times“, in dem man als AnführerIn einer Widerstandsgruppe gegen die Nazis kämpft und immer wieder moralische Entscheidungen treffen muss.

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SchülerInnen sollten befähigt werden, Spielinhalte und Interessen der Games-Industrie zu hinterfragen, also aufgeklärter zu spielen. Gleichzeitig können Lehrende das Begeisterungspotential von seriösen Spielen für ihr Fach nutzen. Das gilt nicht nur für Geschichte. Kurz gesagt: Es ist höchste Zeit, dass digitale Spiele in Rahmenlehrplänen mitgedacht werden. Auch ohne einen neuen Lockdown.

Als Lehrprogramm zugelassen

Die „Discovery Tour: Das antike Griechenland“ wurde in Deutschland als Lehrprogramm eingestuft und steht allen BesitzerInnen von „Assassin’s Creed: Odyssey“ für Konsole oder PC in deutscher Sprache als kostenloser Download zur Verfügung. Eine eigenständige digitale Version gibt es für PCs für aktuell 19,99 Euro. Ubisoft stellt zudem Begleitmaterial für Schulen bereit – auf Englisch und Französisch. Ein erstes grundlegendes Konzept für Unterrichtseinheiten in der Sekundarstufe I stellt die baden-württembergische Arbeitsgruppe „Games im Unterricht“ auf ihrer Website zur Verfügung.

Jakob Saß

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