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Medien: Ein merkwürdiges Leben

John Hendrik wäre heute 100 Jahre alt geworden

Das mit Rudolf Rotnase, dem Rentier, ist John Hendrik zeitlebens nicht losgeworden. Als er in der Deutschen Oper seinen 95.Geburtstag feierte, hing ein besonders nettes Exemplar über der Bühne, und der Song erklang in ausgefeiltem Arrangement. John Hendrik war derjenige, der den Bing-Crosby-Hit in den siebziger Jahren mit deutschem Text importierte; populär geworden aber ist er als Stimme des Rias, als Gastgeber so bekannter Sendungen wie „Club 18“ und, vor allem, dem „Zweiten Frühstück“. Damals, als er das Konzept ausbrütete, war der Begriff unbekannt: Aber es handelte sich um die erste deutsche Radio-Talkshow. John Hendrik ist im Juni dieses Jahres gestorben. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Im heutigen Wellendurcheinander ist nur noch schwer vorstellbar, wie sich einer im Radio zu so anhaltender Populärität emporarbeiten konnte. 20 Jahre, von 1968 bis 1988, lief das „Zweite Frühstück“, eine Bühne für Sänger wie Reinhard Mey und Szene-Größen wie „Insterburg & Co“, für Schlager- und Opernstars, für die gesamte Bühnenszene der Stadt. Zur Generalprobe von „MenschenTiere-Sensationen“ moderierte er vom Rücken eines Elefanten, an dessen Ohr er sich verzweifelt festkrallte, im „Bierpinsel“ in Berlin-Steglitz ging während der Aufzeichnung ein Panther durch und verursachte zwar keinen Schaden, aber fette Schlagzeilen. John Hendrik saß, wie sich seine Frau und damalige Produzentin Monika erinnert, ganz ruhig daneben und scherzte auf seine mild sarkastische Art mit den ängstlichen Gästen, während die Techniker in die Küche oder auf die Tische flüchteten.

Ein Emigrantenschicksal. John Hendrik, 1904 in Moabit geboren, Jude, hoffnungsvoller Tenor, stand vor einer großen Karriere in den Spuren seines Idols Richard Tauber. Er feierte am Theater desWestens ein glänzendes Debüt mit Lehar, sang in Dresden, legte sich eher zufällig 1933 mit SA-Leuten an – und schaffte gerade noch die Flucht nach London, wo er „Leading tenor“ bei der BBC wurde, bevor er 1935 in die USA ausreiste, seine spätere Wahlheimat. Er sang unter Max Reinhardts Regie am Broadway, Richard Tauber dirigierte, doch die ganz große Karriere blieb aus. Stattdessen meldete sich das „Office of War Information“, Vorläufer der „Stimme Amerikas“, und machte dem Emigranten den Rückweg schmackhaft. Auftritte für die Amerika-Häuser, dann beim Rias „15 Minuten mit John Hendrik“, 15 Minuten Hits aus Amerika: 5000 Zuschriften.

Aber erst mit dem 1957 gegründeten „Club 18“ für junge Hörer wurde er wieder sesshaft in Berlin. Sein Prinzip: Immer offen sein gegenüber allen stilistischen Richtungen. Er gründete sein „Gästebuch“, den „Opernstammtisch“, wollte immer von allen Hörern verstanden werden. „Mein Mann war ja nie alt“, sagt Monika Hendrik, fast 40 Jahre jünger, in der Rückschau. Sie erfuhr sein wahres Alter anlässlich der Hochzeit 1974.

Bis 1994, 90 Jahre alt, hatte John Hendrik noch eine eigene wöchentliche Sendung bei Antenne Brandenburg. Er setzte sich zur Ruhe, schrieb seine Memoiren „Mein merkwürdiges Leben“, führte den Bobtail aus. Die Rias-Hörer haben ihn nicht vergessen.

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