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E-Sportler Cihan Yasarlar (links) wird nach seinem Sieg der „Tag Heuer Virtuelle Bundesliga 2017“ von Sport-1-Moderator Tobias Wahnschaffe interviewt. Yasarlar gehört dem E-Sport-Team von RB Leipzig an.

© EA

E-Sport goes TV: Digital kickt besser

Fußball-Computerspiele kommen der Realität immer näher. TV-Sender Sport 1 will vom Boom profitieren.

Es ist ein nahezu perfekter Fußball, der in Barcelona beim „Fifa 18 Champions Cup“ Ende Januar gespielt wird. Er ist schneller, präziser, trickreicher, als man ihn kennt. Gespielt wird er von einer Traumauswahl. Die jung gewordene niederländische Fußballikone Ruud Gullit schüttelt einen Zauberpass nach dem anderen aus den Füßen. Vorne lauert der schlank gewordene Brasilianer Ronaldo auf die Zuspiele. Und sein wieder erstaunlich beweglicher Landsmann Ronaldinho begeistert mit Tricks, die bisher gänzlich unbekannt waren. „Wow, was für ein Skill Move!“, schreit der Kommentator während der Live-Übertragung im Free-TV-Sender Sport 1 ins Mikrofon. „Waaahnsinn, dieser Sombrero-Flip!“.

Willkommen in der Welt des perfekten Fußballs, willkommen im E-Sport. Dem Sport, der nicht auf dem Platz, sondern von Videospielern an der Konsole fabriziert wird. E-Sport steht für elektronischen Sport. Vor allem aber steht er für eine Wachstumsbranche, an der nun viele teilhaben wollen: Software-Hersteller, E-Sportler und eben auch TV-Sender.

Die größte Verbreitung haben das Fantasy-Rollenspiel „League of Legends“ oder das Action-Strategiespiel „Dota“. Inzwischen aber drängt der Fußball immer stärker in den Markt – weshalb sich die Fernsehzuschauer wohl daran gewöhnen müssen, dass quasi live auf dem Bildschirm Spieler ihre Künste vorführen, die in Wirklichkeit schon seit vielen Jahren nicht mehr aktiv sind. Die „Fifa“-Serie des US-amerikanischen Herstellers Electronic Arts ist der Branchenführer, gefolgt von der japanischen Firma Konami mit ihrer Fußball-Simulation „Pro Evolution Soccer“.

Sport 1 will E-sport etablieren

In Deutschland will vor allem Sport 1 den E-Sport etablieren. Der Münchner Sender berichtet regelmäßig live von E-Sport-Veranstaltungen. Mit bis zu 200 000 Zuschauern und einem Marktanteil von bis zu einem Prozent sieht sich Sport 1 auf einem guten Weg. Viel stolzer noch als die Quoten präsentiert der Sender die Erfolgszahlen, die E-Sport in den sozialen Medien schreibt: So erreichte das Saison-Finale der „Fifa“-Bundesliga 2017 bis zu sechseinhalb Millionen Nutzer im Facebook-Livestream von Sport 1. Man wolle das Thema nun in den Mainstream bringen, sagt Sport1-Digitalchef Pascal Damm.

Tatsächlich gibt es gute Argumente, dass E-Sport auch im Fernsehmarkt irgendwann im Mainstream landen könnte. Da wäre zum einen die riesige Anhängerschaft mit weltweit etwa 400 Millionen Spieler. Zum anderen hat sich die digitale Aufmachung in den vergangenen Jahren derart verbessert, dass sie sich immer weniger von einem realen Fußballspiel unterscheidet. Die Animationen ähneln verblüffend den Bewegungen echter Spieler. Die Übersteiger des portugiesischen Starfußballers Cristiano Ronaldo auf dem Rasen und jene, die von der Konsole auf den Bildschirm projiziert werden, sind zum Beispiel nahezu identisch. Selbiges gilt für Ronaldos speziellen Gestus beim Torjubel. Das Computerspiel ist der Realität inzwischen beeindruckend nahe gekommen.

Dass der nahezu perfekte digitale Fußball aber noch so seine Probleme mit sich bringt, wurde beim jüngst übertragenen Champions Cup in Barcelona deutlich. Die Organisatoren waren offensichtlich überfordert mit dem neuen Wettbewerb. Es wurden falsche Paarungen angesetzt, angefangene Spiele mussten wieder abgebrochen werden und hinzu kamen technische Pannen. Es ist also gut möglich, dass E-Sport irgendwann das große Ding auch im Fernsehen wird. Aktuell ist er dies noch nicht.

Fanbasis wenig begeistert

In der Welt des konventionellen Fußballs werden solche Pannen mit einer gewissen Genugtuung registriert. Gerade die Fanbasis von traditionellen Fußballvereinen kann mit E-Sport wenig anfangen. Doch viele Klubs wollen die kommerziellen Versprechungen, die der E-Sport macht, nicht ignorieren. Aus der Bundesliga sind der VfL Wolfsburg, Schalke 04, RB Leipzig, Bayer Leverkusen, FC Köln und Hertha BSC entweder mit eigenen Spielern schon dabei oder kurz davor, in den Bereich einzusteigen.

RB Leipzig startete sein E-Sport-Projekt im vergangenen Jahr und verpflichtete den derzeit wohl besten deutschen E-Sportler Cihan Yasarlar. „Fußball ist schon lange nicht mehr nur in der realen Welt in den Stadien omnipräsent, sondern hat schon längst die virtuelle Welt erobert“, begründet der Klub sein Engagement im E-Sport.

Die offizielle Mitteilung der Leipziger zur Verpflichtung des E-Sportlers kommt in Inhalt und Duktus den klassischen Transfermeldungen aus der Bundesliga schon sehr nahe. „Cihan Yasarlar hatte den Wunsch geäußert, für RB Leipzig spielen zu wollen, und wir haben uns sehr über sein Interesse am Verein gefreut. Wir haben denselben Spielstil und können einander helfen“, teilte der Verein mit.

Die größten Profiteure des sich anbahnenden Fußball-Booms im E-Sport sind dabei Softwarehersteller wie Electronic Arts und Firmen wie Sony oder Microsoft, auf deren Konsolen die Spiele laufen. Und natürlich wird der Bereich für die E-Sportler selbst immer reizvoller. Es ist dies vielleicht die beeindruckendste Zahl, um das Wachstum des E-Sports zu beschreiben: Während der „Fifa“-Konsolen-Weltmeister vor zwei Jahren noch rund 20 000 Dollar an Preisgeld gewann, könnten in diesem Jahr fast 400 000 Dollar an den Sieger ausgeschüttet werden. Auch in dieser Hinsicht also hat sich das Digitale dem Realen sehr schnell angenähert.

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