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Ruhig und doch rastlos. Gemma (Thalissa Teixeira, l.), Ray (Ariane Labed, M.) und Kieran (Gary Carr, r.) sind gut befreundet. Doch plötzlich verliebt sich Ray…

© ZDF und BBC

Dreiecks-Liebesgeschichte auf ZDFneo: Einer zu viel?

Dass Kieran wie seine Frau Gemma Schwarz ist? Gleichgültig. Die BBC-Serie „Trigonometry“ über eine Dreiecksbeziehung ohne Voyeurismus.

Fernsehserien sind fortlaufende, meist chronologisch sortierte, also wohlgeordnete Unterhaltungsformate mit Anfang, Ende und dazwischen mal mehr, mal weniger Geschehen. Akademisch ausgedrückt verfügen Fernsehserien in der Regel über These, Antithese und Synthese, weshalb die Mitte normalerweise eher dem Handlungstransfer Richtung Happy End dient, als ihrerseits schon ein Finale zu sein – wie nun die BBC-Serie „Trigonometry“.

Bis zum Beginn der fünften Folge nämlich mäandert der Achtteiler bei ZDFneo gemächlich aufs verworrene Flussdelta einer unkonventionellen Paarbeziehung zu. Kurz bevor der Rettungssanitäter Kieran seine Langzeitfreundin Gemma heiratet, nehmen sie die gescheiterte Synchronschwimmerin Ray in ihre WG auf, wo alle drei bald Gefühle füreinander entwickeln.

Weil solche Dreiecksbeziehungen aber selbst im diversen Schmelztiegel London offenbar nur schwer vermittelbar sind, behalten sie die ihre nach einer gemeinsamen Hochzeitsnacht am Ende der vierten Folge für sich und tauchen wieder ab in die Klandestinität sinnlicher Selbstbeschränkung („Trigonometry“, Freitag, ZDFneo, ab 23 Uhr 15, acht Folgen am Stück).

So beobachten wir das verliebte Trio dabei, wie ihre Zuneigung sprießt, ohne zu erblühen, wie die Ménage-à-trois moderner Großstadtmenschen im Umfeld scheinbarer Toleranz Geheimniskrämerei betreibt, als hieße Twix noch Raider. Gefangen im Korsett der Konventionen bleibt ihr Liebesglück vorerst rosarote Theorie. Fast klingt „Trigonometry“ da ein bisschen ereignislos. Ist es aber nicht. Vor und nach der körperlichen Vereinigung nimmt die Geschichte mannigfaltige Wendungen, nur eben anderer Art als erotischer.

Gemmas neu eröffnetem Café droht die Pleite, während ihr Vater unheilbar an Krebs erkrankt. Kierans kräftezehrender Job raubt ihm die Luft zum Atmen, derweil sich seine Schwester als Alkoholikerin entpuppt. Ray reibt sich im Bewerbungstraining zur Flugbegleiterin auf, unterdessen kollabiert das Liebesleben ihrer Freundin Moira.

Nur ihre Liaison köchelt auf kleiner Flamme

Das Milieu der drei Titelfiguren ist mächtig in Bewegung. Nur ihre Liaison köchelt auf kleiner Flamme. Außergewöhnlich für eine Lovestory. Außergewöhnlich auch, weil Athina Rachel Tsangari die Betriebstemperatur raffiniert zu drosseln versteht, ohne sie ganz abzudrehen.

Nach Drehbüchern des englischen Bühnenautors Duncan Macmillan und der ähnlich filmunerfahrenen Schauspielerin Effie Woods haucht Griechenlands aktuell angesagteste Regisseurin ihrem Ensemble eine Art gedämpfter Leidenschaft ein, die gleichermaßen beruhigt und zerfurcht. Vor allem Ariane Labed, bekannt durch die dadaistische Dystopie „The Lobster“, überzeugt zwischen Gary Carr und Thalissa Teixeira als drittes Rad am Wagen.

Ihre Jagd nach Geborgenheit allerdings steht nicht nur stellvertretend fürs wachsende Gefühlsvakuum, in das sich die Generationen Tinder bis Instagram real manövrieren. Sie symbolisiert auch Sollbruchstellen einer Multioptionsgesellschaft im permanenten Terminstress. Abseits vom emotionalen und materiellen Leistungsdruck kämpfen die Twentysomethings von „Trigonometry“ auch noch gegen die selbst verordnete Durchdringung ihrer Mikrokosmen, was unter dem Schlagwort „Gentrifizierung“ gleichermaßen begehrt und gefürchtet wird.

Alle Beteiligten zu Objekten und Subjekten ihrer eigenen Sehnsüchte zu machen: damit glänzt Tsangaris Serienkunst, die man bei Amazon Prime im Original sehen kann, auch sonst. Womit sie noch mehr zu glänzen versteht: Mut zur Lücke. Schließlich kriegt hier nichts, was andernorts wortreich thematisiert würde, eine Bedeutung über bloße Existenz hinaus.

Dass Kieran wie seine Frau Gemma Schwarz ist? Gleichgültig. Dass ihre Eltern Weiße sind? Nicht der Rede wert. Dass Ray aus Frankreich stammt? Egal. Den Machern dieser angenehm ruhigen und doch rastlosen Serie war es wichtiger, eine unkonventionelle Liebesmilieustudie zu erzählen, als Konventionen, Liebe, Milieu ständig hervorzuheben.

Jan Freitag

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