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Eine gute Idee? Harry (Wolfram Koch) ist überzeugt, dass das Haus der Toten das neue Zuhause für seine Familie werden soll.

© WDR/Unafilm

Drama mit Wolfram Koch: Schock im zweiten Frühling

Wolfram Koch glänzt im ARD-Film „Gefangen“ als Polizist in der Krise. Wer dabei am Ende Eindeutiges erwartet, wird nicht zufrieden sein.

Vor der Tragödie steht ein Namenswitz, denn eine fiktive Polizisten-Figur Harry zu nennen, kann in „Derrick“-Deutschland eigentlich nicht arglos geschehen. Die sprechende Polizei-Puppe auf dem Rücksitz eines Wagens, den Harry (Wolfram Koch) und sein Kollege René (Sebastian Schwarz) kontrollieren, erinnert wiederum an klassische Cop-Filme: „Police! Put the gun down – now!“, befiehlt die Figur schnarrend. Davon ist der Wolfram-Koch-Harry aus Elke Haucks Fernsehfilm „Gefangen“ aber weit entfernt.

Harry ist ein sympathischer Polizist aus Berufung, der nach seiner Zeit beim Staatsschutz und beim Sondereinsatzkommando (SEK) wieder auf Streife geht. Er kassiert den reumütigen Verkehrssünder Ronald (Godehard Giese), der während der Fahrt mit seiner Frau telefonierte, nicht ab, sondern gibt ihm stattdessen freundliche Ratschläge mit auf den Weg: Er möge ihr Blumen mitbringen und die Wunschreise nach Tunesien buchen.

Ronald hält sich daran – und verunglückt am nächsten Tag auf dem Weg ins Reisebüro mit seiner Frau Monika (Susanne Wuest) und den beiden Töchtern. Die Polizisten Harry und René, die gut gestimmt von einer Hochzeit kommen und auf dem Weg zur Arbeit sind, werden zu Augenzeugen und ersten Helfern. Der Unfall selbst wird nicht explizit gezeigt.

Drehbuch-Autorin und Regisseurin Elke Hauck („Karger“, „Der Preis“) inszeniert die Schlüsselszene konsequent aus Harrys Perspektive, der Ronald natürlich erkennt. Außerdem scheinen alle Opfer nur noch auf Harry gewartet zu haben, ehe sie die Augen für immer schließen. Was das Publikum – nicht zum letzten Mal – sieht, ist nur bedingt Realität, sondern die Wahrnehmung des Polizisten („Gefangen“, ARD, am Mittwoch um 20 Uhr 15).

Dramatisch, poetisch und ein bisschen unheimlich – so erzählt Elke Hauck die Geschichte eines Mannes im fortgeschrittenen Alter, der mitten in seinem zweiten Frühling mit einer Tragödie konfrontiert wird. Harrys neue Lebensgefährtin, Polizei-Ausbilderin Ellen (Antje Traue), ist schwanger. Vicky (Lola Liefers), die Tochter aus Harrys erster Ehe, würde gerne bei ihrer Mutter aus- und bei Ellen, ihrem Vater und dem zu erwartenden Geschwisterchen einziehen. Harry ist fest entschlossen, sich von der im Berufsalltag erlebten Tragödie nicht aus der Bahn werfen zu lassen.

Parabel über Familie, Liebe und Tod

Er verdrängt, verschließt sich, doch der Schock des Unfalls nimmt ihn immer stärker gefangen. Er sucht die Gesellschaft eines ehemaligen Kollegen (Thomas Lawinky), der einen einsamen Security-Posten in einem Flugzeug-Hangar inne hat. Und das Haus, in dem die ausgelöschte Familie lebte, übt auf Harry eine besondere Anziehungskraft aus.

Dieses von Natur und einem Wildgehege umgebene Anwesen spielt gewissermaßen die zweite Hauptrolle im Film. Im Inneren herrscht eine leicht surreale, aus der Zeit gefallene Atmosphäre. Will Harry sich das Haus aneignen, oder ist es das Haus, das ihn gefangen nimmt? Will er das Leben der toten Familie fortsetzen – als Akt der Wiedergutmachung für den von ihm erteilten, verhängnisvollen Ratschlag? Will er sich mit ihrer Gegenwart konfrontieren, um das eigene Trauma zu bekämpfen?

Elke Hauck setzt die Parabel über Familie, Liebe und Tod in einer Mischung aus Familiendrama und Horrorfilm in Szene, ein bisschen poetisch und verträumt, ein bisschen gespenstisch, aber ohne die großen Schockmomente, auch wenn ein Wolf am Ende nicht ganz unerwartet eine gewisse Rolle spielt.

Atmosphäre und visuelle Ausdruckskraft (Kamera: Patrick Orth) gehen hier vor strikten Realismus und Erklärdialogen, insofern hebt sich „Gefangen“ deutlich von konventioneller Fernsehkost ab.

Wer einen Film mit eindeutigem Finale und glasklarer Auflösung erwartet, der wird freilich nicht zufrieden sein. Dafür lässt Hauck dem Publikum viel Raum für eigene Gedanken und Interpretationen – und insbesondere dem vielseitigen Koch (Grimme-Preis für „Dead Man Working“) viel Raum, sein Können zu beweisen.

Wolfram Koch, der ja nicht nur hessischer „Tatort"-Kommissar ist, sondern auch eine eindrucksvolle Theater-Karriere vorweisen kann, gibt hier souverän und unaufgeregt einen Streifen-Polizisten, Lebensgefährten und Vater zwischen Schock und Aufbruch.

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