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Was geschah in Istha? Stephan Ernst (Robin Sondermann, ganz rechts) stellt bei der Tatortbegehung den Tathergang für Verfassungsschützer Vogel (Bernd Hälscher, ganz links), Staatsanwältin Weber (Hannah Ley, Mitte) und Ermittler Bartels (Joachim Król, re.) nach.

© HR/Daniel Dornhoefer

Dokudrama über Mord an Walter Lübcke: Anschlag auf die Demokratie

Ein ARD-Dokudrama mit Joachim Król rollt die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf. Dabei steht das Format zu sehr in der Schwebe.

Die Nachricht war ein Schock. Im Juni 2019 wurde Walter Lübcke im nordhessischen Istha erschossen. Der Kasseler Regierungspräsident hatte während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 Verdienste für die Unterbringung von Migranten erworben. Während einer Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden wurde der CDU-Politiker von Anwesenden aus dem rechten Spektrum, darunter sein späterer Mörder, lautstark provoziert.

Lübcke ließ sich zu der scharfen Erwiderung hinreißen, wer die Werte der Verfassung ablehne, dem stünde es ja frei, Deutschland zu verlassen. Unter anderem mit dieser Äußerung Lübckes begründete der knapp zwei Wochen nach dem Mord gefasste Stephan Ernst seine Tat.

In seinem Dokudrama, für das er gemeinsam mit seiner Frau Hannah auch als Koautor verantwortlich zeichnet, rollt Raymond Ley nun die Hintergründe der Tat auf. Der Film entwirft ein Mosaik aus Fakten, Spekulationen und Stimmungen. Im dokumentarischen Teil kommen Bekannte, Freunde und Kollegen Lübckes zu Wort. Mitarbeiter der freiwilligen Feuerwehr Istha, für die Lübcke tätig war, erklären: „Für uns ist nicht RP ermordet worden“ – gemeint ist der Regierungspräsident – „Unser Walter ist tot“.

Ergreifend ist insbesondere das Schlussbild, in dem Kinder der aus Syrien stammenden Familie Abdulrahman-Abdulbaki in einer inzwischen leer stehenden Massenunterkunft in Lohfelden spielen. Lübcke hatte dieses Auffanglager 2015 für ankommende Flüchtlinge mit organisiert. Diese emotionalen Eindrücke zeigen, welch schmerzliche Lücke die Ermordung des Regierungspräsidenten hinterlassen hat.

Der fiktionale Teil des Dokudramas fokussiert sich auf die Täterperspektive ("Schuss in der Nacht - Die Ermordung Walter Lübckes, Freitag, 22 Uhr 15, ARD). Robin Sondermann, bekannt aus diversen TV-Krimis, schlüpft in die Rolle des Lübcke-Mörders. Gezeigt wird, wie er sich im Schützenverein durch die sinistren Einflüsterungen des Neonazis und mutmaßlichen Waffenbeschaffers Markus H. (Konstantin Lindhorst) radikalisierte.

Kurz darauf versuchte er eine Asylunterkunft in die Luft zu sprengen

Nach seiner Verhaftung stehen polizeiliche Ermittler vor der Frage: Was hat denn eigentlich diesen unbändigen Hass auf Walter Lübcke ausgelöst? Das Video des islamistischen Anschlags von Nizza, so betont Ernst im Verhör immer wieder, habe seine Weltsicht gefestigt. Doch das überzeugt Ermittler Norbert Bartels (Joachim Król) nicht. Der erfahrene Polizist vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Lübcke-Mord und dem NSU-Netzwerk.

Auf der Suche nach Beweisen wird er jedoch ausgebremst von einem zwielichtigen Verfassungsschützer. Der Beamte hat großes Interesse daran, dass die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten als das Werk eines Einzeltäters gelten soll. Die beiden Männer, der Polizist und der Verfassungsschützer, sind einander spinnefeind, denn sie sind schon einmal aneinander geraten.

Diese Spekulationen im fiktionalen Teil sind thematisch interessant. Leider bleiben viele Spielszenen holzschnittartig. Joachim Król, als Kommissar des Frankfurt-„Tatorts“ unvergessen, wirkt als kauziger Ermittler etwas verloren. Und wenn Stephan Ernst als blindwütiger Gegner der Willkommenskultur im politisch korrekten Jargon von „Geflüchteten“ redet, ist das zuviel des Guten.

Der Lübcke-Mord markiert einen Einschnitt. Erstmals in der deutschen Nachkriegs-Historie wurde wieder ein Spitzenpolitiker von einem Rechtsradikalen umgebracht. Über den Mörder ist einiges bekannt. Schon 1989 versuchte Stephan Ernst im Keller eines von Türken bewohnten Hauses einen Brandanschlag auszuüben. 1992 stach er auf einer öffentlichen Toilette in Wiesbaden einen türkischen Imam nieder. Kurz darauf versuchte er eine Asylunterkunft in die Luft zu sprengen.

Die Motive des Fanatikers bleiben in diesem Film leider schemenhaft. Das ist nicht verwunderlich. Das Format des Dokudramas soll zweierlei erfüllen: Es soll erklären und unterhalten. Beides funktioniert nur halbwegs.

In einer puristischen Dokumentation hätte der aus Kassel stammende Regisseur Raymond Ley, für seine Arbeiten über Rechtsradikalismus mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, mehr in die Tiefe gehen können.

Und ein sorgfältig inszenierter Fernsehfilm hätte präziser aufzeigen können, was für ein Mensch dieser Stephan Ernst ist, der ein bürgerliches Leben als erwerbstätiger Familienvater führte und kurz nach dem Mord an Lübcke auf dem Vereinsgelände des Schützenvereins den Rasen mähte. Im vorliegenden Mischformat des Dokudramas bleibt leider vieles Stückwerk.

Manfred Riepe

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