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Der Lärm des Krieges in der syrischen Stadt Ost-Ghouta bleibt hier gedämpft zurück. Kinderärztin Amani Ballour leitet das unterirdische Krankenhaus. Über der Erde lauert weiter der Tod.

© SWR/Danish Documentary

Doku über Syrien: Güte in einem Meer von Gewalt

Die ARD zeigt Feras Fayyads „The Cave“ über ein unterirdisches Krankenhaus im belagerten Ost-Ghouta.

Die Stadt liegt scheinbar friedlich da, bis eine erste Explosion die Stille zerreißt. Dann folgen kurz hintereinander weitere Einschläge. Das Häusermeer verschwindet in Wolken aus Staub. Die syrische Stadt Ost-Ghouta, die seit Jahren belagert wird, gleicht einer Ruinenlandschaft. Hunderttausende sind eingeschlossen. Wie organisieren die Menschen den Überlebenskampf? Wie bewahren sie an einem solchen Ort ihre Menschlichkeit?

Die Antwort gibt Autor und Regisseur Feras Fayyad zu Beginn seines Dokumentarfilms „The Cave – Eine Klinik im Untergrund“ mit ausdrucksstarken Bildern: Langsam fährt die Kamera hinab, taucht an den Ruinen vorbei in die Dunkelheit ein (ARD, Mittwoch, 22 Uhr 45).

Der Lärm des Krieges bleibt gedämpft zurück, eine Tür fällt ins Schloss. Jemand zündet eine Kerze an, und aus dem Off sagt eine weibliche Stimme: „Die Idee, unter die Erde zu gehen, ist simpel. So simpel wie der Tod, der oben auf uns lauert.“ Das Gesicht einer jungen Frau mit Kopftuch erscheint im Halbdunkel.

Kinderärztin Dr. Amani Ballour ist die wichtigste Protagonistin in Fayyads international, unter Beteiligung des SWR koproduzierten Dokumentarfilm und steht in der Tat für Hoffnung und Menschlichkeit. Sie leitet in Ost-Ghouta „The Cave“ (die Höhle), ein unterirdisches Krankenhaus, in dem sie und die rund 150 Helferinnen und Helfer „Tausende Leben retten“ konnten, wie es auf einer Schrifttafel zu Beginn heißt.

Während der Dreharbeiten zwischen Ende 2016 und Mitte 2018 hatten sich viele Bewohner Ost-Ghoutas in Tunnel und unterirdische Schutzräume geflüchtet. Am Ende wird auch das Krankenhaus evakuiert, während die Regierungstruppen, unterstützt von Russland und dem Iran, die letzten Rebellen aus dem Ort nahe Damaskus bomben.

Seit dem Frühjahr 2013 waren Hunderttausende Menschen in Ost-Ghouta eingeschlossen, eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen nannte die „längste Belagerung der modernen Geschichte“ später eine „barbarische und mittelalterliche Form der Kriegsführung“.

Aber der in diesem Jahr für einen Oscar nominierte Film von Feras Fayyad ist mehr als ein erschütterndes Dokument voller Blut und Tränen mit dem dramatischen „Höhepunkt“ eines mutmaßlichen Chlorgas-Angriffs, der in der „Höhle“ Entsetzen, hektisches Treiben, Tod und Verzweiflung auslöst. Es finden sich Bilder von geradezu ikonografischer Wucht und allgemeingültiger Kraft über das Leiden im Krieg, insbesondere der Kinder.

„Wir leben, damit wir etwas Bedeutendes tun“

Gleichzeitig schildert Fayyad mit großer Sensibilität, wie Menschen auch in finstersten Zeiten an ihren Werten festhalten, Hilfsbereitschaft, Güte, Freundlichkeit und auch Humor an den Tag legen. Da ist Krankenschwester Samaher, die gute Seele des Klinikbetriebs, die bei Operationen assistiert, für die Belegschaft kocht, gerne scherzt und lacht.

Oder Dr. Salim, der Chirurg, der bei jeder Operation klassische Musikvideos oder Ballettstücke auf seinem Smartphone abspielt. Was für ein Bild, inmitten dieser Welt aus Angst, Gewalt und Schmerz.

Und vor allem ist es die Geschichte einer jungen Ärztin, Dr. Amani, einer Frau um die 30 mit einem schmalen, ernsten Gesicht, die „ein aufrichtiges Leben“ führen will und sich mitten im Krieg gegen die gesellschaftlichen Konventionen stellt. Fayyad, der bereits mit dem ebenfalls Oscar-nominierten Film „Die letzten Männer von Aleppo“ über die syrischen Weißhelme ein wichtiges Zeugnis über den Krieg in seiner Heimat geschaffen hatte, beschränkt sich erneut auf unkommentierte Beobachtung.

Und was könnte aussagekräftiger sein als das tröstende, zugewandte Gespräch, das Dr. Amani mit einer jungen Patientin führt. Die Ärztin ermuntert das Mädchen, das seinen Vater durch eine Autobombe verlor, schließlich dazu, nicht einfach nur ein normales Leben zu führen. „Wir leben, damit wir etwas Bedeutendes tun“, sagt sie.

Nur in einer Szene wird Dr. Amanis Autorität offen infrage gestellt. Ein Mann kommt in die Klinik und bittet für seine Frau um Medikamente. „Die Stadt ist belagert, es gibt keine Medikamente“, entgegnet Dr. Amani ruhig. Aber der Mann ist unzufrieden.

Wieso hier denn kein männlicher Klinikdirektor sei, Frauen sollten zu Hause bleiben und sich um ihre Familien kümmern. Dr. Salim kommt hinzu, erklärt, dass Dr. Amani ihre Arbeit gut gemacht habe, „daher haben wir sie wiedergewählt“. Aber der Mann lässt nicht locker, bis Dr. Amani doch der Kragen platzt: „Sie können mir nicht sagen, welche Arbeit ich zu machen habe. Niemand kann mir vorschreiben, wie ich zu leben habe.“

Die letzte Kamerafahrt nimmt die entgegengesetzte Richtung als zu Beginn: Aus dem Meer, an den Wracks eines Flugzeugs und eines Schiffs vorbei, taucht die Kamera wieder auf, ans helle Tageslicht. Schrifttafeln erinnern an die Millionen Geflüchteter, an die Tausenden Toten, auch an die vier während der Dreharbeiten getöteten Klinikmitarbeiter. Dr. Amani, Samaher und Salim hätten Syrien verlassen und seien noch immer auf der Flucht, heißt es.

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