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Alfredo ist Taucher aus Leidenschaft. Der Unterwasser-Tanz mit einem Wal bedeutet für ihn höchste Glücksgefühle.

© WDR/Filmpunkt GmbH/Thomas Riedel

Doku über Sehnsucht: Entschleunigt

„Das Meer ist in mir. Wie auch die einsamen Sterne in mir sind.“ Thomas Riedelsheimers eindrucksvolle Kino-Doku „Die Farbe der Sehnsucht“.

Gondeln gleiten auf einem Kanal durch den Einkaufspalast in Doha. An den Ufern keine venezianische Architektur, sondern Waren in glitzernden Geschäften. In der Wüste sieht man am Horizont die Hochhaus-Skyline, der Wind treibt einen Karton über steinigen Boden. Männer auf Pferden. Männer, die stolz ihre Falken präsentieren. Fallschirmspringer am Himmel. Ein Basar. Luxus und Alltag. Zu diesen assoziativ aneinandergereihten Bildern spricht eine Frau über ihre Sehnsucht nach Freiheit. „Immer wird alles verhüllt, unsere Körper, unsere Seelen, unsere Gefühle“, sagt Layla Salah. „Ich will rennen, fliegen, berühren, riechen, ich will alles in diesem Leben.“

Die Geschichten von acht Menschen aus Lissabon, Doha, München, Osaka und Tojinbo in Japan sowie La Paz in Mexiko verknüpft Thomas Riedelsheimer in seinem Kino-Dokumentarfilm „Die Farbe der Sehnsucht“ zu einer poetischen, höchst sinnlichen Film-Reise. Wer ein Fernsehgerät besitzt, das ein Kinoerlebnis zumindest annähernd ermöglicht, ist klar im Vorteil. Die Bilder sind ausdrucksstark, aber in ihrer Bedeutung offen, und ihre Montage folgt keiner stringenten Erzählung, sondern bildet einen ruhigen Fluss an Eindrücken und Stimmungen.

Es gibt neben Interviews mit den Protagonisten und den beobachtenden Szenen auch nicht das übliche Doku-Wortgeklingel, sondern einen lyrischen Begleitkommentar. Zu Beginn spazieren Menschen in Lissabon am Ufer des Tejo, blicken aufs Wasser, Touristen fotografieren, Möwengeschrei, ein Schiff tutet. Dazu klingt es aus dem Off: „Das Meer ist in mir. Wie auch die einsamen Sterne in mir sind.“

Für TV-Zapper ist das wohl nichts, aber es lohnt sich, der vielfach ausgezeichnete Riedelsheimer segelt nicht ziellos übers weite Meer der Melancholie, sondern erzählt berührende Geschichten: von den kapverdischen Einwanderern in Lissabon und ihrer Sehnsucht nach der Heimat. Von den obdachlosen Männern in Osaka, die im Lyrik-Kurs von Kanayo Ueda Gedichte schreiben und sich so gegenseitig über ihren Alltag und ihre Träume austauschen. Von dem mexikanischen Taucher, der tatsächlich eins zu sein scheint mit dem Meer. Von dem japanischen Polizisten im Ruhestand, der mit einem Fernglas auf den Klippen von Tojinbo auf potenzielle Selbstmörder lauert, um sie in ein Gespräch zu verwickeln und von ihrem Vorhaben abzubringen.

Für das musikalische Grundthema sorgt die Klaviermelodie des Musikers Julius Krebs, der auf der Suche ist nach dem „Zustand des ultimativen Glücks“ und der bedauert, dass die Gefühle immer mehr verloren gehen würden. Dabei ist hier bei Weitem nicht alles depressiv-düster: Alfredo Barroso Ruiz, der Taucher aus Mexiko, kann sich überschwänglich begeistern über das Blau des Himmels, das Meer – und seine geliebte Freundin Lisa. „Schönheit ist überall“, sagt er. Riedelsheimer kommentiert nicht, stellt Julius’ Weltschmerz gleichberechtigt neben den Kampf von Layla Salah gegen die Einschränkungen ihres Lebens oder die Armut auf den Straßen Osakas. Die Sehnsucht hat viele Farben und viele Bilder.

„Die Farbe der Sehnsucht“, WDR, Mittwoch, 22 Uhr 55

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