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„Der Film machte auch mich.“ Der französische Regisseur Claude Lanzmann arbeitete zwölf Jahre an seinem dokumentarischen Meisterwerk „Shoah“.

© Arte/Adam Benzine

Doku über Claude Lanzmann und "Shoah": Die Qual der Erinnerung

Arte zeigt ein "Making of" der besonderen Art: Eine Doku über Claude Lanzmann und dessen Film „Shoah“ - die auch für den Oscar nominiert ist.

„Ich machte zwar den Film, aber der Film machte auch mich“, sagte Claude Lanzmann in einem Interview im Jahr 1985, als sein epochales, mehr als neunstündiges Werk über den Völkermord an den europäischen Juden gerade fertiggestellt war. Auch heute noch gilt „Shoah“ als eine der bedeutendsten Arbeiten zum Thema, als Referenzpunkt in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Ganze zwölf Jahre lang hatte der Franzose Lanzmann, Sohn jüdischer Einwanderer, daran gearbeitet. Zuvor sei sein Wissen nur dürftig und abstrakt gewesen, sagt er in Adam Benzines Dokumentation „Claude Lanzmann – Stimme der Shoah“. Umso akribischer und hartnäckiger ging Lanzmann nun bei seinen Recherchen vor. Neben den zahlreich geführten Interviews hatte er die Schauplätze des Mordens in ihrem aktuellen Zustand dokumentiert, aber auf Archivmaterial verzichtet. „Weil es kein Bild davon gab, was in der Gaskammer geschah“, sagt er.

14 Länder, mehr als 200 Stunden Film

Am Ende hatte Lanzmann in 14 Ländern mehr als 200 Stunden Film gedreht. Er habe sich während der Arbeit an „Shoah“ ständig zwischen einem extremen Ausnahmezustand und äußerster Geduld bewegt, erklärt er im Gespräch mit Benzine. Dessen knapp einstündiger Film, den Arte und ZDF als Koproduzenten mitfinanzierten, ist in einer nur 40 Minuten langen Fassung für einen Oscar als beste Kurzdokumentation nominiert worden.

Der Film ist ein „Making of“ der anspruchsvolleren Art und zugleich ein wohlwollendes Porträt des mittlerweile 90 Jahre alten Journalisten, der hier auch als jugendlicher Kämpfer in der Résistance und als Freund und Lebensgefährte von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre gewürdigt wird. Mit der Wirkungsgeschichte von „Shoah“ setzt sich Benzine dagegen kaum auseinander, und die Bemerkungen des mit Claude Lanzmann nicht eben freundschaftlich verbundenen Dokumentarfilmers Marcel Ophüls zu Beginn bleiben die einzigen, die neben der zweifellos verdienten Anerkennung auch ein wenig Distanz und Kritik erkennen lassen. Claude Lanzmann, erklärt Ophüls, sei „größenwahnsinnig“, und „Shoah“ sei zwar ein „Meisterwerk an Persönlichkeit“, aber nicht unbedingt ein filmisches Meisterwerk.

Dreharbeiten mit versteckter Kamera

Benzines Film verwendet neben einigen Ausschnitten aus „Shoah“ auch „Outtakes“, also Material, das im Originalfilm nicht zu sehen ist. So wird zum Beispiel deutlich, wie Lanzmann vorging, um seine Gespräche mit den Tätern heimlich aufzuzeichnen. Was heute im Fernsehen gang und gäbe ist, war vor 40 Jahren eine technisch weit größere Herausforderung.

Die versteckte Kamera lieferte Bilder von bescheidener Qualität. Die Signale wurden in einem in der Nähe geparkten VW-Bus empfangen und aufgezeichnet. Kurios der Blick ins Innere des Wagens, in dem ein Mitarbeiter eine Antenne in der Hand hin- und herbewegt.

Einmal allerdings flog die Täuschung auf. Der ehemalige SS-Offizier Heinz Schubert und seine Frau wurden während des Gesprächs misstrauisch, die Situation eskalierte. Schließlich gibt es keine brauchbaren Bilder mehr, sondern nur noch eine gespenstisch anmutende Tonspur. Lanzmann und seine Mitarbeiterin Corinna Coulmas wurden angegriffen und verletzt. Darüber redet Lanzmann in Benzines Film nur ungern. „Das ist zu kompliziert und dauert zu lange“, sagt er, lässt sich dann aber doch umstimmen.

Quälende Gespräche mit Zeitzeugen

Lanzmann schonte auch die überlebenden Opfer nicht. In zum Teil quälenden Gesprächen brachte er sie dazu, sich den Erinnerungen zu stellen. In Benzines Film wird dies am Beispiel von Abraham Bomba deutlich. Bomba war Friseur und musste in Treblinka den Frauen, bevor sie in die Gaskammer gingen, die Haare abschneiden.

Lanzmann entschied, dieses Interview mit Bomba in dessen Friseurladen in New York zu führen. Dies sei keineswegs ein sadistisches Spiel gewesen, erklärt er. „Ich war sein Bruder.“ Doch im Dienste der Aufklärung bedrängte Claude Lanzmann den Friseur so lange mit Fragen, bis Bomba die Fassung verlor. „Bombas Tränen waren für mich so kostbar wie Blut – der Beweis für die Wahrheit“, erklärt Lanzmann.

- „Claude Lanzmann – Stimme der Shoah“; Arte, Mittwoch, 22 Uhr

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