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Fossil muss nicht sein. Zu lange lebt schon Europa von Gas, Kohle und Öl. Im Kampf gegen den Klimawandel sind alternative Lösungen entscheidend.[/GRUNDTEXT]

© zero one

Doku-Serie: Europa ist eine Baustelle

Eine Arte-Serie beleuchtet die Problemzonen in Wirtschaft, Ökologie und Migration

Der Film über die Landwirtschaft führt eindringlich vor Augen, warum die Probleme der Bauern in der Euro-Zone nicht selten hausgemacht sind. So zahlt die EU enorme Summen, damit Landwirte viel und billig produzieren können. Gemäß dieser Logik werden aber nur Großbetriebe gefördert. Je größer, desto mehr Förderung. Entstanden ist dadurch eine dramatische Schieflage. In Frankreich nimmt sich pro Tag ein Kleinbauer das Leben. Unterdessen ist auf der rumänischen Braila-Insel der europaweit größte landwirtschaftliche Betrieb entstanden. Unterstützt mit unzähligen Millionen aus Brüssel wird hier Getreide produziert, das obendrein aus der EU ausgeführt wird.

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Doch diese Turbo-Landwirtschaft ist nicht nachhaltig. Sie macht Böden durch Nitratbelastung kaputt, lässt das Klima kippen und bedroht obendrein die Gesundheit. „Diese Serie“, so heißt es im Vorspann jeder der sechs Episoden, „zeigt Menschen, die entschlossen an Lösungen arbeiten.“ So wirft der Film über die Landwirtschaft einen Blick auf das Projekt Smart Farming. Ökologische Landwirtschaft soll mit Hightech nachhaltiger werden: Lassen sich so 500 Millionen Europäer ernähren?
Laut Catherine Tubb, einer Vordenkerin für die Züchtung von Proteinen im Reagenzglas, ist Laborfleisch in naher Zukunft so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau. Die Herstellung von synthetischen Steaks, so prognostiziert die Forscherin, wird schon bald erheblich günstiger werden. Herkömmliche Landwirtschaft müsse sich daher auf disruptive Veränderungen gefasst machen. Kühe, die bekanntlich einen schlechten CO2-Fußabdruck haben, würden nach der Prognose von Catherine „bis 2035 überflüssig“ werden. Die Kamera begleitet sie derweil zum Edelmetzger, wo sie sich ein saftiges Steak gönnt, das nicht aus dem Labor stammt. Aufschlussreich ist vor allem die Episode über Europas verschlafene Digitalisierung. Ein brisantes Thema. Denn nur vier Prozent der weltweit relevanten IT-Konzerne stammen aus der EU. Europa, so scheint es, ist ein digitales Entwicklungsland. Der einzige Ausreißer: Spotify. Die Erfolgsgeschichte der schwedischen Audio-Streaming-Plattform wird leider nur gestreift.

[„Europa. Kontinent im Umbruch“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15]

Der Blick auf die Energiewirtschaft, mit dem die Serie startet, beleuchtet die dringlichste Baustelle der EU. Der Krieg in der Ukraine habe schmerzhaft klargemacht, dass Europa durch den „Durst nach Energie“ abhängig geworden sei von einem autokratischen Staat. Der politische Weg in diese Abhängigkeit von Russland wird leider nur angedeutet. Das ist ein blinder Fleck. Schließlich betont die Dokumentation: „Energie ist immer politisch.“
Der Fokus liegt auf Möglichkeiten, fossile Brennstoffe bei der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Sinnbildlich für diese Wende ist die Geschichte eines rumänischen Ex-Bergarbeiters. Durch den Wechsel seines Jobs entkam er der Finsternis einer Kohlegrube. Als Wartungstechniker genießt er nun auf einem 120 Meter hohen Windrad den Ausblick – auch in die dekarbonisierte Zukunft.

Hochglanz-Dokuserie

„Europa. Kontinent im Umbruch“ ist eine ambitionierte Hochglanz-Dokuserie. Spektakuläre Luftaufnahmen, ausgefeilte 3D-Kartenanimationen und ein Stakkato von Statistiken verdeutlichen die komplexe globale Verflechtung zwischen Energieherstellung, Verkehrswesen, Landwirtschaft und Naturbelastung. Bei der Grundthematik, dem drohenden Klimawandel, zeigt der Sechsteiler allerdings auch Unschärfen. Da der Blick sich auf wirtschaftlich-ökologische Prozesse zwischen Helsinki und Napoli, Polen und Portugal beschränkt, entsteht immer wieder der irritierende Eindruck, als müsste Europa den Klimawandel ganz alleine stoppen. Zu überzeugen vermag am Ende vor allem der atemberaubende thematische Bogen, der vor Augen führt, welch gigantische Baustelle Europa gegenwärtig ist.

Manfred Riepe

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