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Matthias Brandt spielt den Oberst Klein als Mann mit großen Selbstzweifeln.

© NDR/Cinecentrum

Doku-Drama "Eine mörderische Entscheidung": Nirgends deutsche Verbrecher

Im Doku-Drama „Eine mörderische Entscheidung“ wird die größte Katastrophe deutschen militärischen Handelns nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeblättert: das Bombardement nahe Kundus, bei dem 140 Menschen zu Tode kamen.

Die Sorgen, die sich Christian Granderath vor der Ausstrahlung von „Eine mörderische Entscheidung“, dem Doku-Drama am Freitag auf Arte und am nächsten Mittwoch in der ARD macht, sind verständlich. Quotenreißer sind Bundeswehrdramen nicht, das weiß der Leiter der NDR-Abteilung Film, Familie & Serie. Dazu sind sie „zu dunkel, zu düster, zu gewalttätig und nicht wirklich frauenaffin“, sagt Granderath. Zumal, wenn kein Hitler spukt, keine Liebe im Wüstensand glüht und es elegantere Uniformen gibt als die der Bundeswehr.

Dafür blühte im September 2009 die Empörung. Ein, wie sich jetzt zeigt, vergänglicher Stoff, aus dem Fernsehfiktionsträume geboren werden könnten, die nun eine unbestechlich objektive Dokumentation beerdigt. TV als Vereinfachungsvernichter – seit „Unsere Mütter, unsere Väter“ die edelste Disziplin des Mediums.

„Ein deutsches Verbrechen“ überschrieb der „Spiegel“ 2010 einen faktenreichen Report über das Bombardement nahe Kundus, bei dem 140 Menschen zu Tode kamen. Doch je tiefer der Leser in die Rekonstruktion eindringt, zerrinnen Zorn und Empörung über vermeintliche Schuld zwischen den Fakten. Zu finden ist kein deutsches Zack-Zack, keine teutonischen Kommissköpfe, kein menschenverachtender Kadavergehorsam, nur Fehler, Ungeschick, folgenlose Zerknirschung und – große Überforderung. Aber nirgends deutsche Verbrecher.

Mehr moralische Empörung?

Der Regisseur des Doku-Dramas „Eine mörderische Entscheidung“, Raymond Ley („Die Kinder von Blankenese“, „Eichmanns Ende“), der zusammen mit seiner Frau Hannah Ley das Drehbuch schrieb, mag sich zu Anfang mehr moralische Empörung versprochen haben. Die Figur des Hauptverantwortlichen, Oberst Georg Klein, hat er sich wohl moralisch angreifbarer vorgestellt, als einen emotionslosen Bürokraten. Aber er besetzte die Rolle mit Matthias Brandt und der ist ein schauspielerischer Anwalt der Gefühle von scheinbar verschlossenen Männern. „Die Selbstzweifel, die Klein plagen, bringt Matthias Brandt so außerordentlich gut rüber, dass ich manchmal befürchtete, er ist im Kern zu sympathisch für diese Rolle“, sagt Ley.

Die Abwehr jeglicher Voreingenommenheit hat dem Afghanistan-Spiel gutgetan. Sie rückt das Geschehen ins Tragische, entschuldigt aber nichts, sondern steigert die Verzweiflung. Kein richtiger Schurke magnetisiert die Wahrnehmung und lenkt durch Mystifikation vom Leiden der Opfer ab. Aber auch kein Zynismus, der sich an Explosionen und Leichen berauscht und der vermeintlichen Zuschauergewissheit folgt: Wo Krieg ist, feiert der Tod, wie gemütlich ist es doch vor dem Fernseher.

Der „mörderischen Entscheidung“ sieht man an, dass sie die Ursachen für die größte Katastrophe deutschen militärischen Handelns nach dem Zweiten Weltkrieg aufblättern will. Nichts wird ausgelassen: die Grausamkeit der Taliban nicht, die Bauern deren halb erwachsene Söhne abpressen, um sie als Selbstmordattentäter zu verheizen. Die zornige Haltung der afghanischen Zivilbehörden wird gezeigt, die Bundeswehrsoldaten für Schlappschwänze halten und deren wirkliche Haltung für die Truppe undurchschaubar bleibt. Wahre Freunde, falsche Freunde. Die Soldaten fühlen sich zerrieben zwischen den Felsen des Misstrauens, zerrieben und gelähmt durch komplizierte Vorschriften, die den Einsatz der Waffen regulieren. Wir erleben, wie ein russischstämmiger deutscher Panzerfahrer von Taliban erschossen wird, wie die Eltern trauern, wie die Illusion eines friedfertigen Krieges zusammenbricht, wie die Helfer in Uniform aus „Bad Kundus“ (Soldatenspott) zu gefährdeten Kämpfern werden. Und zu todbringenden. Erst wenn die Doku diese Vorgeschichte vom Ende der Harmlosigkeit erzählt hat, ereignet sich das Bombardement, das die Welt erschütterte. Über 140 Menschen sterben, weil die deutschen Offiziere und deren Informanten die Lage wohl falsch einschätzen und zwei von den Taliban entführte Benzinlaster von den Amerikanern bombardieren lassen, aus denen sich gerade Zivilisten, darunter Kinder, mit Benzin bedienen.

Die Bilder (Kamera: Philipp Kirsamer) lassen keinen Zweifel an der Schrecklichkeit des Geschehens zu. Sie zeigen verbrannte Leiber, menschliche Überreste, zusammenklaubende Verwandte und die Tränen der Hinterbliebenen. Aber sie weiden sich nicht an der Grausamkeit. Die Stufen, die Klein nach vielen Zweifeln zu der verhängnisvollen Entscheidung bringen, sind überzeugend geschildert – meisterliches TV-Doku-Handwerk.

Beste Schauspieler wie Axel Milberg – als gut erfundener Mephisto vom BND – sowie Ludwig Trepte und Matthias Koeberlin als jüngere Offiziere machen die argumentativen Wendungen Kleins verständlich, der sich vom Zauderer zum entschlossenen, aggressiven Schützer seiner Truppe verwandelt.

Wenn es im Abspann heißt, dass Klein von keiner Instanz schuldig gesprochen, sondern zum General befördert wurde, macht das ratlos. Und diese Ratlosigkeit hat das Fernsehen verstärkt. Gibt es etwas Besseres, was gutes Fernsehen erreichen kann?

„Eine mörderische Entscheidung“, Freitag auf Arte und am 4. 9. im Ersten, jeweils 20 Uhr 15

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