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Hier arbeiteten internationale Medien, darunter Associated Press. Das 13-stöckige Gebäude in Gaza wurde bei einem israelischen Luftangriff am Wochenende zerstört.

© picture alliance/dpa/POOL AFP/AP

Die Rolle der Medien im Nah-Ost-Konflikt: „Man muss genauer hinsehen. Auf beiden Seiten“

Wie ist die Rolle der Medien im Nah-Ost-Konflikt? Wie gefährdet sind die Journalisten? Fragen an Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen.

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG) Deutschland. ROG ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich weltweit für Pressefreiheit und gegen Zensur einsetzt.

Herr Mihr, lassen Sie uns über die Rolle und Situation der Medien im Nah-Ost-Konflikt sprechen, der wieder heftig aufgebrochen ist. Wie sicher und unabhängig können Medien dort arbeiten? Reporter ohne Grenzen weist darauf hin, dass die israelische Armee in den vergangenen Tagen mit gezielten Luftangriffen die Räumlichkeiten von 23 palästinensischen und internationalen Medien zerstört hat. Die Medienschaffenden seien vor den Angriffen gewarnt wurden und konnten das Gebäude verlassen, nicht jedoch ihre Technik sichern.
Wenn die israelische Armee Medienunternehmen bewusst ins Ziel nimmt, behindert sie die Berichterstattung über den Konflikt und schneidet die zivile Bevölkerung von wichtigen Informationen ab. Wir haben deshalb die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs IstGH dazu aufgerufen, Ermittlungen aufzunehmen.

Was versprechen Sie sich, realistischerweise, von diesem Appell? Haben Sie schon eine Reaktion darauf?
Eine offizielle Reaktion seitens des IStGH steht aus. Der IStGH hat ja im März bereits grundsätzlich Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten eingeleitet. Insofern hoffen wir, dass es vielleicht ein Momentum dafür gibt, auch die neuesten Entwicklungen zu untersuchen. Dass hier genauer hingesehen werden muss, ist klar, und zwar auf beiden Seiten.

Inwiefern?
Die im Gazastreifen regierende Hamas ist keine Freundin der Pressefreiheit. Für die Fatah im Westjordanland gilt das ähnlich. Dass Hamas militärische Infrastruktur durch zivile Strukturen wie Gebäude tarnt, ist kein Hirngespinst der israelischen Seite. Sowohl in Gaza als auch im Westjordanland behindern Hamas und Fatah die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, die sie dem jeweils anderen Lager zurechnen, mit Verhören, Verhaftungen und Anklagen. Bei vielen führt das zur Selbstzensur. Die Fatah hat zudem in der Vergangenheit Webseiten geblockt, die kritisch über die palästinensische Regierung berichtet haben.

Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen
Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen

© Martin von den Driesch

Was bleibt da noch an freier Information?
Hamas gibt gerade vor und während bewaffneter Auseinandersetzungen häufig Direktiven an die Medien heraus, mit denen sie ganz konkret versucht, die Berichterstattung der Medien zu kontrollieren. Dabei achtet sie sehr genau darauf, das eigene Bild als Kämpferin für die palästinensische Sache nicht zu schädigen.

Versuchen wir einen Faktencheck: Neben der AP und Al-Dschasira in diesem gesprengten 13-stöckigen Hochhaus – wieviele Medien/Agenturen und auch Reporter, Medienschaffende befinden sich eigentlich derzeit in Gaza?
Die genaue Anzahl an Personen ist schwer zu ermitteln. Ausländische Journalistinnen und Journalisten dürfen auf Anweisung der israelischen Regierung derzeit über den Grenzübergang bei Erez nicht in den Gaza-Streifen einreisen.

Sprechen Sie mit den Journalisten dort?
Ja. Wir haben Kontakt zu zahlreichen Medienschaffenden vor Ort.

Wie gefährdet sind Journalisten im Gaza? Wenn Bomben auf Tel Aviv fallen, wird sich der ARD-Korrespondent wahrscheinlich in einen Schutzbunker begeben. Ich weiß nicht, ob das in Gaza möglich ist.
Schutzbunker gibt es nach Aussage von Journalistinnen und Journalisten vor Ort nicht. Die meisten lokalen Journalisten arbeiten von zuhause aus, Fotografen und internationale Journalisten versuchen sich mit Schutzausrüstung für Konfliktsituationen zu schützen, zum Beispiel Helm, schusssichere Weste, „Press“-Kennzeichnungen. Unseren lokalen Kontakten vor Ort ist auch keine SMS- oder Mailingliste für lokale Medienvertreter bekannt, über die sie zum Beispiel vor bevorstehenden Angriffen gewarnt würden.

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Können Sie einschätzen, wie frei sich Journalisten in Israel bewegen können?
Israel hat viele unabhängige Medien, die weitgehend frei berichten und kommentieren können. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Israel auf Platz 86 von 180 Ländern. Internationale Journalistinnen und Journalisten können sich in Israel in aller Regel frei bewegen und eine Akkreditierung bekommen. Für ausländische Freelancer ist es unseren Informationen zu Folge aber manchmal schwieriger. Für ausländische und israelische Medienschaffende ist es im Normalfall auch kein Problem, zwischen den auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 132 stehenden Palästinensischen Gebieten und Israel hin- und herzuwechseln. Wie schon gesagt, gegenwärtig dürfen Journalistinnen und Journalisten aber aus Israel nicht in den Gaza-Streifen einreisen.

Was man sich jetzt ja jeden Abend vor dem Bildschirm in den Nachrichten mit den Bildern von weinenden Opfern und Trümmern auf beiden Seiten fragt: Ist das auch ein Krieg der Bilder? Will sagen: Wenn ich als Zuschauer mehr Leiden und Klagen von Israelis in der „Tagesschau“ sehe, könnte ich der Meinung sein, „nur“ die israelische Zivilbevölkerung leide. Finden Sie, dass die Berichterstattung westlicher Medien die Situation im Nah-Ost-Konflikt adäquat widerspiegelt?
Das ist eine Frage, die letztlich über das Mandat von Reporter ohne Grenzen als Menschenrechtsorganisation hinausgeht. Es ist in jedem Fall schon immer schwierig gewesen, und möglicherweise schwieriger geworden, umfassend, frei und kritisch über bewaffnete Konflikte zu berichten. Die aktuelle Auseinandersetzung in Israel und den Palästinensischen Gebieten ist da keine Ausnahme.

Welche Rolle spielen Soziale Medien und Netzwerke, in der Vermittlung von Informationen?
Für viele Menschen sind die sozialen Medien eine der Hauptquellen für Informationen. Gleichzeitig werden über sie auch viel Propaganda und Falschinformationen verbreitet. Kritik gibt es auch an den Plattformen selbst. In der Vergangenheit haben Facebook und Twitter auf Druck Israels Inhalte oder Konten palästinensischer Journalist*innen und Medien gesperrt. Immer wieder gibt es auch Vorwürfe, bestimmte soziale Medien würden sehr viel häufiger palästinensische Accounts als israelische blocken.

Wie stellen sich Facebook & Co. dieser Kritik und Verantwortung?

Vor diesem Hintergrund ist zumindest interessant, dass sich Verantwortliche von Facebook und auch TikTok mit der israelischen Seite getroffen haben und ein Treffen mit der palästinensischen Seite planen, um über Hatespeech und Aufrufe zur Gewalt zu sprechen. Wir hoffen und setzen uns selbst aktiv dafür ein, dass die sozialen Netzwerke ihre Verantwortung wahrnehmen.

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