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Wenn sie nicht gestorben sind…Elisabeth von Österreich (Dominique Devenport), von ihren Schwestern „Sisi“ genannt, und Franz Joseph (Jannik Schümann). Fortsetzung folgt.

© RTL

Die neue „Sisi“ auf RTL: Arbeit am Mythos

„Sisi“ in Serie bei RTL+ und bald auch bei Netflix: Warum dieser historische Stoff um Kaiserin Elisabeth so beliebt ist.

Die menschliche Welt wird immer auf Metaphern und Geschichten angewiesen sein, um mit den Zumutungen des Lebens fertig zu werden, mit denen man eigentlich nicht fertig werden kann. Oft helfen Dinge oder Personen von hoher symbolischer Bedeutung oder auch einfach nur eine falsche Vorstellung. Es gibt kaum eine deutsche historische Figur, zu der dieser Mythos-Gedanke des Philosophen Hans Blumenberg besser passt als: „Sisi“. Oder, historisch gesagt: Elisabeth von Österreich. 1837 als Wittelsbacherin in München geboren, ab 1854 Kaiserin von Österreich, 1867 Apostolische Königin von Ungarn, 1898 bei einem dubiosen Attentat ums Leben gekommen.

Mit den drei Filmen von Ernst Marischka in den 1950er Jahren ist „Sisi“ (oder „Sissi“, wie es damals fälschlicherweise hieß) vor allem auch Teil der Filmgeschichte. Kaum ein Leser/Zuschauer, der nicht mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm durch den Wald spaziert sein dürfte. Irgendetwas an dem Kaiserinnen-Drama lässt nicht los. Anders ist es nicht zu erklären, dass RTL+ und Netflix neue „Sisi“-Adaptionen liefern, darüber hinaus sind zwei neue Filme in Planung. („Sisi“, ab Sonntag sechs Folgen auf RTL+; ab 28.12 bei RTL)

Den Start macht der Streamer RTL+ ab Sonntag mit einer sechsteiligen Serie, dem der Kölner Privatsender Ende Dezember die Ausstrahlung im Free TV folgen lässt. Im Großen und Ganzen knüpft „Sisi“ an die Historie an (beziehungsweise an das, was in zahlreichen Büchern überliefert ist): Die überraschende Verlobung Elisabeths mit ihrem Cousin Kaiser Franz Joseph I. 1853 (zuerst war Schwester Néné auserkoren), dessen blutige Fehde gegen aufbegehrende Ungarn, Widerstreit mit Napoleon III., Warten auf einen Thronfolger, das Attentat auf den Kaiser, der depressive Sohn, der sich 1889 das Leben nahm.

Viele Zumutungen des Lebens. Das Ganze, wie es sich für eine Event-Serie gehört, mit XXL-Natur- und Schlosspanoramen und prallen Kostümen ausstaffiert (Regie: Sven Bohse, „Ku’damm 56“, Drehbuch: Elena Hell und Robert Krause).

Eine mutige junge Frau, die sich in den begehrtesten Junggesellen Europas verliebt

Bei Flashbacks und Zeitlupen wird schnell klar: Diese Serie ist anders als der farbenfrohe Kitsch der 50er. Wir wandern hier nicht nur mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm in Gärten und Bergen herum, sondern wohnen, und das ist die faszinierende Tangente der „Sisi“-Story zur Gegenwart, der fast Empowerment-artigen Geschichte einer selbstbewussten Frau bei, die sich gegen die höfischen Zwänge und Ansprüche einer patriarchalisch-monarchistisch geprägten Gesellschaft wehrt – vor allem in Person der gestrengen Kaiser-Mutter, Erzherzogin Sophie (Désirée Nosbusch).

Gerade auch in Sachen Sexualität. Eine mutige junge Frau, die sich in den begehrtesten Junggesellen Europas verliebt und sich dabei mit viel Witz und Esprit mehr herausnimmt, als ein Kaiser zu der Zeit erwarten durfte.

Dennoch bleibt der Kern der Story natürlich: ein Herz und eine Krone. Das hat schon auch was von einem deutschen „The Crown“. Viel Ehre für die Hauptdarsteller. Das Wort Neu-Interpretation wäre an dieser Stelle zu viel gesagt, aber dass Jannik Schümann („Charité“), der seinen Franz Joseph gekonnt ambivalent zwischen kühlem Kriegstreiber, Pascha und emotional-verständnisvollem Liebhaber gibt, und die schweizerisch-US-amerikanische Schauspielerin Dominique Devenport („Nachtzug nach Lissabon“) als Sisi gar nicht erst Gedanken an die berühmten Vorbilder (Böhm/Schneider) aufkommen lassen, macht die Serie zu einem Bingewatching-Event an den Weihnachtstagen, garniert übrigens, so viel Zeit muss sein, mit der Wiederholung der „Sissi“-Trilogie im Stream auf RTL+.

Reifung, Entwicklung, Emanzipation, Befreiung – eine Coming-of-Age-Geschichte. Was reizt die Kreativen darüber hinaus so sehr, dass sich ihrer sogar Netflix mit der 2022 startenden deutschen Serie „The Empress“ annimmt? Was macht „Sisi“ zum Mythos, zu einer Person von hoher symbolischer Bedeutung?

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Bei Kaiserin Elisabeth kämen mehrere Faktoren zusammen, sagte die Autorin Martina Winkelhofer der Nachrichtenagentur spot on news. Sisi sei die erste moderne Bildikone, deren Gesicht sich medial eingeprägt hat. „Elisabeth betrat zu jenem Zeitpunkt die öffentliche Bühne, als die Fotografie ihren Siegeszug antrat und ,Promis‘ plötzlich zum Greifen nah schienen.“

Mit ihrer Selbstinszenierung, ihrer Selbstzensur habe sie vorweggenommen, was heute „Influencer“ tun: Sie entschied, welche geschönten Bilder, damals hieß es Retouch, heute Photoshop, veröffentlicht wurden und welche nicht. Mit ihrer Entscheidung, sich ab dem 30. Lebensjahr nicht mehr fotografieren zu lassen, kreierte sie den Mythos der schönen, ewig jungen Märchenkaiserin.

Die alten „Sissi“-Bilder Ernst Marischkas

Das treffe momentan den Zeitgeist. Wir leben in einer sehr „bildlastigen“ Zeit, in der Informationen über Bilder vermittelt werden. Stichwort Social Media. Kurz gesprochen: Sisis Bild war und ist immer präsent und inspirierte jede Generation aufs Neue.

Wobei, Stichwort falsche Vorstellung, die Übergänge zwischen Historie und Metaphern, sprich, zum Mythos fließend sind. Über Sisi wissen wir weniger, als wir glauben, sagt die Expertin für die Habsburger Monarchie, und könnten mehr wissen. Die historische Elisabeth finden wir nicht in Zuschreibungen und Klischees, sondern in den Archiven.

Nur: Wer kommt dorthin? Strategisch also gut gedacht von RTL. Es ist mal an der Zeit, dass sich mit dem Privatsender und Netflix die alten „Sissi“-Bilder Ernst Marischkas aus dem Kopf drängen. Und wenn sie nicht gestorben sind…Fortsetzung folgt.

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