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Systematisch unterdrückt: Frauen mussten Frauen überwachen.

© Memento/Arte

Die Frauen der Terrormiliz IS: Der unbekannte Terror

Beim „Islamischen Staat“ gab es Frauen, die für den IS spitzelten, kämpften, folterten. Das zeigt die Arte-Doku „Zeitbombe IS“.

Frauen im sogenannten Islamischen Staat galten bislang vornehmlich als Opfer. Als Kindermädchen, Köchin oder Sexsklavin, die ihrem Mann Gehorsam leistet. Das ist nicht falsch, verbirgt aber die Sicht auf eine weniger bekannte Dimension: Im Namen Allahs haben Frauen auch gekämpft, gespitzelt und gefoltert. Eine Arte-Dokumentation lässt ehemalige Gotteskriegerinnen zu Wort kommen, deren Schilderungen schlimmste Erwartungen übertreffen.

Nach „Inside Rakka – IS-Deserteure packen aus“ (2016) und „Ashbal, les lionceaux du califat“ (2017) über Kindersoldaten wendet der französische Filmemacher und Kriegsreporter Thomas Dandois sich mit dem Abschluss seiner Trilogie den Frauen zu, arabischen und westlichen. Dem Einfluss des IS konnten sie sich entziehen. Teilweise leben sie nun in der Türkei. Verschleiert sind sie aber immer noch, nur wenige von ihnen trauen sich, ihre Augen zu zeigen. Ihre Stimmen sind verfremdet, selbst Kleinkinder, die im Bild auftauchen, sind verpixelt.

„Am Anfang“, so Aischa, die den IS tatkräftig unterstützte, „haben sie uns mit ihrer religiösen Rhetorik eingelullt. Du dachtest, das sind Engel“. Doch die Frauen merkten bald, dass sie ihren Männern schnurstracks in die Hölle gefolgt waren. Sie mussten sich in pechschwarze, schariakonforme Kleider hüllen, „Müllsäcke“, die sie nur beim IS kaufen durften, der so auch noch an ihnen verdiente. Sittsames, den religiösen Prinzipien entsprechendes Verhalten wurde mit rigider Bespitzelung kontrolliert. Selbst in den eigenen vier Wänden waren Frauen nicht sicher, ohne Schleier durften sie nicht einmal ungestraft aus dem Fenster schauen. Der Irrsinn ging so weit, dass Krankenschwestern gezwungen waren, „mit verdeckten Augen eine intravenöse Injektion bei einem Baby anzulegen“.

Bedarf an weiblichen Rekruten

Großen Bedarf an weiblichen Rekruten hatte die Religionspolizei Hisba. Hochgewachsen und furchteinflößend mussten diese Frauen sein. Sie fuhren mit dem Bus umher, um undercover Sittenverstöße zu ahnden. Eine Frau mit Nagellack? Ganz schlecht. „Mit einer Zange haben sie ihr die Nägel ausgerissen“. Aischa erinnert sich, dass selbst eine Hochschwangere nicht von den Martern verschont wurde: „Sie gebar, während man sie folterte.“

Frauen, so der Tenor dieser Dokumentation, sind an den Verbrechen des IS nicht unschuldig. Sie fungierten zuweilen als willfährige Unterstützerinnen des Kalifats. Deutlich wird aber zugleich, dass Frauen dieses mittelalterliche Terrorregime, in dem sie wie Dreck behandelt wurden, nicht ins Leben gerufen haben. Aus diesem Grund sei das Wichtigste, das in diesem Film vermittelt werden soll, so Kadija, die Frau eines belgischen IS-Kämpfers, dass „ein Mann einer Frau keine Gewalt antun darf“.

Was das bedeutet, führt „Die Frauen der Terrormiliz“ mit unerwarteter Deutlichkeit vor Augen. So wird das Interview mit einer ehemaligen IS-Kämpferin unterbrochen von einem Angehörigen, der sie vor laufender Kamera schlägt, feige, indem er sie dabei nicht einmal ansieht.

Gewiss, diese Szene führt den Mann vor, medienethisch ist sie problematisch. Hier dient sie jedoch als Beleg für all das, was die Frauen berichten. Der Alltag im Islamischen Staat wird illustriert mit heimlich gedrehten Handyfilmen und Ausschnitten aus einem IS-Propagandavideo, in dem zu sehen ist, wie eine Frau gesteinigt wird und wie Bücher unter euphorischem Gejohle verbrannt werden.

Neben diesen gruseligen Bildern setzt der Film beeindruckende visuelle Akzente. Schwarz verhüllte Frauen in den Ruinen von Rakka sehen zuweilen aus wie bizarre Stillleben. Berührende Bilder, die andeuten, wohin religiös motivierte Unterdrückung von Frauen führt: zu einer Trümmerlandschaft.
„Zeitbombe IS: Die Frauen der Terrormiliz“, Arte, Dienstag, ab 20 Uhr 15

Manfred Riepe

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